Tusen År Under Jord - Sorgsendömet Fobos

Review

Klangcollagen für den Bleichmond

Eines der beachtlichsten Ambient/Drone/Neoklassik-Alben nennt sich „Sorgsendömet Fobos“, wurde 2013 in einer Auflage von einhundert Kassetten auf dem schwedischen Kleinstlabel Hibiskofon veröffentlicht und erscheint nun erweitert als CD im schicken Digisleeve über Trollmusic. Die durchweg instrumentalen Stücke auf „Sorgsendömet Fobos“ bestehen wohl zum Teil aus Samples klassischer Musik, aber auch aus Geräuschen, die z.B. Vinylknistern oder das Geräusch abbrennender Wunderkerzen sein könnten – wer weiß. So werden im ersten Stück zunächst über wellenartigem Summen oder Rauschen kurze Piano- und Streicherparts wiederholt, in der zweiten Hälfte wird das Summen angeraut und verzerrt, das nun das Stück dominiert und von einer Melodie begleitet wird, die von Holzbläsern stammen könnte.

Anders als in vielen Ambientstücken passiert hier eine ganze Menge, das Album plätschert nie vor sich hin, es ist nicht bloß melancholisch, sondern mitunter geradezu kraftvoll. Das Ergebnis ist eine nächtliche, elegische, manchmal bedrohliche, zugleich erhebende und versonnene Musik, die nur behelfsmäßig in die genannten Schubladen passt. „Standstill timbres, pale moon music. A suite of faux kosmische orchastrals.“ nennt das der Künstler und fasst damit das Collagenartige und die Gefühlslage seiner Musik schön zusammen.

Elemente, die üblicherweise als Musik bezeichnet werden, verbinden sich hierin mit solchen, die zumeist als bloße Geräusche gelten, wodurch sich die Wahrnehmung beider ändert. Aber nicht nur in der Wahl der instrumentellen Mittel, sondern auch in der kompositorischen Form steht „Sorgsendömet Fobos“ quer zu landläufiger Musik. Denn indem einzelne Versatzstücke aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gelöst und neu arrangiert werden, bilden sie neue Einheiten, die sich formal sehr von ihrem Ursprungskontext unterscheiden. Das ist nicht ganz unerheblich für die Auseinandersetzung mit TUSEN ÅR UNDER JORD.

Zeit, Geschichte und Musik

In der westlichen Musik ist seit Jahrhunderten eine Art des Komponierens und Hörens gebräuchlich, bei der sich die Musikstücke von einem Anfangspunkt zu einem Endpunkt bewegen, wobei Spannungen aufgebaut und aufgelöst, Themen entfaltet, variiert und zueinander in Beziehung gesetzt werden usw., sodass am Ende „eine runde Sache“ entsteht. Solche Musikstücke bilden jeweils einen Geschichtsverlauf – in ihnen vollzieht sich ein Geschehen, das als eine plausible Aufeinanderfolge komponiert und gehört wird, weil es sich auf ein Ziel zubewegt.

Das sagt viel auch noch über unser heutiges Verständnis von Zeit und Geschichte aus, das von antiken und christlichen Vorstellungen abhängt. Erst wenn man einen Ursprung und ein Ziel annimmt, lässt sich das Geschehen dazwischen so betrachten, dass sich Epochen (oder musikalische Themen und Riffs) „schichten“. Um bei der Musik zu bleiben: Dass Hörerschaften dieses Wahrnehmungsmuster verinnerlicht haben, zeigt sich bspw., wenn in Rezensionen das Fehlen von Spannungsbögen moniert wird – wenn auch mit Recht, denn meistens möchten ja auch die Komponisten in populärer Musik von Pop bis Metal und darüber hinaus diesem Muster folgen.

Musik als Kontrastprogramm

Diese bis heute verbreitete Art des Komponierens wurde seit Anfang des 20. Jh. teilweise in der weniger populären Musik verlassen, d.h. in der heute sog. Klassischen Moderne und in der Neuen Musik, mitunter auch im Ambient und ähnlichen Stilen. Der Aufbau von Musik ist von Interesse, weil er unterschiedlichen Wahrnehmungen entspricht und diese auch verändern kann. Eine Free-Jazz-Improvisation etwa mag ihrer Hörerschaft neue Ideen darüber vermitteln, was gemeinschaftliches Handeln ist: Die Musiker folgen keiner festen Handlungsanweisung, sondern die Musik entsteht daraus, wie sie agieren und reagieren, sich aufeinander einstimmen und sich gegenseitig interpretieren. Im Falle von TUSEN ÅR UNDER JORD ist die Abfolge der musikalischen Motive eher zirkulär als linear: Sie führen nicht auf andere hin, sie werden vorgestellt und von verschiedenen Seiten betrachtet. Motive, die in einem konventionellen Musikstück als Auftakt für einen neuen Abschnitt dienen könnten, werden wiederholt und nach einiger Zeit rhythmisch gebrochen. „Sorgsendömet Fobos“ klingt, wie man sich an Musik erinnert.

Reizvoll ist auch der Kontrast, der sich daraus ergibt, dass sich TUSEN ÅR UNDER JORD Elemente klassischer Musik bedient, sie aber in einer musikgeschichtlich noch sehr jungen Weise verwendet und dabei in Layout und Text auf Mythisches verweist. Der gedämpfte Klang dieses Albums, aber auch manche musikalische Mittel, besonders im Bonustrack, lassen mich an THE MOON LAY HIDDEN BENEATH A CLOUD denken, wobei die immer konventioneller waren als dieses Projekt. Empfehlen kann ich dieses Album ansonsten allen, die mit dem weiten Feld zwischen RAISON D’ÊTRE und ANNA VON HAUSWOLFF etwas anfangen können, vielleicht sogar aufgeschlossenen Blackmetallern, die eher das Erhabene als das bloß Aggressive schätzen.

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29.10.2015

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