Bethlehem
Interview mit Jürgen Bartsch zu "Hexakosioihexekontahexaphobia"

Interview

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Ganze zehn Jahre dauerte es, ehe die nonkonformen BETHLEHEM mit „Hexakosioihexekontahexaphobia“ den Albumnachfolger von „Mein Weg“ und damit den letzten Teil dieser Trilogie veröffentlichen. Nicht nur in der Bandkonstellation hat sich zwischenzeitlich einiges getan, auch das neue Album erweist sich wieder einmal als extravagant, stilistisch äußerst vielfältig und spannend. Wir sprachen mit dem sehr auskunftsfreudigen und freundlichen Jürgen Bartsch.

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Vor eurem neuen Album „Hexakosioihexekontahexaphobia“ gab es zwei weitere, recht außergewöhnliche Veröffentlichungen: Die „S.U.I.Z.I.D.“-Neuauflage „A Sacrificial Offering To The Kingdom Of Heaven In A Cracked Dog’s Ear“, sowie die EP „Stönkfitzchen“. Was verbindest du aus heutiger Sicht mit diesen zwei Veröffentlichungen?

Nach „Mein Weg“ war erst einmal Sendepause, und diese Pause hat sich auch leider immer etwas weiter nach hinten verschoben. Eigentlich wollte ich damals BETHLEHEM auch beerdigen, da ich viel zu viele Jahre wie gegen Windmühlen gekämpft hatte, und irgendwann ist man der Sache auch überdrüssig. Ich hatte dann aus diesem Grund eine ganze Zeit etwas anderes gemacht und ein Electro-Projekt namens STAHLMANTEL. Das hatte ich schon Ende der Neunziger angefangen, und zwar einfach für mich ohne Hintergedanken. Aber irgendwann bin ich durch Freunde von mir an Leute geraten, die das geil fanden, das Zeug wurde dann anfänglich im Ruhrpott in Industrialclubs gespielt, und die Leute sind darauf abgefahren. Dadurch konnte ich viele neue Kontakte knüpfen, auch in die USA zu einem DJ in Florida. Ich machte dann auch Songs für größere Techno-Events. Da ja alles, was ich also mit Musik machte, irgendwann irgendwo landete, kam mir dann der Gedanke, dieses Projekt weiterzuführen. Ich hatte dann Marco Kehren von DEINONYCHOS als Sänger an Bord geholt, und mich noch mit einem anderen Electro-Spezialisten zusammengetan, ich hatte mich dann eine Zeitlang im Electro ausgelebt.

Einer meiner besten Freunde ist Niklas Kvarforth (SHINING). Ich war bei ihm in Schweden, und wir hatten es uns beim Angeln gutgehen lassen. Ein halbes Jahr später kam er zu mir zu Besuch. Eines Abends hörten wir gemeinsam Musik. Niklas hat genauso wie ich einen sehr breit gefächerten Musikgeschmack, und wir tauschen uns da immer wieder aus. Irgendwann kamen wir dann auf KENT, einer schwedischen Pop/Rock-Band, die auch schwedisch singen, und wir sind beide Fans von KENT. Die Musik ist ziemlich melancholisch, und wir wurden beide rührselig. Wenn wir beide uns treffen, sprechen wir normalerweise nicht über unsere Bands SHINING oder BETHLEHEM, sondern eher die normalen Themen, worüber Freunde sich eben unterhalten, persönliche Sachen. Mit KENT, der rührseligen Stimmung und nach ein paar Glas Whiskey kam Niklas dann aber irgendwie auf BETHLEHEM. Ich hatte ihm dann erklärt, wieso da im Moment nichts passiert. Er fing dann an, auf mich einzureden, dass die Band mir, ihm und den Fans am Herzen liegt. Das Ende vom Lied war, dass er mich an dem Abend rumgekriegt hat, mit BETHLEHEM weiterzumachen.

Aus einer Laune heraus hatte ich dann meine alten Kollegen Klaus Matton und Chris Steinhoff angerufen. Andreas Classen (u. a. PARAGON BELIAL) nicht, der ist schon jenseits von Gut und Böse, den kann man nicht mehr anrufen. Wir hatten dann gemeinsam einen netten Nachmittag bei mir. Dann hatten wir die super Idee, uns an einem Sonntagnachmittag wieder im Proberaum zu treffen. Es war zwar ohne Kaffee und Kuchen, aber es hatte sich so angefühlt; wie in einem gemütlichen Wohnzimmer, da hätte nur noch Mutti reinkommen müssen mit Kaffee und Kuchen, dann wäre es perfekt gewesen. Wir haben dann zusammen wieder die alten Songs gespielt. Das Ganze habe ich dann auf einem alten Kassettenrekorder aufgenommen, also richtig old school. Mir kam dann die Idee, dass man das veröffentlichen könnte. Ich habe Patrick von Red Stream angerufen, der das auch geil fand. Dann nahm ich spontan mit Herr Morbid von FORGOTTEN TOMB Kontakt auf, der auch schon immer mal was mit mir machen wollte. Ich bot ihm an, da noch Gitarre drüber zuspielen. Das kam dann auch, aber leider erst als das Album „A Sacrificial Offering To The Kingdom Of Heaven In A Cracked Dog’s Ear“ schon veröffentlicht war. Ja und Niklas hatte ich gefragt, ob er nicht den Gesang übernehmen möchte, da wir auch schon immer mal was zusammen machen wollten. Niklas hat dann in Schweden bei Peter von ARCANA in dessen Studio in zwei Tagen den Gesang aufgenommen und mir die Files geschickt. Ich habe das dann hier zusammengemixt. Nachträglich gesehen war das vielleicht nicht die beste Idee. Das Album ist von vielen Fanzines verrissen worden, und selbst Klaus war im Nachhinein nicht mehr davon überzeugt. Ich weiß jetzt nicht, was ich im Nachhinein selbst davon halten soll. Komischerweise war „A Sacrificial Offering To The Kingdom Of Heaven In A Cracked Dog’s Ear“ das sich am schnellsten verkaufende BETHLEHEM-Album bisher. Die kleine Auflage war im nu ausverkauft. Inzwischen wird die Auflage zum dritten Mal nachgepresst. So schlecht kann es also doch nicht gewesen sein, man kauft sich ja kein Album, das man scheiße findet, ich zumindest nicht. Aber vielleicht war es doch etwas vorschnell aus einer nostalgischen, rührseligen Stimmung heraus. Nicht alle Ideen sind gute Ideen, aber wir haben es eben so gemacht und ich kann auch dazu stehen. Es entstand einfach aus dieser besonderen Situation, und wir hatten es damals für eine wirklich gute Idee gehalten.

Was „Stönkfitzchen“ anbelangt, so war es damals so, dass wir viele Kommentare und E-Mails mit negativen Beiträgen zu Niklas erhielten. Ich sammelte die damals alle, das waren so um die 200, druckte sie aus und steckte sie in den Kvarforth-Hater-Ordner. Es ging dabei inhaltlich immer darum, dass Kvarforth nicht zu BETHLEHEM passen würde usw. Die Sachen brachte ich dann immer in den Proberaum mit und wir amüsierten uns darüber köstlich. Das war fast so wie in den Anfangstagen, als uns Rock Hard und Konsorten gerne mal geschlachtet haben und wir uns darüber schlapplachten. Und da ich ja ab und zu doch ein Schwein bin, kam ich auf die Idee, nochmals was zusammen zu machen, aber dieses Mal etwas Neues und nichts, was es schon gab. Es ist nämlich völlig egal, was die Leute sagen, wir machen immer, was wir wollen. Das war also der Anstoß für „Stönkfitzchen“. Niklas kam dann im Hochsommer nach einer SHINING-Tour wieder zu Besuch vorbei, und dann haben wir spontan in einer Woche die EP hier in meinem kleinen Schreibzimmer aufgenommen. Der Raum ist echt winzig, aber wir haben sogar geschafft, ein Schlagzeug aufzubauen, was sich dann wie in einem U-Boot anfühlte. Es konnte sich außer dem Drummer eigentlich niemand mehr reinsetzen, aber ich hab mich dann irgendwie noch reingequetscht, um Start zu drücken. In dem kleinen Raum waren gefühlte 50 Grad, da ich das Fenster nicht öffnen konnte. Niklas schrie und sang tagsüber, und darunter befindet sich eine Apotheke. Komisch, dass sich da niemand beschwert hat, weil Niklas hat ein verdammt lautes Organ. Alles sehr spontan und direkt vor Ort umgesetzt.

Ich hatte vorher ein paar Songideen an Reuben Jordan von BENIGHTED IN SODOM in Florida geschickt, mit denen wir auch schon einige Veröffentlichungen hatten, und ihn gefragt ob er nicht eine Idee hat, aber es ging da nicht um „Stönkfitzchen“ sondern einfach so. Reuben hatte mir dann drei Songs geschickt, die nichts mit meinem Stoff zu tun hatten sondern seine eigenen Ideen waren, und das habe ich dann auch noch beim Mixen in diesen Songs einfließen lassen. Wenn ich etwas Zusage, kann das zwar Jahre dauern, aber es wird auf jeden Fall so oder so durchgezogen. Das war dann eine gute Gelegenheit, die alte Scharte auszuwetzen und ihn mit an Bord zu nehmen. Das hat der EP auch wirklich gut getan. Es ist jetzt nicht allzu viel von ihm vertreten, aber es hat gut zu der Stimmung gepasst. Natürlich gab es danach aufgrund der Teilnahme von Niklas einen Schrei der Entrüstung, aber darauf hatte ich es ja auch etwas abgezielt, das war ja die Intention dahinter. Jeder kann seine Meinung haben, aber wir wollten klarmachen, dass wir selbst entscheiden, was wir tun und was wir bleiben lassen. Ich war ja auch nicht so anmaßend und habe früher auch nicht meine Lieblingsbands angeschrieben, wenn sie etwas gemacht haben, womit ich nicht einverstanden war, und eine entsprechende Änderung eingefordert. Und letztendlich habe ich ja als Konsument die größte Macht, wenn mir etwas nicht gefällt, brauche ich es auch nicht zu kaufen. Wir haben für „Stönkfitzchen“ übrigens im Rock Hard die beste Bewertung aller Zeiten bekommen. Das Ding erschien bei Red Stream, mit null Budget, das ist ja eine Eigenproduktion, und es gab auch keinerlei Promotion. Es war einfach eine Veröffentlichung hauptsächlich für uns selbst.

Ich hatte mich damals auch verschrieben, was mir eigentlich selten passiert. Es musste aber schnell gehen und da passieren leider manchmal Fehler. Es sollte nicht „Stönkfitzchen“ heißen, sondern „Fönkstitzchen“ als Anagramm, wenn du das bei Google eintippst, kommt nicht ein einziger Eintrag, während bei „Stönkfitzchen“ gefragt wird, ob man „Stinkefötzchen“ sucht. Das war zwar sehr offensichtlich, aber dafür hat es dann auch jeder geschnallt, hahahaha!

Danach lief es mit BETHLEHEM wieder richtig weiter, daraus entstand dann diese Tourphase, und dann konnte auch endlich dieses dritte Album zu Ende gebracht werden. Das alles ist Niklas zu verdanken, ohne Niklas wären BETHLEHEM tot gewesen. Er hat das Ganze an dem besagten Abend wieder auf den rechten Pfad gelenkt. Dafür bin ich ihm sehr dankbar, er hatte auf jeden Fall recht.        

Wie verlief eigentlich eure Zusammenarbeit mit Niklas Kvarforth und warum arbeitet ihr nicht mehr zusammen?

Die Zusammenarbeit war fantastisch, wie es immer ist, wenn du mit Freunden zusammenarbeitest, da ist ja eine ganz andere Basis vorhanden. Aber es war auch deswegen fantastisch, da Niklas ein verdammt guter Sänger ist. Er singt nicht nur sehr gut, er hat sich mit Gesang richtig auseinandergesetzt, er hatte auch Gesangsunterricht und hat uns diverse Atemtechniken vorgeführt, dabei waren sogar welche, die ich noch nie im Leben gesehen oder davon gehört hatte. Zum Beispiel die Rückenatmung. Wenn man mit dem Rücken atmet, kannst du eine Ewigkeit lang volle Pulle schreien, ohne dass du vorzeitig abbrichst. Das nimmt man, um Schreie live selbst bei schlechten Soundverhältnissen überzeugend darbieten zu können. Das war natürlich sehr interessant. Genauso wie seine sehr professionelle Herangehensweise. Das war richtig schön.

Wir hatten dann in Köln unseren Proberaum, wo wir mit Niklas noch probten. Aber leider holt einen die Realität dann doch schnell wieder ein. Es fingen dann die ersten Konzerte wieder an. Ich nannte Niklas die Termine, was so abgesprochen war. Nur hatte dann der damalige Manager von SHINING dazwischengefunkt. Er tat uns ab und meinte, BETHLEHEM wären eine Altherren-Thrash-Metal-Band. Außerdem war er verliebt in Niklas, der war für ihn sein ein und alles. Jedenfalls lehnte er das immer ab. Am Anfang ließ ich mir gefallen, dass BETHLEHEM hinten anstehen und einige Shows nicht mit Niklas gespielt werden konnte, weil SHINING zur gleichen Zeit Konzerte hatten. Nur lange lasse ich mir das nicht gefallen, auch von Freunden nicht, und habe dann Niklas gefeuert. Es brachte ja nichts, sich hinter SHINING anzustellen, selbst wenn es IRON MAIDEN gewesen wären, da mache ich keinen Unterschied. Wir sind alle Kollegen, aber das geht nicht. Es hat leider nicht funktioniert, da uns der Manager sehr im Weg stand. Daher mussten wir einen anderen Sänger suchen, damit wir wieder live spielen konnten. Es wäre schön gewesen mit Niklas, das war schon ein geiles Bandfeeling.

Industrial, Electro als auch Ambient sind ebenfalls Bestandteile deines musikalischen Wirkens. Welchen Stellenwert haben diese Musikrichtungen für dich verglichen mit Dark und Black Metal?

Ich möchte das so nicht pauschalisieren. Eigentlich haben sie den gleichen Stellenwert. Ich bin zwar auch den klassischen Weg gegangen, mit 13 oder 14 hatte ich zum ersten Mal MOTÖRHEAD gehört, und ich war gleich in die Band verliebt. Ich hatte mir dann gleich die erste LP als Import vom Londoner Label Chiswick Records gekauft, obwohl man die auch hier bekomme hatte. Ich habe die immer noch, kann sie aber nicht mehr anhören, da das Cover dermaßen abgegriffen ist, dass es aussieht, als ob ich es vergraben hätte, und ich glaube auf der LP selbst hat sich die Nadel durchgefräßt, man kann es wirklich nicht mehr hören. Das war mein Einstieg in den Metal, danach kam recht schnell METALLICA und SLAYER, die üblichen. In der Zeit von 14 bis 19 habe ich ausschließlich Heavy Metal gehört, aber eher die extremen Sachen. Gerade die extremeren Geschichten haben mich immer angezogen. Als ich älter wurde und BETHLEHEM anfingen, fing ich recht schnell an, über den Tellerrand zu schauen, da mich Musik als Ganzes interessiert. Ich war Heavy-Metal-Fan, aber ich interessierte mich für Musik und wollte alles mitbekommen. Im Laufe der Jahre hat sich das immer weiter ausgeweitet. Mittlerweile gibt es für mich keine Abstufungen mehr, was ich lieber höre und was weniger. Das hat alles den gleichen Stellenwert. Mit BETHLEHEM habe ich schon gewisse Freiheiten mit denen ich mich ausleben kann, dazu eben STAHLMANTEL. Das sind Sachen, die von Herzen kommen, das ist ehrlich gemeint, ich werte da nicht mehr.

 

 

Galerie mit 6 Bildern: Bethlehem - Prophecy Fest 2019

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19.11.2014

Geschäftsführender Redakteur (stellv. Redaktionsleitung, News-Planung)

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