Chryst
Interview mit Chrystof zu "Phantasmachronica"

Interview

Chryst

Etwa ein halbes Jahr ist es her, dass CHRYST in Person von Chrystof mit „Phantasmachronica“ ein wirklich denkwürdig schräges Werk des avantgardistischen Metals veröffentlicht haben, das 2011 seinesgleichen gesucht und nicht gefunden hat. Während einer kurzen Audienz beim Metalweihnachtsmann haben wir eruiert, ob sich Intellekt und Metal eigentlich vertragen, ob CHRYST demnächst Filmmusik machen und was es mit dem Weltengesetz auf sich hat.

 

Chrystof, die Veröffentlichung von „Phantasmachronica“ liegt jetzt einige Zeit zurück. Lässt sich schon absehen, ob die Reaktionen eher in Richtung „Moin Heiland!!“ oder „Nagelt die Brut ans Kreuz!!“ gehen?

Wie immer selbstverständlich beides. Bislang wurden uns zahlreiche ausgezeichnete Kritiken zuteil, teilweise auch aus Ecken, wo wir es gar nicht in der Form erwartet hatten, beispielsweise aus der Progrock-Szene oder aus der Gothic-Szene. Sogar im renommierten Lifestyle-Magazin VICE bekamen wir 8/10 Punkte und schafften es dort zudem, die begehrte Auszeichnung „Schlimmstes Cover des Monats“ einzuheimsen.

Daneben gab es auch einige Verrisse, vornehmlich aus der Metal-Szene. Aber das ist okay. Wie bereits KOROVA und KOROVAKILL polarisiert auch CHRYST. Wahrscheinlich muss das so sein.

Wo wir schon bei „Life Of Brian“ sind: Du teilst mit Monty Python scheinbar die Vorliebe für die  Dekonstruktion einer Figur wie Jesus Christus, nur auf andere Weise. Wo siehst du da Parallelen in der Intention und Durchführung?

Ich war nie so der Monty Python Fan. Wobei wenn Du es so sagst, dann bestehen tatsächlich einige Parallelen. Die absurde Dekonstruktion von realitätskonstituierenden Grundpfeilern der kollektiven Normkorsette zum Beispiel oder die Vorliebe für rustikale Bildcollagen, bei welchen Aussage und Inhalt bewußt den Formalismus treten und somit den Betrachter von den Fesseln des guten Geschmacks befreien.

In einem anderen Interview habe ich gelesen, wie du dich selbst als Opa darstellst, der den Metal vor der völligen Verblödung retten möchte. Wann hat diese Verblödung für dich begonnen, worin manifestiert sie sich, und wie gedenkst du sie aufzuhalten?

Sonderbar, das ist mir gänzlich unbekannt. Ich denke, dass sich Verblödung gar nicht ausreichend definieren lässt, als dass man dieses Wort irgendjemandem zuordnen könne. Insofern ist alles, was irgend ein Opa gesagt haben soll, hinfällig.

Ist wirkliche Intellektualität, die sich nicht im unreflektierten Kreischen von Nietzsche- und Evola-Texten oder pseudomystischem Gefasel erschöpft, überhaupt mit (Black) Metal vereinbar? Ich habe 2007 eine Umfrage durchgeführt, die als verifiziertes Nebenergebnis gezeigt hat, dass über zwei Drittel der Teilnehmer bevorzugt Black Metal hören und gleichzeitig akademische Abschlüsse haben oder anstreben. Wenn ich das mit meinen Erfahrungen auf den letzten Black Metal-Konzerten vergleiche, kann irgendwas nicht stimmen. Wie sind da deine Erfahrungen?

Das kann und will ich gar nicht beurteilen. Aber natürlich gibt es auch im Black Metal immer wieder innovative Auswüchse mit spannenden lyrischen Konzepten. Auf www.avantgarde-metal.com bringen wir seit fast 5 Jahren die bahnbrechendsten Metal-Acts. Viele dieser Künstler kommen aus dem Black Metal-Dunstkreis. Insofern gibt es hier durchaus ein umfangreiches Angebot.

Dein Umfeld hat immer aus Musikern bestanden, die in irgendeiner Art und Weise außergewöhnlich waren – TT von ABIGOR, Moritz Neuner (heute DORNENREICH), Renaud von ELEND oder Engelke von ANGIZIA, um nur einige Beispiele zu nennen. Was verbindet dich heute noch mit diesen Menschen und Musikern?

Genau das sind Paradebeispiele für Künstler, die aus dem Black Metal-Ursumpf der frühen 1990er heraus einzigartige Monumente der Eigenständigkeit erschaffen haben. Das war damals unser Ziel: die Grenzen sprengen und immer weiter hinaustreiben in den Irrsinn, versuchen wie weit es geht, in die unerwartetsten Richtungen. Wir pflegen noch immer unregelmäßigen, dann aber sehr regen Kontakt. Ein bisschen wie im Seniorenheim, wo man sich immer wieder im Flur begegnet und dann so lange gemeinsam Gedanken streifen lässt bis einen die Pflegerin abholt…

Zurück zu „Phantasmachronica“: Rückblickend finde ich das Album, gerade im Vergleich zu z.B. der ersten KOROVA oder dem „Echowelt“-Album, verhältnismäßig gut verdaulich. Wie erklärst du dir, dass CHRYST allgemein als „love it or hate it“-Phänomen dargestellt wird?

In der Tat. In den Infotexten zu „PhantasmaChronica“ wurde ganz bewusst auf Schlagworte wie „Avant-garde“ oder „Progressive“ verzichtet, weil das Album sehr eingängig und geradlinig ist. Man sollte nur etwas Geduld mitbringen, sich bequem hinsetzen und dann tief entspannen. Man sollte zur Ruhe kommen, langsamer und immer langsamer eintauchen in diese funkelnde neue Welt, einfach bereit sein, mal für 47 Minuten seine Gedanken schweifen zu lassen, einfach nichts tun als sich treiben zu lassen, die Augen zu und wegtauchen in die Wunderwelten des eigenen Unbewusstseins. Wer diese Reise wagt wird reichlich belohnt werden.

Du hast alles rund um dieses Album selbst in die Hand genommen – Musik und Texte, Produktion und Artwork, Herstellung, Promotion und Vertrieb. Das ist neben einem Vollzeitjob eine für mich unfassbare Leistung. Was hat dich dazu bewogen, dir das alles selbst aufzuhalsen, und hat sich der Aufwand bis jetzt irgendwie (wenn auch nicht materiell) bezahlt gemacht?

Der Aufwand war in der Tat enorm in den Monaten rund um die Veröffentlichung von „PhantasmaChronica“. Aber es musste vollbracht werden. Und es wurde vollbracht. Das war der Lohn. Und je mehr von Euch diese Ernte mit mir teilen, desto reicher wird sie. Je mehr von Euch die Kunde weit verbreiten, desto größer wird die Kunde in Euch und gibt Euch Kraft, gibt Euch Begeisterung, gibt Euch Erleuchtung. Denn dieser Schatz ist nur für Dich…

Mit etwas mehr Hintergrundwissen und mehr Hörerfahrung stelle ich immer wieder fest, dass du ein geborener Avantgarde-Film-Komponist sein müsstest. Hast du jemals in Erfahrung gezogen, CHRYST-Songs zu verfilmen oder andersherum Filmmusik für entsprechende Filme zu schreiben?

Ja, das ist natürlich die Königsdisziplin. Da gibt es zahlreiche Ideen und Skizzenhefte, die aber wohl auf absehbare Zeit solche bleiben werden. Filmmusik zu komponieren kann ich mir auch sehr gut vorstellen. Wer weiß, vielleicht bringt die Zukunft irgendwann diese Gelegenheit.

Du hast schon vor einem knappen dreiviertel Jahr angedeutet, dass du bereits mehrere Alben für die nächsten vier Jahre geplant hast. Das ist ungewöhnlich – wann und wie entsteht so viel Musik und woher kommt sie? Bist du eher ein „Jam“-Komponist, oder bringst du nur zu Instrument, was du in deinem Kopf hörst?

Die vergangenen 20 Jahre hatte ich reichlich Gelegenheit, Ideen zu sammeln. Diese sind gewachsen und gewachsen, oft ohne rechtes Ziel, ohne Ausrichtung, einfach wie sie dahersprudelten. Eines Nachts erschien mir ein episches Bild mit einer großen dreidimensionalen Landkarte. Die Karte lebte. In ihr gab es Flüsse, Wälder und Seen, Wiesen mit Tieren, Gebäude, ein Dorf und eine gigantische Stadt. Wie ein Kippbild kippten diese Landschaften fließend in andere Landschaften, ein ewiger Fluss der Wandlung. Und plötzlich erkannte ich hinter allem einen Bauplan, das Weltengesetz der Wandlungen. Und mit einem Mal waren all die fragmentarischen Ideen der vergangenen 20 Jahre wohlgeordnet in diese Landschaften gruppiert. Ich erkannte, wie all diese Fragmente zusammengehörten. Und da waren mit einem Schlag all diese Alben geboren.

Wie kann man sich die nächsten Alben im Detail vorstellen? Wird das noch etwas sein, was man in der doch recht limitierten Metalszene noch hören möchte?

Album Zwei führt in die mechanisch-robotische Metatropolis-Welt. Sterile Sternenkratzer unter gigantischen Glaskuppeln. Der megalomanische Turm NovoPharus, Richtpfeil und Ziel, Speer und Brücke zugleich. Bis schließlich in Eltania die Nacht anbricht.

Album Drei bringt eine episch-getragene Ruhe. Freie Horizonte in freien Landschaften, Wüsten der Katharsis, Wege an denen selbst Orte nur Wege sind auf der Suche nach der Sonne.

Album Vier sprengt die glatten Masken und Blendbilder der Zivilität und erbricht eine animalischen Kakophonie der schwarzen Abgründe. Das Tier erwacht und schreit nach dem jüngsten Gericht.

…und so fort…

Ob eine Metalszene das noch hören möchte ist irrelevant. Relevant ist nur, dass es jemand hören möchte, egal woher er oder sie auch immer kommen mag.

Ist es für dich denkbar, dich aus dem gesamten Metaldunstkreis früher oder später zu verabschieden und CHRYST sowie Omniversal Records in anderen Bereichen (z.B. vergleichbar mit der Zielgruppe von ULVER) zu etablieren?

Das ist nicht nur denkbar, sondern bald Wirklichkeit. Musikstile sind nur Form. Was aber zählt ist der Inhalt. Bereits das dritte CHRYST-Album wird ausschließlich aus epischen Balladen bestehen, welche nur noch aufgrund der Arrangements eine lose Metalverwandtschaft aufweisen. Das fünfte und das sechste CHRYST-Album werden mit Metal nichts mehr zu tun haben, aber dennoch durch die bizarre Atmosphäre alle Freunde der bisherigen KOROVA, KOROVAKILL und CHRYST Alben in ihren Bann ziehen.

Ein investigatives Ende: Als Dankeschön für ein Dutzend so unfassbar intelligenter und überlegter Fragen möchtest du mir sicherlich verraten, warum und mit wem du 2001 die MARS ON EARTH-Mini-CD aufgenommen hast!

Das mache ich selbstverständlich sehr gerne unter vier Augen…

Und zuallerletzt: Als Metalweihnachtsmann darfst du jetzt drei bestechende Argumente nennen, warum „Phantasmachronica“ auch 2012 unter jedem Plastikweihnachtsbaum liegen sollte.

Santa CHRYST empfiehlt „PhantasmaChronica“, weil es große Freuden bringt, aber dennoch zum Denken anregt, somit das Angenehme mit dem Herausfordernden verbindet. Und da die CD selbst wie Weihnachten ist, ist auch jeden Tag die beste Gelegenheit, das Album unter den eigenen Weihnachtsbaum zu legen, um es dann wieder aufzuheben und aufzulegen.

Quelle: Chryst
04.03.2012

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1 Kommentar zu Chryst - Interview mit Chrystof zu "Phantasmachronica"

  1. Hans-Hubert sagt:

    Opas und das Erinnerungsvermögen, ja ja… Natürlich hat er das in meinem Interview mit ihm, drüben bei Musikreviews.de gesagt. Der Chrystof ist ein Schlingel, ein Schlitzohr, ein ganz frecher Hund. 😉