Marathonmann
Interview mit Michael Lettner

Interview

Marathonmann

Es ist ein kalter und verregneter Tag, als ich mich auf den Weg zu den Century-Media-Headquarters im Dortmunder Hafen mache. Von der U-Bahn-Station sind es nochmal gut 400 Meter, dann stehe ich vor der Tür des mehrstöckigen, containerartigen Gebäudes. Oben angekommen erwartet mich schon ein entspannter Michael Lettner, der sich nur vor dem Interview noch die nächste Dose Energy-Drink besorgen muss. Der MARATHONMANN absolviert heute klar ersichtlich einen Interview-Marathon. Trotzdem steht er mir in der nächsten halben Stunde offen und ehrlich Rede und Antwort zum neuen Album „Mein Leben gehört Dir“.

Marathonmann

Herzlichen Glückwunsch zum neuen Album erst einmal. Ich finde, „Mein Leben gehört Dir“ ist wieder eine echt runde Sache geworden. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass ihr euren individuellen Stil und Sound als Band sehr schnell gefunden habt. Habt ihr irgendwann mal darüber gesprochen, was euch ausmacht?

Wir haben da nie drüber gesprochen. Ich glaube, das kommt einfach von uns als Personen. Wir hören alle komplett unterschiedliche Musikrichtungen und wenn das zusammenprallt, dann kommt einfach unser Stil dabei heraus. Und vom Sound her lieben wir alle einfach richtige Amps, kein Dosen/Re-Amp-Zeug, und wollen einfach diesen authentischen, roughen Sound. Und dann denke ich, liegt es natürlich auch viel an meiner Stimme und den Texten. Und wenn man das alles zusammenklebt, dann hat man irgendwie unseren Klang. Wir können glaube ich auch gar nicht davon weg. Es ist sehr interessant. Auch im Bezug auf die neue Platte. Wir haben es einfach gemacht und dann war es am Ende auch wieder MARATHONMANN. Das ist der Kern, das sind wir.

Wo siehst du bei der neuen Platte die größten Unterschiede zu den Vorgängern?

Schon ein bisschen beim Songwriting beispielsweise. Wir haben uns diesmal ein paar mehr Gedanken gemacht, auch was die Effekte und einzelnen Parts angeht. Dann natürlich das Schlagzeug, weil wir auch einen neuen Schlagzeuger haben, der einfach besser ist und mehr Gefühl für diese Musik hat. Irgendwie finde ich alles ein bisschen griffiger als das letzte Album. Auch vom Grundsound her. Sowohl beim Songwriting als auch beim Sound sehe ich eine Weiterentwicklung.

Kannst du was zum Albumtitel erzählen?

Der Albumtitel „Mein Leben gehört Dir“ hat zwei Seiten: Einerseits hat man ja heutzutage oft dieses Problem, dass man sein Leben nicht mehr leben kann, wie man es will. Dass viele auch gar nicht wissen, wie sie ihr Leben leben wollen, weil der Druck von außen, sei es Arbeit, oder Erwartungshaltungen, auf einen hineinschlagen. So dass man am Ende depressiv wird, weil man sein Leben nicht leben kann. Man rennt jeden Tag zur Arbeit und hasst es, aber man tut nichts dagegen, weil man Angst vor einer Veränderung hat. Angst davor, dass man dann irgendwann auf der Straße sitzt oder seine Familie nicht mehr ernähren kann. Und dann gibt man am Ende so weit auf, dass man am Boden ist und komplett sein Leben an Andere hergibt.

Und auf der anderen Seite kann der Titel natürlich auch heißen, dass man einer Person sein Leben schenkt oder einer Leidenschaft wie eben der Musik, oder seinen Kindern, seiner Frau. Dass man durch die Liebe sei Leben oder sein Herz jemand anderem gibt, was auch ein gutes Gefühl sein kann. Und so haben wir diese zwei Seiten: die totale Aufgabe, aber auch diese Hingabe an etwas. Das findet sich auch im Albumcover wieder, diesem einsamen Zelt in den Bergen. Das sagt aus, dass man doch vielleicht mal öfters nachdenken sollte, in sich gehen sollte und nachdenken, was man überhaupt will, ob das Leben, das man gerade lebt, das ist, was man leben will.

Gut, dass du direkt auf das Albumcover zu sprechen kommst, dazu hätte ich auch noch eine Frage. Es ist zwar einerseits sehr dunkel gehalten, andererseits aber doch auch irgendwie naiv und verspielt – gerade im Kontrast zu den doch sehr deprimierenden Texten. Wer war für das Cover verantwortlich?

Wir hatten per Zufall im Internet jemanden gefunden, der dieses Zelt gemalt hatte. Ursprünglich wollten wir ein Shirt damit designen und hatten das zu diesem Zweck irgendwann schon mal gekauft. Wir hatten erst ein anderes Cover, das aber überhaupt nicht funktioniert hatte. Das war mit diesem Obdachlosen mit einem Schild in der Hand und einem Hund daneben. Das sollte zuerst dieses Thema der Selbstaufgabe und der Hingabe darstellen. Aber als wir es dann nachstellen wollten, hat es einfach nicht funktioniert. Du kannst einfach einen Obdachlosen nicht durch einen Freund darstellen. Das merkt man einfach. Und das Foto von irgendeinem Obdachlosen, den man nicht kennt, einfach nehmen, geht auch nicht. Ich kenne diesen Menschen nicht. Vielleicht ist er schon tot oder was auch immer – so etwas mache ich nicht auf ein Plattencover. Und dann haben wir das Zelt irgendwie wiedergefunden und mir ist aufgefallen, dass es eigentlich perfekt passt. Dieses minimalistische und kindliche, fast im Stile des „Kleinen Prinzen“ oder von „Wo die wilden Kerle wohnen“. Einfache Strichzeichnungen, kombiniert mit diesem harten Titel – dafür haben wir uns dann entschieden. Da gibt es auch noch andere Zeichnungen dazu, die im Cover enthalten sind, andere Bilder im selben Stil, von dem gleichen Künstler.

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Würdest du das Stichwort „Selbstaufgabe“ dann auch als Oberthema für das Album sehen?

Ja, das zieht sich auf jeden Fall so durch. Es geht auf dem Album um ein großes Thema, meiner Meinung nach das größte von allen, um das Leben. Darum, dass man sein Leben so lebt, wie man will, nachdenkt, die Augen aufmacht und Menschlichkeit beweist. Man muss sich nicht von der Bild-Zeitung beeinflussen lassen. Wir haben alle selbst ein Gehirn und ein Herz und können selbst entscheiden, wie wir fühlen, denken, oder irgendetwas entscheiden. Das zieht sich definitiv durch das ganze Album.

Ich habe beim Hören angestrengt nach dem Hoffnungsschimmer gesucht. Wenn man genau hinhört, wird man fast erschlagen von den vielen deprimierenden Worten und Szenarien. Würdest du sagen, dass du diesmal den erlösenden Textzeilen noch weniger Platz eingeräumt hast als vorher?

Ja, das habe ich auf jeden Fall. Ich persönlich finde den Titel halt sehr hart, wenn man ihn sich mal länger durch den Kopf gehen lässt. Von daher wollte ich das schon so machen. Aber irgendwo gibt es immer die kleinen Lichtblicke, selbst wenn man dann erkennt, dass man sich ja selbst gerade in dieser Situation der Selbstaufgabe befindet und dann vielleicht umschaltet und erkennt: So kann es nicht weitergehen. Und dann kann man vielleicht für sich selbst noch den Schalter umlegen.

Ihr startet ja mit „Stand der Dinge“ in das Album, einem gesprochenen Intro. Wo habt ihr dieses Zitat eigentlich aufgegabelt? Stammt das aus einem Film oder Hörspiel?

Nein, ich habe das selbst geschrieben.

Und wer hat es eingesprochen?

Auch ich.

Das bist du? Krass.

Alle die es bis jetzt gehört haben, wussten nicht, dass ich es war. Wir wollten es eigentlich jemand anderen sprechen lassen, einen älteren Herren. Also ich wollte die Synchronstimme von Jack Nicholson, aber das ist viel zu teuer. Und dann habe ich es halt selbst eingesprochen. Ich hatte es geschrieben, um das Album so einzuleiten und die Hörer darauf vorzubereiten, was so passieren wird.

Ich wollte schon immer mal so eine Einleitung wie in einem Buch haben. Und jetzt haben wir so was endlich mal auf einem Album. Es ist wirklich witzig, jeder sucht es im Internet, finde ich gut. (lacht) Na gut, ein Satz ist aus „Die Mächte des Wahnsinns“, dem Film von John Carpenter. Ein einziger Satz in dem Ding. Sonst ist alles von mir.

Der Titeltrack des Albums ist ja nun auch sehr untypisch für euch, da er fast eher einer Spoken-Words-Performance ähnelt, um die ihr ein musikalisches Gerüst gebaut habt. Stand der Text hier so im Mittelpunkt, dass ihr euch dazu entschieden habt, ihn dort zu belassen und ihn nur mit musikalischen Farbtupfern zu untermalen?

Genau so war es gedacht. Einige haben es nicht verstanden, was man ja anhand der Facebook-Kommentare auch gut sehen konnte. Aber wir haben uns bewusst dazu entschieden. Wir wollten einen zuerst eigenständigen Song releasen, der anders ist als alles, was wir bisher gemacht haben. Der Song ist ja auch wie kein anderer Song auf dem Album. Und wir wollten extra etwas, das ein bisschen schwerer zu verdauen ist. Nahe an der Band gefilmt, in dem Video sieht man nur uns, man muss zuhören, wenn man es anguckt – und das ist voll aufgegangen. Klar gibt es ein paar Hater, aber das ist okay.

Zieht euch so was irgendwie runter, wenn ihr dann auf einmal bei einem Video für eure Verhältnisse überproportional viele Dislikes habt?

Nein, ich finde es eher interessant, Kommentare zu lesen wie: „Ihr wart mal cool, ihr klingt jetzt wie REVOLVERHELD.“ Denn genau das ist es, was ich auch auf dem Album anprangere. Dass nämlich die Leute nicht mehr selbstständig nachdenken, wenn sie so etwas schreiben bei einem Song, der definitiv nicht nach REVOLVERHELD klingt. Der Song klingt einfach nicht so. Wenn es so wäre, würde ich sagen: „Okay, dann haben wir dich jetzt enttäuscht, sorry.“ Aber das ist einfach so ein Nachgelaber. Der kennt wahrscheinlich einen Song von REVOLVERHELD und sagt: „Ach, das ist ja eine Ballade, also ist es REVOLVERHELD.“ Das ist genau das, was ich meine. Die Leute setzen sich mit nichts mehr richtig auseinander. Fragen sich nicht, warum wir diesen Song jetzt veröffentlicht haben. Das geht dann so: „Ne, das ist nicht mehr schnell, das finde ich doof.“ So etwas dann zu lesen ist einfach ein bisschen traurig. Man muss es nicht cool finden. Man kann auch sagen, dass der Song scheiße ist. Aber bitte nicht, dass er klingt wie REVOLVERHELD, denn das ist einfach nicht richtig.

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Aber mutig ist es ja trotzdem, einen Song zu veröffentlichen, der einfach so gar nicht repräsentativ für das Album ist. Ärger mit der Plattenfirma gab es da aber keinen?

Also wenn, dann habe ich ihn nicht mitbekommen. Wir wollten das unbedingt machen und dann haben wir das einfach entschieden. In dem Moment, in dem wir den Song fertig gestellt haben, war uns klar, dass das die erste Single wird. Das haben wir alle so gefühlt.

Findigen YouTube-Menschen ist ja auch aufgefallen, dass in dem Musikvideo zu „Mein Leben gehört Dir“ deine Basssaite verklemmt ist.

Ja, sie war verklemmt. Die Basssaite war verklemmt, ja super. Das ist wichtig bei dem Song. Anscheinend ist das für manche wichtig. Ich hab das von mehreren schon gehört jetzt. So nach dem Motto, dass das ja nicht sein kann. Ist doch egal.

Noch eine generelle Frage, weil der Titeltrack ja so textbasiert ist. Textest du auf Musik oder kommt der Text zuerst bei dir?

Ich texte auf fertige Songs. Der Song sagt mir dann, was er für einen Text braucht. Ich habe ein Notizbuch, da sind ein paar Schlagwörter und Themen drinnen und dann schreibe ich halt immer weiter, wenn ich es gerade fühle. Das ist jetzt ein bisschen komisch gesagt, aber es ist wirklich so. Ich kann mich nicht hinsetzen und sagen, dass ich jetzt für genau diesen Song einen Text schreibe. Es kommt dann halt irgendwie. Manchmal schreibe ich auch eine Woche nichts, obwohl wir es brauchen. Und andere Texte schreibe ich dann so runter. Aber es muss schon was da sein. Ich schreibe keine Texte, die ich dann auf Songs draufpatsche.

Auf „Du lässt die Farben gehen“ habt ihr mit Andreas Dörner von CALIBAN einen Feature-Gast. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Erstmal sind die ja beim gleichen Label, was den Kontakt vereinfacht hat. Aber das war nicht der Grund. An sich gibt es zwei Gründe. Erstmal supportet der Andi uns irgendwie schon von Anfang an, der schreibt in seinem Blog öfters mal über uns und postet Sachen von uns. Einmal war er beim „Omas Teich Festival“ auch bei einem Konzert von uns. Er ist also eine Art Fan. Und das finden wir natürlich super und er ist auch super nett. Der zweite Grund ist der, dass es für viele Leute glaube ich unerwartet klingen wird, wenn sie hören, dass der von CALIBAN mitsingt und nicht irgendjemand mit deutschen Texten wie JENNIFER ROSTOCK oder ADAM ANGST. Und das fanden wir spannend und vielleicht polarisiert es: CALIBAN singt bei MARATHONMANN, und dann auch noch in deutscher Sprache. Definitiv eine super Sache und als wir es gehört haben, fanden wir es auch klasse. Darum haben wir es gemacht: weil wir es wollen.

Würdest du es dir generell zutrauen, stimmlich auch in solche Metalcore-Bereiche vorzustoßen?

Ich habe den Song ja auch mitgesungen. Das wird jetzt glaube ich nicht verwendet und es ist definitiv schwieriger für mich. Eher nein also.

Im gleichen Song wechselst du ja auch zwischendurch die Sprache. Woran merkst du, dass eine Songstelle so etwas hergibt?

In dem Song ist es ein Zitat aus „Alice hinter den Spiegeln“, dem zweiten Teil von Alice im Wunderland. Das hatte ich da gerade gelesen und der Text passt so halb ins Lied, aber bei diesem Zitat habe ich gefühlt, dass es da jetzt rein muss. Und zwar in englischer Sprache. Ich hätte es auch ins Deutsche übersetzen können, aber ich habe gefühlt, dass es da jetzt so reingehört. Und wenn ich es jetzt höre denke ich mir, dass es die richtige Entscheidung gewesen ist. Das mit dem Englisch ist auch kein Muss, wenn ich jetzt einen französischen Text toll gefunden hätte, hätte ich den auch genommen. Ich finde es immer toll, wenn man in der Musik oder den Kunst generell, den Gefühlen ein bisschen freien Lauf lässt und Dinge macht, die nicht so erwartet werden.

Ist Literatur ein wichtiger Einfluss für dich, wenn es an das Schreiben von Texten geht? Oder woher nimmst du deine Ideen?

Einige Bücher auf jeden Fall. Ich lese gerne die Sachen von Haruki Murakami. Da sind ein paar Dinge von in die Platten eingeflossen. Und ansonsten viele Filmsachen natürlich: „Goonies“, „Stand By Me“ – so diese Jugendfilme, dann Hitchcock-Filme und so weiter. Ich höre und schaue dann immer genau hin und schreibe mir auch viel auf, wenn ich Filme schaue. Aber generell kann es alles sein: Filme, ein Buch, eine Vorlesung oder ein Bild. Das sind alles Einflüsse, die ich verarbeite.

Wie kriegt ihr das eigentlich momentan zeitlich so mit dem Bandleben auf die Kette?

Wir arbeiten alle, nehmen unseren Urlaub für Touren. An freien Tagen wird aufgenommen. Bisschen stressig ist das schon. Muss man leider sagen. Aber wir lieben es, Platten zu machen. Gerade die letzten Aufnahmen waren aber super schwierig. Wir haben ja in Augsburg aufgenommen, da mussten wir auch immer erst hinfahren und das war wirklich hart.

Was steht tourmäßig bei euch an?

Am 24. März startet unsere 12 Tage lange Tour mit WOLVES LIKE US und wir werden in jeder Stadt eine andere lokale Band haben, die uns supportet. Wir wollten kleinen Bands mal eine Chance geben, auch mal cool zu spielen. Da gab es ein Voting und wir haben die Bands selbst ausgewählt. Wirklich teilweise so Gruppen mit 150 Likes, die echt cool sind! Die nie jemand irgendwie so richtig wahrnimmt. Und die Platte kommt dann einen Tag nach dem Tourstart. Das wird spannend!

31.03.2016

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