Obscura
Interview mit Steffen Kummerer

Interview

Apropos akademischer Zugang: Würdest du behaupten, dass sich nicht-studierte Bands irgendwie von studierten Gruppen unterscheiden?
Gute Frage – wenn man das herunterbricht, gibt es nur Musik, die einem gefällt und welche, die einem nicht gefällt. Das Einzige, was ich nicht mag, sind Musiker, die studiert haben und denken, sie seien etwas Besseres als die, die es nicht getan haben. Ein gutes Riff ist ein gutes Riff und wenn ich mir Bands wie MOTÖRHEAD oder KREATOR anschaue, da hat auch keiner studiert, aber es macht Spaß und ist gute Musik. Free-Jazz, so sagt man zumindest, sei nur etwas für akademische Hörer und ich find es nicht unbedingt gut. Ich glaube nicht, dass es da einen Unterschied gibt hinsichtlich eines guten oder besseren Resultats eines Studiums wegen. Natürlich gibt es einem mehr Möglichkeiten, weil man mehr über Harmonielehre weiß, mehr über Arrangements, mehr über die musikalischen Hintergründe des Instruments das man spielt, aber deshalb ist man noch kein besserer Musiker.

In der Kunst, behaupte ich, geht es darum, ohne Zufall und Willkür das Resultat zu schaffen, was das zum Ausdruck bringt, was man darstellen möchte. Ich würde studierten Bands einfach schneller zuschreiben, dass sie wissen, was sie tun und die Songs keinem „Zufallstreffer“ gleichkommen.
Schwer zu sagen, da möchte ich mich nicht festlegen. Klar kann man analytisch hören – man kann sich aber auch einfach fallen lassen.

Natürlich, allerdings offenbart doch oft erst das analytische Hören die Details, die mitaufgenommen und produziert werden. Insbesondere das Nachvollziehen außergewöhnlicher Rhythmen und Taktarten oder den Songaufbau – das sind doch auch Dinge, auf die OBSCURA angewiesen ist.

Jein, ich verstehe den Punkt. Was wir aber versuchen, ist, den Mittelweg zu finden. Mich hat „Focus“ von CYNIC vor bestimmt 15 Jahren total von den Socken gehauen, weil das Album einfach sehr flüssig wirkt. Wenn man gleichzeitig versucht, ein oder zwei der Songs zu covern, stößt man als Anfänger schnell an seine Grenzen. Ich fand es interessant, Musik zu haben, die sowohl Nicht-Musikern, als auch den totalen Musik-Nerds unter der Oberfläche etwas bietet, was ihnen gefällt. Es gibt ja auch bei großen Bands, sagen wir mal DREAM THEATER, Leute, die in der ersten Reihe stehen, mit einem Taschenrechner und sehen „oh, das ist ja ein 15/16 Takt“ und die, die sich einfach reinstellen und eine wirklich gute Band beim Performen genießen. Ich finde es gut, beiden Fraktionen etwas zu geben.

In erster Linie macht man Musik für sich selbst. Und das, was uns Spaß macht, sind einerseits Songs mit Hooklines, die live Spaß machen und andererseits Musik, die interessant gehalten ist, dass man bei jedem Song etwas „dazulernen“ kann: Technik, Akkordverschiebungen, Harmonielehre und so weiter. Wir versuchen, es an allen Ecken interessant zu halten. Wir haben jetzt seit langer Zeit mal wieder mit Streichern gearbeitet oder ein Monochord eingebaut. Die Vocoder-Passagen sind komplett auskomponiert, wie man in der klassischen Musik Chöre auskomponieren würde – wir haben nur eine andere Klangfarbe verwendet. Das auszuarbeiten und gleichzeitig hörbar zu gestalten, dass jemand der kein studierter Musiker ist, der einfach nur Bock auf eine Death-Metal-Band hat, etwas darin findet, was ihm gefällt.

Nochmal zurück zum Text-Konzept: Anfangs hast du gesagt es gibt den astrophysischen Teil, den naturphilosophischen sowie den religiösen. „Septuagint“ beschreibt beispielsweise den Tanach. Wie behandelt ihr Religiosität in euren Texten? Ich habe versucht, mich dem Text zu „Septuagint“ etwas anzunähern und ihr beschreibt eine Dualität und kombiniert diese mit der Weltseele, einer These, die dem Kosmos eine Seele zuspricht. Separat davon besitzt der Mensch eine Seele, so gesehen werden Mensch und Kosmos voneinander abgetrennt oder als zwei Dinge betrachtet. Versucht ihr das auch musikalisch aufzugreifen?
Da muss ich jetzt sehr weit ausholen. Die komplette „Omnivium“-Platte basiert auf einem Buch des Naturalisten Friedrich Schelling, mit dem Titel „Clara“. Es behandelt eine Diskussion auf drei Ebenen: Realität, Religiosität und Rationalität. Da sehe ich die Idee des Dualismus von Himmel und Hölle. Dualität ist nicht nur im Christentum abgebildet. Die Verbindung zu „Akróasis“ ist folgende: Schelling hat ein Buch geschrieben, „Von der Weltseele“, was sehr philosophisch ist und worüber jeder Physiker die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und schreiend wegrennen würde. Die Idee jedoch fand ich sehr interessant. Man muss dazusagen, dass man im 18. Jahrhundert nicht das Wissen hatte, auf dem man heute aufbauen kann. Aber ich finde diese Interpretation der Weltseele sehr spannend. Diese Idee habe ich versucht, gleichzusetzten und zu verbinden mit dem Buch „Akróasis“ des schweizer Professors Hans Kaiser. Darin geht es um den pythagoreischen Gedanken einer Harmoniestruktur unserer Existenz und unseres Universums. Es besagt, dass der Planetenaufbau, unsere DNA, wie Pflanzen wachsen und so weiter, auf einer harmonischen Struktur basiert – diese Zwei-Zu-Drei-Verschiebungen.

Keppler hat gesagt, die verschiedenen Planeten laufen in ihren Umlaufbahnen harmonisch zueinander und stellte daraus die These auf, bevor ein sechster Planet gefunden wurde, wo ein weiterer Planet demnach sein müsste, was sich bewahrheitete. Diese Idee der Harmoniestruktur, des Kosmos und der Weltseele versuche ich miteinander zu kombinieren und auf die dritte Ebene die Religiosität zu stellen. Diese versuche ich aus verschiedensten Blickwinkeln zum Ausdruck zu bringen. Auf der neuen Platte wäre da „Ten Sepiroth“, da wären wir wieder beim Judentum, oder „The Monist“, der das ganze negiert und als Monismus darstellt – Gut und Böse sind eins, wie Yin und Yang im Hinduismus. Das Christentum wird in „Ode To The Sun“ behandelt und aus all dem versuche ich eine Geschichte zu formen. Das ist auch mit „Cosmogenesis“ und „Omnivium“ verlinkt, hinsichtlich der verwendeten Autoren Schelling und Goethe, der ein Gedicht verfasste, was da heißt „Weltseele“. Die beiden kannten sich und damals war die Weltseele etwas, worüber man sich Gedanken gemacht hat. Gleichzeitig habe ich ein Gedicht von Milton gefunden, dass ich dann mit THULCANDRA abgearbeitet habe. Dabei entstanden so viele Zufälle, dass ich das einfach verarbeiten musste.

Interessanter Ansatz.

Ich bin Realist und weiß, dass etwa 95 Prozent der Leute, die eine Platte von uns kaufen, nichts auf die Texte geben. Dessen bin ich mir bewusst. Vielleicht wissen sie die Musik zu schätzen, aber die Texte interessieren vielleicht eine Handvoll Leute.

Und endet im Zweifelsfall als YouTube-Kommentar mit den Worten „Hey, die haben sogar philosophische Texte“.

Genau – „mit Planeten und Zeug“, alles schon gelesen (lacht). Aber das ist in Ordnung.

Wenn du sagst, die Musik schreibst du für dich, wirst du die Texte vermutlich auch in erster Linie für dich selbst schreiben. Sich dabei solchen Themen anzunähern, kann letztlich für einen selbst nur „nahrhaft“ sein.
Definitiv, macht auch Spaß, sonst würde ich mich nicht so einlesen. Klar, man versucht es immer besser zu machen. Wie als Instrumentalist, der auch übt, lese ich mehr und mehr und versuche dadurch die Texte besser zu machen. Ob dann jemand die Aussage dahinter mitkriegt oder nicht, ist dann eher einerlei. Wie du schon sagtest, die meisten Texte schreibe ich für mich selbst.

Ich würde sogar behaupten, so etwas wie eine Message gibt es in dem Fall nicht. Vielmehr stellst du etwas zur Verfügung, worüber nachgedacht werden kann.
Wenn man sich einliest, gibt es durchaus eine Botschaft. Alle religiösen Aspekte, die ich anspreche werden negiert. Wie erkläre ich das am besten?

Du musst es gar nicht erklären. Es ist doch schön, wenn etwas Nebel erhalten bleibt.

(lacht) Ach so? Ich fand‘ die Interviews immer leicht fad wenn es hieß: „Die Texte sprechen für sich selbst, lest sie selber durch“.
Man geht davon aus, dass mehr als zwei Drittel unseres Kosmos aus Dunkler Materie bestehen und von dem her die Dunkelheit der Status Quo ist, in dem das Licht vielmehr ein Eindringling ist. Wenn man das beispielsweise aufs Christentum umwälzt, dass man aufs Licht zugeht, zur Erlösung, ist das das eigentliche Verderben. Oder „Ode To The Sun“, eine Preisung der Sonne, ist vielmehr eine Totenmesse. „Sermon of the Seven Suns“ schildert die Apokalypse durch Sonnenstrahlung aus buddhistischer Sicht. Genau betrachtet ist „Akróasis“ die dunkelste und zerstörerischste Platte, die ich je geschrieben habe. Da kann jede Black-Metal-Band heimgehen (lacht).

Übersetzt bedeutet „Akróasis“ „hören“. Dazu fällt mir das Nadabrahma Yoga ein, was darauf basiert, dass alles auf Frequenzen fußt. Der Ursprung wird in den Schwingungen gesucht.
Gut, dass du das ansprichst. Von der Uni, an der ich arbeite, kenne ich die Psychotherapie mit Tönen. ?Wir haben ein Monochord aufgenommen, der genau diesen Ursprungsgedanken der Frequenzen überträgt. Ein altes pythagoreisches Instrument mit sechsunddreißig Saiten, alle auf denselben Ton gestimmt, und etwa zwei auf einen Meter groß. Beispielweise mit Kindern lässt sich damit arbeiten. Man legt sich auf das Instrument oder lehnt seinen Kopf daran an und spürt die Schwingungen. Dieser Gedanke ist schon Tausende von Jahren alt. Dieser Ursprung bezieht sich auf den Monismus und die Weltseele, da man die Welt und den Kosmos hören kann, da diese harmonisch aufgebaut sind. In den Siebzigern oder Achtzigern gab es auch ein Experiment, die Mondumlaufbahn in Töne umzuwandeln. Und das mit dem Monochord – seinen Körper den Schwingungen preiszugeben – ist allemal eine Erfahrung wert, ganz gleich ob man es schlussendlich gut oder schlecht findet.

Abschließend: Was wolltest du denn in einem Interview mal gefragt werden?

Die meisten Fragen habe ich über die vergangenen Jahre beantworten dürfen. Wie lange wird es OBSCURA noch geben?

Wie lange wird es OBSCURA noch geben?

So lang, bis uns die Ideen ausgehen und das wird hoffentlich nicht so bald passieren. Oder wann geht ihr mit Madonna auf Tour? Hoffentlich morgen. (lacht)

Machen würdet ihr es eh.

Na klar – nicht umsonst, aber klar.

Dann bedanke ich mich für deine Zeit und die aufschlussreichen Worte.

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25.01.2016

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