Stilla
Interview mit A. Vidhall zu "Till Stilla Falla"

Interview

Stilla

Selten haben Schweden so norwegisch geklungen. Selten ist eine Band, die es erst seit 2011 gibt, so 1994 gewesen. Selten hat eine Band so früh im Jahr, nämlich schon im Februar, ein „Album des Jahres“ veröffentlicht. Und selten hat eine so gute Band so wenig Aufmerksamkeit bekommen. Leider habe ich auch selten so lange für die Übersetzung eines Interviews gebraucht. Glücklicherweise ist STILLAs Musik auf „Till Stilla Falla“ ähnlich zeitlos gültig, wie es die Worte von Andreas Vidhall sind.

Herr Vidhall – mit LÖNNDOM, WHIRLING, DERANGED und zuletzt DE ARMA seid du und deine Kollegen in verschiedensten Bands und Projekten aktiv. Warum muss es da noch STILLA sein?

STILLA begann als Idee und Vision, die Pär und ich geteilt haben und die im Herbst 2011 – oder auch etwas eher, jedenfalls irgendwie zeitgleich – Wirklichkeit wurde, und die Umsetzung und den Ausdruck bestimmter Gefühle und einer gewissen Atmosphäre im Sinn hatte, die in unseren anderen musikalischen Projekten nicht da war. Das fing an, als Pär ein paar Songs komponierte, die zurückreichten zu unseren gemeinsamen musikalischen Ursprüngen – dem kalten, melodischen Black Metal der frühen bis Mittneunziger in Norwegen (oder sonstwo). Es gibt bestimmte namenlose Phänomene, die nur durch diese Art künstlerisch ausgedrückt werden können. Deshalb STILLA.

In der Band spielen, neben dir als DERANGED-Basser, der schon genannte Pär von BERGRAVEN, Andreas von LÖNNDOM/DE ARMA etc. und DE ARMA/WHIRLING-Drummer Johan. Ein ziemlich vielfältiges Kollektiv von Musikern, würde ich sagen. Was ist euer gemeinsames Interesse daran, diese Musik zu machen und wie habt ihr zusammengefunden?

Im Grunde, wenn man meine Beteiligung an DERANGED aus der Aufzählung herausnimmt und Herrn Marklunds SORGELDOM hinzufügt, laufen eigentlich doch alle Projekte parallel in dieselbe Richtung und erforschen bestimmte düstere Emotionen und Vibrations, interne und externe, aber immer sehr persönliche.
Die Entwicklung der Band, von ein paar Demotracks, die Pär in Einsamkeit aufgenommen hat und der Inspiration, etwas daraus zu machen, bis zu der Phase, in der wir jetzt sind, mit einem Line-Up und einem fertigen Album…  Pär und Andreas Pettersson haben eine lange gemeinsame Geschichte und bei verschiedenen musikalischen Gelegenheiten zusammengearbeitet. Mit seinem Nordvis-Studio und der Verbindung zu Johan Marklund, der sich oft genug als fantastischer Drummer mit einer perfekten Herangehensweise für diese Art von Musik bewiesen hat, fiel die Entscheidung, uns zusammen zu tun und ein gemeinsames Album aufzunehmen, ganz natürlich. Was uns verbindet? Die Sehnsucht nach Trost und einsamen Landschaften in Form von Musik.

Black Metal ist ja grundsätzlich eher keine besonders stille Form der Musik. Welche Art Stille hat denn der Band ihren Namen gegeben?

Ist sie auch nicht, und unser Black Metal auch nicht. Diese Stille ist eher eine höhere Form mentaler, vielleicht auch spiritueller Reflektion und Ruhe – sich selbst wegzubewegen von der Präsenz der Menschheit und Zivilisation, eine intensivere Form der Existenz zu erreichen. „Without life the land lies desolate“, um mal die mächtigen (frühen!) MANES zu zitieren. Stille als das Gegenteil und Gegensatz zum Chaos der Schöpfung: Die Abwesenheit der Menschheit und die Verlassenheit der reinen Natur, die pechschwarze Leere des Todes, der endgültige Hitzetod des Kosmos am Ende der Zeit. Außerdem ist es eine angemessene Gegenüberstellung weg von den Klischee-Chaosverbreitern des modernen Black Metals, mit denen wir wirklich gar nichts gemeinsam haben.

Wenn ich mir „Till Stilla Falla“ anhöre, habe ich Bilder von vier Musikern vor Augen, die sich in einer Art hölzernem Rückzugsort oder sogar Asyl inmitten der nordschwedischen Wälder einschließen, mit einer Kiste Aufnahmeequipment, einem Hektoliter kaltem Bier, Elchfleisch und einem Stapel Brennholz – und nach sechs Wochen graben sie sich mit einem fertigen Album zurück an die Oberfläche. Hat die Aufnahme des Albums etwa so stattgefunden, oder ist das eine zu romantisierte Vorstellung?

Das Fleisch war getrocknetes Rentier, aber abgesehen davon… ja, so wurde das Album tatsächlich aufgenommen. Die meisten Kompositionen entsprangen dem verlorenen Geist von Pär, inmitten der Hässlichkeit einer schwedischen Großstadt, und wurden dann anschließend von mir verdreht, aber die Aufnahme war eine gemeinsame Anstrengung.

Einen Neunzigersound zu reproduzieren, ist ein schwieriges Unterfangen, selbst mit Originalequipment aus dieser Zeit. Wie habt ihr das geschafft? Musstet ihr dabei auf fremde Hilfe zurückgreifen?

Wir haben Instrumente und Amps benutzt, missbraucht und gepeitscht, bis wir einen zufriedenstellenden Sound hatten. Bestimmte Anforderungen an das Alter des Equipments gibt es da nicht – wir haben benutzt, was da war. So sind übrigens, was schon zu vermuten war, auch die „klassischen“ Alben aufgenommen worden.
Alles ist innerhalb der Band entstanden, externe Hilfe gab es keine, auch nicht für Mastering oder Layout. Sogar die physische Produktion und den Vertrieb übernimmt Nordvis, Andreas‘ Label.
Bedenke bitte, dass STILLA in keinster Weise als „retro“ oder „old school“ betrachtet werden sollte, die fieberhaft versucht, nostalgisch irgendetwas zu emulieren, an das wir sowieso niemals heranreichen werden. Wir tragen zwar den Spirit einiger alter Werke, bauen aber auf diesen Quellen etwas für die Gegenwart, und das ist mehr als nur eine Erinnerung an „bessere Tage“. Was wir da verfolgen, ist musikalische Nekromantie, nicht Nekrophilie, auch wenn die meisten Menschen den Unterschied wohl gar nicht sehen werden.

Was ist eigentlich die Geschichte hinter dem Coverbild? Ich habe lange Zeit nichts so Atmosphärisches und Basales mehr auf einem Albumcover gesehen.

Du sagtest es selbst: „eine Art hölzerner Rückzugsort oder sogar Asyl inmitten der nordschwedischen Wälder“. Das Gebäude selbst hat die Aufnahmen mit einer unheimlichen, namenlosen Atmosphäre durchtränkt, und sollte vermutlich als fünftes Mitglied von STILLA angesehen werden.

Nachdem ich jetzt seit ungefähr 17 Jahren Black Metal höre, ist eine Sache für mich ganz klar: Jedes Debütalbum hat ein besonderes Flair, etwas, das keine Band jemals auf ihren weiteren Alben reproduzieren konnte. Habt ihr das ähnlich empfunden? Ist „Till Stilla Falla“ ein typisches Debütalbum?

Das stimmt: Ich denke, was alle Debütalben vereint, unabhängig vom Genre, ist ihre Unbedingtheit. Du weißt nicht, wohin die Reise eigentlich geht, und sehr wenig darüber, was du tust. Auch wenn man, im Falle von STILLA als Kollektiv, schon diverse Alben aufgenommen hat – grob überschlagen haben wir zusammen wohl an um die 20 LPs gearbeitet – ist „Till Stilla Falla“ trotzdem unser Debütalbum, das ohne eine Idee von dem fertigen Ergebnis oder davon, was die Essenz dieser Band als Phänomen außerhalb der beteiligten Musiker werden würde, entstanden ist. Aus Mangel an passenderen Worten: Es ist gleichzeitig eine Unschuld und Demut sowie, auf der anderen Seite, ein vollständiger Größenwahn im Debütalbum jeder Band zu spüren, die man nicht wiederholen kann, denn danach weiß vermutlich jede Band, was sie „ist“, was sie „sein sollte“ – und was sie sein möchte.

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26.05.2013

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2 Kommentare zu Stilla - Interview mit A. Vidhall zu "Till Stilla Falla"

  1. danke sagt:

    … für dieses tolle Interview!

  2. Hen. sagt:

    eines der bestgeführten interviews der letzten Jahre.
    Vielen Dank an Florian und Andreas.