Turbonegro
Turbonegro

Interview

Ein großer Tag! Interview mit TURBONEGRO, nach den Splits von GLUECIFER und den HELLACOPTERS den letzten großen Rock’n’Rollern aus Skandinavien. Mein Bruder Thomas, großer Fan der Norweger und ich trafen nahezu pünktlich am Veranstaltungsort, der Stadthalle Offenbach, ein. Angekündigt war eine Plauderrunde mit Frontröhre Hank van Helvete (sinngemäß übrigens "Hank aus der Hölle" und nicht "Hank der Schweizer"- welchen Sinn hätte das?!), der -Gerüchten zufolge- noch auf dem Offenbacher Weihnachtsmarkt unterwegs war, um für seine Kinder vom berühmten hessischen Christstollen (ohne Oliven) zu kaufen. Gitarrist Euroboy sprang, von der Tour sichtlich gezeichnet, bereitwillig ein. Eigentlich wollte ich ihn unabhängig von diesem Interview fragen, wie er zu seinem Namen kam- dann dachte ich mir, dass das vielleicht noch mehr Leute interessiert und startete mein Aufnahmegerät. Ach ja, eine Sache muss ich im Vorfeld gestehen: die schlaue Frage gegen Ende kam von Thomas. Bitteschön:

Turbonegro…anfangs wurden TURBONEGRO als die VILLAGE PEOPLE des Punk bezeichnet. Ich wurde Euroboy genannt, weil ich eher dandy war, ich habe nicht so auf harten Kerl gemacht sondern eher darauf geachtet, dass mein Stil einheitlich ist. Haare und Klamotten und so. „Euro-“ war damals eine moderne, eine coole Vorsilbe. Und weil ich der Jüngste in der Band bin, haben sie mich eben Euroboy genannt.

Und warum heißt ihr als Band TURBONEGRO?

Hm, da gibt’s ’ne Menge Gerüchte. Die plausibelste Geschichte ist wohl diese: Pal Pot, der damals Gitarre gespielt hat, kam aus einem Vorort von Oslo und fuhr immer mit der S-Bahn zu den Proben. Irgendwann sah er den Schriftzug „Turbonegro“ als Graffiti in einem Tunnel. Die anderen fanden, das sei ein cooler Bandname. „Turbo“ bedeutet schnell, „Negro“ dunkel oder düster- metaphorisch bezeichnet das genau das, was unsere Musik eben ist. Witzigerweise war das Graffiti verschwunden, als Pal wieder durch den Tunnel fuhr – ein Zeichen also. Wahrscheinlich vom Teufel! (lacht)

Und in Norwegen spielt Ihr sogar unter dem Namen TURBONEGER?

Stimmt, das war’s! “Turboneger“ stand da. Also TURBONEGRO auf norwegisch. Wir sind nicht unbedingt auf die englische Sprache festgelegt. Auf „Ass Cobra“ hatten wir einen norwegischen Song und auch sonst gibt’s bei uns immer wieder Wörter in anderen Sprachen. Wo immer wir spielen macht Hank seine Ansagen in der jeweiligen Landessprache. Jedenfalls versucht er es. (lacht)

Wow. Stark.

Naja, wir passen uns unserer Umgebung schon ein bisschen an (grinst), und wenn Du seine Ansagen erst mal gehört hast-

In Deutschland könntet ihr niemals unter diesem Namen spielen, hier reagieren viele sehr empfindlich auf die Bezeichnung „Neger“- weil das in deren Ohren so ähnlich klingt wie “Nigger“.

Im Ernst?? (Pause) – Das finde ich übertrieben.

Ja, ich auch… aber lassen wir das. Wie sind die Reaktionen auf Euch? Auf deutsche Vokabeln, auf das Kokettieren mit NS-Symbolik und offensives, schwules Gebaren?

Hm… wir haben ja als Underground-Punkband angefangen. Und unser damaliges Publikum hat den Spaß verstanden. Möglich, dass wir etwas düster und bedrohlich rüberkommen, aber sicher nicht als Nazis. Wir wollen auf jeden Fall mit einem kontroversen und perversen Image auftreten und damit auch provozieren. Wir spielen gern mit Rollen und treten als naja, schwule Bikergang auf. Wie ein Chapter der Hells Angels in einer Disco im San Francisco der 1970er Jahre (grinst). Und was die Sache mit Uniformen und Nazisymbolen angeht- das gab’s im Rock’n’Roll eigentlich schon früher. Damit kann man einfach prima schockieren und provozieren. Johnny Rotten von den SEX PISTOLS hatte Hakenkreuzbuttons auf der Jacke, von Robert Plant gibt’s ein recht bekanntes Foto mit einer SS-Mütze, Brian Jones von den ROLLING STONES hat sich im braunen Frack knipsen lassen und Ron Asheton, Gitarrist der STOOGES, ist oft in einer kompletten Gestapouniform aufgetreten. Denen ging es wie uns darum, ein negatives, zerstörerisches Bild abzugeben. Wenn Du dir alles Düstere und Gewalttätige bei uns wegdenkst, siehst Du dahinter ein breites Grinsen, eine Menge Humor. Natürlich ist es nicht unsere Absicht, mit unserem Aussehen auf der Bühne Menschen zu verletzen. Wir sind, wie du dir denken kannst, keine politische Band. Für alle, die das bezweifeln, haben wir auf unserer Website von Anfang an klargestellt, dass auch die Turbojugend keine politische Vereinigung ist oder mit einer solchen in Verbindung steht.

Es geht Euch also um die Provokation. Irgendwie dachte ich mir das schon-

Hey, clever! (lacht)

Dankeschön! – ich überlege nur, warum ihr eigentlich in alle Richtungen stänkert. Ihr – pardon!- verarscht die Blackmetaller mit Hanks Corpsepaint, alle Teeniepunks, die sich für besonders links halten, die rechte Szene, Schwule, mit eurem Namen die Neger (Hier als wertneutraler und umgangssprachlicher Begriff für Menschen afrikanischen Ursprungs gemeint, benutzt ohne Absicht von Diskriminierung und aus Gründen der Lesbarkeit gegenüber Formulierungen wie „Europäer mit Migrationshintergrund“ bevorzugt – Anm. d. Verf.), und dass jüdische Vereinigungen ebenfalls nicht sonderlich auf euren Humor stehen, könnte ich mir gut vorstellen.

Satyr von SATYRICON ist ein Freund von mir, Tom kennt die Jungs von DARKTHRONE gut – klar, wir stänkern immer mal über sie wie sie auch über uns, aber ist nie ernst gemeint. Das wissen sie so gut wie wir. Manche Journalisten bauschen das zu Streit und Rivalität auf, die es zwischen uns gar nicht gibt (lacht). Im Gegenteil. Wir verdanken einander viel, wir kommen fast alle aus der gleichen Ecke von Oslo, finden die Musik der jeweils anderen cool- was sollten wir also gegeneinander haben?
Seitens jüdischer Holocaust-Überlebender gab es nie Beschwerden bei uns. Dabei könnte ich es noch am ehesten verstehen, wenn die sich über unseren scheinbar lockeren Umgang mit der Geschichte aufregten. Mit Linken und solchen, die sich so bezeichnen, sieht es anders aus. Die haben uns anfangs schon oft Ärger gemacht. Eben weil unser Humor eben nicht 100% pc (politisch korrekt, Anm. d. Verf.) ist (lacht). Gerade in Deutschland war es nicht leicht, diese Leute zu überzeugen.

Gewalt, Homosexualität, Drogen, hässliche Typen – wen überzeugt ihr überhaupt mit diesem Konzept?

Naja, irgendwo sind wir auch eine gar nicht so schlechte Rock’n’Rollband, oder!? Es ist sicher nicht einfach, uns auf eine bestimmte Eigenschaft festzulegen, aber grundsätzlich geht es uns darum coole Musik zu machen und zu unterhalten.

Hierzulande kommt ihr – wenn ich das so unterstellen darf- durch die Supporttour mit MM zu recht großer Popularität. Wie sieht das bei euch zuhause aus? Seid ihr in den Medien vertreten?

Ja. In Norwegen sind wir eine recht große und bekannte Band. Hank ist oft Gast in irgendwelchen Talkshows. Wahrscheinlich ist er als Fernsehmensch sogar bekannter als in seinem Nebenjob bei TURBONEGRO! (lacht)

Interessant… meist sind die Leute im Fernsehen ja schlank, sonnengebräunt, elegant, hübsch usw. – Hank hingegen ist eher ein äh… Dicker. Mit Haaren auf dem Bauch und einem nicht unbedingt ansprechenden Klamottenstil-

Stimmt. Aber er tut gern so als sei er eine Diva. Kennst du dieses bekannte Bild von Nastassja Kinski, einem berühmten Model aus den 1980ern, auf dem sie nur mit einer Schlange bekleidet ist?

Nö.

Ein wirklich sehr bekanntes Bild-? Na, jedenfalls hat Hank ein Remake von diesem Foto gemacht – er lag nackt auf einer dreckigen Matratze und hatte eine Schlange um sich gewunden. Mit seiner dicken Wampe und Haaren auf der Brust und schaute verführerisch in die Kamera. Das Bild war natürlich ein Scherz, aber es hat auch eine Botschaft. Es sagt dass man, auch wenn man nicht wie David Beckham aussieht, das Recht hat, zu tun und zu lassen was man will. Man kann oder soll sein wie man möchte und sich nicht verstellen, weil man irgendwelchen Leuten nicht gefallen könnte. Man darf sich selbst gut oder schön finden. Und ich denke dass genau das viele Leute anspricht. Unter unseren Fans und in den Turbojugendchapters gibt es sicher auch eine Menge Outsider. Und in uns sehen sie eine Band von Outsidern. Eine Band, die selbst Outsider und stolz darauf ist. Die rumprollt und sich benimmt wie die größte Band der Welt. Ich denke, wir geben denen ein Gefühl der Zugehörigkeit.

Das ist… cool. Echt.

Wir bekommen immer wieder Mails von Leuten, die sich dank TURBONEGRO auch mal aus ihrem Zimmer trauen, weil sie sehen, dass es sogar im Fernsehen hässliche Vögel mit schlechtem Geschmack gibt. Vielleicht geht das jetzt auch ein bisschen zu weit, aber ich könnte mir vorstellen, dass wir es Leuten abseits gewöhnlicher sexueller Neigungen erleichtern, zu sich selbst zu stehen und sich trotz ihrer Andersartigkeit nicht als schlechte Menschen zu betrachten.

Ihr leistet sozusagen soziale Integrationsarbeit?

(lacht) Okay, so würde ich es nicht gerade nennen, aber es kann schon sein, dass unsere Musik oder auch unser Auftreten als Band diesen Effekt hat. Das wäre mir als wir wollten und würde uns persönlich sehr glücklich machen!

Es gibt überall auf der Welt Turbojugendchapters. Z.B. in Nairobi oder sogar in Kabul. Eure dortigen Fans wären sicher ebenfalls glücklich, euch mal zu live zu erleben. Wie stehen die Chancen, dass ihr auch mal in einem so genannten Dritte Welt-Land zu erleben seid?

Nicht gut. Einfach, weil es dort größtenteils keine Strukturen gibt, die so was zulassen. Komplette Touren sind da kaum möglich. Einerseits wegen der Infrastruktur, andererseits käme außer den Turbojugendleuten kaum ein Mensch um sich uns anzuschauen. Dazu gäb’s politische und religiöse Machthaber, die uns sicher nicht bei sich sehen wollen. Wir waren zuletzt in den USA auf Tour und werden in absehbarer Zeit auch nach Südamerika fahren. Und vielleicht mal nach Japan. 90% der Bands über die du schreibst, Powermetalbands-

(Lautes Räuspern)

(lacht) Sorry – na, viele Rock’n’Roll- und Metalbands gehen nach Japan und verdienen sich – etwas profan gesagt – einen goldenen Arsch. Da gibt’s einfach einen riesigen Markt.

Ihr habt mit MONDO GENERATOR und den EAGLES OF DEATH METAL gespielt, aktuell seid ihr mit MARILYN MANSON unterwegs. Die Namen werden größer, was hat sich geändert?

Na, das Publikum! Das wird richtig groß. Wir haben nie in so großen Hallen gespielt.

Ich habe euer Publikum vorhin schon gesehen. 15- bis 16jährige Mädels mit hohen Absätzen, Netzstrumpfhosen –

Ja… (lacht) – aber die sind nicht wegen uns da, die wollen alle MARILYN MANSON sehen! Und sonst ist es wohl wie bei allen Vorbands: du hast nur halbe Zeit, halbes Licht, halben Sound und halb so viel Platz auf der Bühne. Trotzdem ist es natürlich cool und eine große Ehre, mit einer Band wie MARILYN MANSON zu spielen. Das sind auch privat total nette Kerle. Obwohl ich den Meister selbst noch nicht kennen gelernt habe.

Ich habe ein Buch entdeckt, von einem Norweger namens Matias Faldbakken. Sagt dir der Name was?

Ja, der hat das Artwork für ein paar unserer Platten gemacht.

Echt jetzt? Ist ja witzig… na, das Buch heißt jedenfalls „Macht und Rebell“ und erinnert mich an Charles Bukowski, nur ist es deutlich ekliger – ich musste hierbei an euch denken.

Ach? Na, vieeelen Dank! (lacht)

Ja, und ich wollte fragen, ob es unter norwegischen oder sogar skandinavischen Künstlern aller Couleurs eine besonders ausgeprägte Neigung zur Provokation durch sehr drastische Mittel wie z.B. Fäkalhumor und sexuellen Phantasien gibt.

(Andächtige Pause) Wow, das… das ist die intellektuellste Frage, die mir jemals in Zusammenhang mit TURBONEGRO gestellt wurde. (Pause) Also, bezüglich seiner Art von Humor sind Matias und TURBONEGRO definitiv gleiche Baustelle. Beiden geht es um eine Art von Negativität, Gewalt einerseits und viel dummes Geschwätz und Fassade andererseits, womit der man durch die Medien ständig konfrontiert ist. Das ist alles… naja, nicht wirklich, nichts Echtes. Nichts was man braucht. Und diese Überfrachtung mit Schwachsinn nehmen Matias und TURBONEGRO gleichermaßen auf’s Korn. Vielleicht ist das eine norwegische Eigenart- es wäre allerdings tragisch, wenn nur die Leute aus Norwegen bemerken würden, wie sie von sämtlichen Medien für dumm verkauft werden. Oder ist das in Deutschland nicht so?

Doch, auch hier fällt das dem einen oder anderen auf. Mir ging’s nur um die doch sehr negative Art, mit der ihr in Norwegen damit umgeht. Das Zeug, was Matias Faldbakken so schreibt, ist mir bei allem Humor einen Tick zu heavy. Wie kommt Hank damit klar, dass auch ihr in diese Richtung tendiert? Ich habe gelesen, dass er ein gläubiger Mensch ist.

Stimmt, Hank ist Christ. Und wie er mit unserem eher bösen, auf Tod und Zerstörung ausgelegten Image klar kommt, das habe ich ihn auch schon mal gefragt. Aus seiner Antwort bin ich damals nicht schlau geworden und habe mir gedacht, dass er vielleicht nicht gern darüber spricht. Er ist aber wie viele religiöse Menschen, die bewusst mit Bikern rumhängen und hierdurch für solche Leute überhaupt glaubwürdig werden. Hey, Jesus war doch auch mit Sündern und Verbrechern unterwegs, oder? Hank ist sicher kein typischer Christ! (lacht) Aber ich denke, man auch als Christ auf einer Bühne stehen und “Highway To Hell“ singen- so viel Humor wird Gott schon haben, oder?

Stichwort Humor- der Albumtitel „Retox“ ist sicher ein Beispiel für TURBONEGROs Humor?

Klar, das ist ein Wortspiel. Nach der Entgiftung, Detoxifikation, kann man sich wieder wegräumen, also retoxifizieren. Darum geht’s uns schließlich auch. Ausgehen, Spaß haben, sich abschießen. Das Leben leben als wäre es morgen zu Ende. Wie auf einer Silvesterfete am Tag des Jüngsten Gerichts (lacht).

10.01.2008

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