Paradise Lost
Nick und Greg über "Medusa", Major-Labels und deutsche Elektrofachmärkte

Interview

Mit Growls und harten Stromgitarren erntete das vermeintliche Back-to-the-roots-Werk „The Plague Within“ allgemeine Anerkennung in der Szene. Nun sind PARADISE LOST zurück und zeigen mit „Medusa„, dass sie auch im Jahr 2017 noch eine ordentliche Schippe Härte draufpacken können. Wir sprachen mit Nick Holmes und Greg Mackintosh über alte Stärken, 26 Jahre „Gothic“ und nicht ganz ernstzunehmende Promo-Strategien von Major-Labels.

„Medusa“ beginnt mit einer Kirchenorgel. Wann wart ihr das letzte Mal in der Kirche?

Nick Holmes: Ich geh oft in Kirchen, aber nur um sie mir anzusehen.

Greg Mackintosh: Wahrscheinlich war es eine Beerdigung. Oder eine Hochzeit.

„Wer in die Augen Medusas blickt, erkennt die deprimierende Wahrheit, dass das Universum bedeutungslos ist.“ Wie deprimierend ist diese Wahrheit heute für euch?

NH: Das ist absolut okay für uns. Natürlich kann irgendwie alles deprimierend sein.

GM: Wenn du anfängst, über Dinge nachzudenken, dann wird es schlimm. Wenn man die Zeit dafür hat.

NH: Du kannst an allem etwas Deprimierendes finden, wenn du lange genug nachdenkst.

Und gerade fehlt euch diese Zeit?

NH: Na, die letzten zwei Tage vielleicht schon, haha.

Aber ihr fühlt euch gerade wieder eins mit der Welt?

NH: Es ist wichtig, beschäftigt zu bleiben. Dem menschlichen Geist nicht zu viel Ruhe zu gönnen.

GM: Das ist ja der schlimmste Part am Touren: Die ganze Zeit, die Rumhängerei vor dem Gig. Da kann so etwas schon einmal einsetzen. Ich werde da manchmal echt verrückt.

Aber ist Musizieren an sich etwas, dass das Leben lebenswerter macht oder bloß ein Mittel zum Zweck, um in eurer Melancholie zu baden?

GM: Oh nein, es ist Expression, es bringt dich aus deiner Komfortzone raus, verleitet dich dazu, etwas zu tun. Nick bringt es dazu, über Dinge zu reden. Er redet Bullshit, ich spiele Bullshit. (lacht)

Ihr bezeichnet „Medusa“ als die vermutlich härteste Platte, die ihr je gemacht habt. Sludge-Elemente wurden ausgebaut, der Auftakt erinnert fast schon an Funeral Doom. Wie kam es dazu? War es die einzige logische Fortsetzung nach „The Plague Within“?

GM: Das war natürlich nicht das einzig Mögliche, wir hätten viele Pfade beschreiten können. Aber ich sage mal so: Der letzte Song, den wir damals für die Platte geschrieben haben, war „Beneath Broken Earth“. Und das war ein richtiger Schnellschuss, ein knapper Doom-Track, der so aus uns rauskam. Und das ist mittlerweile mein Lieblingstrack der Platte. Da dachte ich mir, warum nicht ein ganzes Album in dem Stil?

„Wir haben vieles getan, was wir früher ausgeschlossen hätten.“

Haben eure jüngsten Full-Album-Shows zu „Draconian Times“ und „Gothic“ auch dazu beigetragen?

GM: Nicht wirklich, „Gothic“ noch am ehesten. Als wir das wieder ausgegraben haben, habe ich mich selbst gefragt: „Warum habe ich damals so einen Song geschrieben? Warum habe ich an der und der Stelle so und so Gitarre gespielt?“ Stile verändern sich, Songstrukturen werden weniger offensichtlich. „Medusa“ ist jetzt bestimmt nicht so direkt wie „The Plague Within“, erreicht aber meiner Meinung nach noch tiefere Level.

Wie kam es zu diesen Shows? Das Roadburn ist ja bekannt für seine exklusiven Auftritte, kam die Anfrage vom Veranstalter selbst oder hattet ihr schon länger derartige Pläne?

NH: Genau, genau, das Roadburn hat uns danach gefragt. Das Festival ist schon länger eines unserer Favoriten. Wenn man also schon so ein fertiges Werk hat, warum auch nicht? Wir waren selbst überrascht, wie gut der Gig dann letztendlich besucht war. Bei „Draconian Times“ waren wir erst noch dagegen, aber letztlich war auch das ein Erfolg.

GM: Es ist interessant, bei so etwas durchs Publikum zu blicken. Du hast die älteren Typen, die sich vielleicht seit Jahren nicht für neuen Metal interessiert haben, die extra für dieses Album gekommen sind. Und dann hast du junge Leute, die erst nachher in diese Musik reingerutscht sind und damals vielleicht noch nicht einmal geboren waren.

NH: Eben. Viele fühlen sich zurückversetzt. Ich denke, die Musik, die du zwischen deinem 14 und 22 Lebensjahr hörst, ist die, mit der du am meisten verbindest. Und das konnten dann viele wieder so durchleben.

Hättet ihr so etwas auch schon vor „The Plague Within“ gemacht oder war das sozusagen die notwendige Bedingung?

NH: So etwas wurde natürlich schon vorher verlangt, aber wir haben uns geschworen, so etwas erst einmal nicht zu machen. Aber klar, wir haben schon viele Dinge getan, die wir früher ausgeschlossen hätten. (lacht)

Eine ganze Jubiläumstour zum Beispiel?

GM: Nee, das wäre ja schon ein ziemlicher Overkill. Dann fängst du ja wieder an, dieses eine Album zu promoten. Ich meine, hey, diese Platte ist von 1991. Wozu also? Touren ist doch eine reine Promotion-Sache.

NH: Das verliert ja auch seinen Reiz. Ich würde ja auch gerne „Operation: Mindcrime“ in Gänze sehen, aber ja nicht gleich alle paar Jahre.

„Ein Keyboarder sähe einfach scheiße aus.“

Habt ihr denn nach den „Symphony For The Lost“-Shows darüber nachgedacht, orchestrale Elemente mit aufs Album zu packen? Oder war das eine einmalige Sache?

GM: Ich liebe orchestralen Kram. Ich liebe es ihn zu schreiben, ihn zu programmieren. Wir lieben Soundtracks. Das war ja auch der Gedanken hinter den Brass-Elementen der letzten Platte. Aber wir wollen uns ja auch nicht wiederholen. Für dieses Album hat es einfach nicht gepasst.

NH: Es ist ja auch okay, Orchestrierung als Backing-Track zu haben, aber ein echtes Orchester können wir uns eben nun nicht jedes Mal leisten (lacht). Darum will man es nicht übertreiben.

Ihr wollt also nicht wie DIMMU BORGIR dastehen, während die halbe Musik vom Band kommt.

NH: Oh, bei ein paar Sachen natürlich schon, hahaha.

GM: Natürlich viel Orchester-Kram.

NH: Aber es sind halt fünf Typen in der Band, und es sieht einfach beschissen aus, wenn du da einen Keyboarder mit nach vorne stellst. Auf einer große Bühne auf einem Podest vielleicht, aber vorne in der Reihe?

Also auch eine optische Entscheidung.

NH: Auch, auch.

Greg, „Medusa“ ist verdammt rifflastig, du stellst deine charakteristischen Lead-Melodien ein Stück weit zurück. Warum?

GM: Ich wollte einfach die Grenze zwischen Rhythmus- und Harmonie-Gitarren wieder etwas aufbrechen. Auf einem Album wie „Tragic Idol“ sind solche Overlays ja deutlich hörbar. Aber da das hier wesentlich doomiger ist, kann man das wieder schöner vermengen.

„Wir könnten auch einen auf GHOST machen.“

Du hast wieder alle Tracks alleine geschrieben. Wie steht es denn um die Bandbesetzung? Auf Promofotos seid ihr ja gerade nur zu viert ohne Waltteri zu sehen.

GM: Nein, nein, Waltteri ist ein absolut vollwertiges Mitglied, seit Monaten schon.

NH: Es gibt auch bald neuere Fotos, aber er musste ganz hinten stehen. Er sieht einfach zu jung aus, verdammt. Wir haben ein bisschen gephotoshoppt, damit er älter aussieht.

GM: Wir könnten auch einen auf GHOST machen und ihn eine Maske tragen lassen.

Oder ihr zieht euch welche an und er macht den Papst.

GM & NH: Ahahahaha, yeah!

Auch euer Produzent Jaime Gomez Arellano war wieder beteiligt. Generell fällt sein Name inzwischen immer häufiger, wenn es um Metal-Produktionen geht. Wie seid ihr damals auf ihn aufmerksam geworden?

GM: Eigentlich war er Mastering-Engineer. Damals hat er die Band meiner Frau, TAPPING THE VEIN, gemastert. Wir kamen ins Gespräch und er hat ja dann damals tatsächlich gerade das GHOST-Debüt produziert. „The Plague Within“ wollten wir ursprünglich selbst produzieren und ihn zusätzlich als Techniker anheuern. Aber er hat da so viel Herzblut reingesteckt und so viel investiert, dass wir ihm diesen Producer-Credit gegeben haben. Inzwischen hat er ein brandneues Studio in Nord-London gebaut, mit viel altem Equipment. Für unsere Experimente genau das Richtige.

Nick, dein Einstieg bei BLOODBATH hat dazu beigetragen, dass du deine Growls inzwischen wieder vermehrt einsetzt. Wie sieht es da mit einem weiteren Album aus?

NH: Na klar, wir wollen schon an der nächsten Platte arbeiten, aber keine Ahnung, wann es dazu kommt. Damals sollte es nur eine EP werden, dann wurde es aber ein Album, aber gerade haben wir keins von beidem in der Hinterhand. Ich bin erst mal mit PARADISE LOST beschäftigt.

GM: Wir touren ja bis Ende des Jahres.

„Metal-Bands sollten bei Metal-Labels unter Vertrag stehen.“

Es ist bekannt, dass euer Ex-Label EMI sich Anfang der 2000er in euren kreativen Schaffensprozess eingemischt hat. Nun habt ihr nach zehn Jahren Century Media bei Nuclear Blast unterschrieben – zwei der größten Metal-Labels überhaupt. Habt ihr dort bessere Erfahrungen gemacht? Und warum der Wechsel?

GM: Na ja, der Vertrag war eben rum. Wir waren wirklich zufrieden mit den Leuten bei Century Media, es ist einfach schön, mit jemandem zu arbeiten, der auch selbst im Genre Bescheid weiß, das war nicht immer so. Das Hauptding war: Sony hat Century Media aufgekauft, das war eine Zeit der Unsicherheit. Century Media wussten genauso wenig wie wir, wie viel Entgegenkommen wir da erwarten könnten. Darum hat es einfach Sinn ergeben, zu Blast zu geben. Mit VALLENFYRE bin ich immer noch bei Century Media, und es läuft weiterhin cool.

NH: Eine andere Sache ist das beispielsweise bei BLOODBATH und Peaceville. Als wir dort noch mit PARADISE LOST gesignt waren, kannte ich alle Leute da, heute kenne ich niemanden mehr. Aber hey, es ist immer noch Peaceville.

Hat der Sony-Aufkauf dann angesichts eurer Erfahrungen mit Majors eine Art allergische Reaktion bei euch ausgelöst?

GM: Nein, wir hatten ja durchaus eine gute Zeit bei EMI. Die hatten nur keine Ahnung, wie sie uns vermarkten sollen. Im Gegenzug haben wir so ziemlich alles aus ihnen rausgemolken, was ging. Es war eine gegenseitige Angelegenheit.

NH: Wir wussten, dass es nicht lange halten würde. Wenn du da eine halbe Millionen Platten verkaufst, wäre das im Metal eine äußerst respektable Leistung. In der EMI-Welt wäre es ein Flopp, ein kleiner Fisch im Teich. Wir sind lieber große Fische in … äh … kleinen Teichen.

GM: Im Grunde ging es einfach darum: Wir mochten die Leute, mit denen wir bei Century Media zu tun hatten. Und wir wollten nicht riskieren, dass sich das plötzlich ändert.

NH: Metal-Bands sollten bei Metal-Labels unter Vertrag stehen. Jedenfalls solange du nicht METALLICA oder IRON MAIDEN bist. In unserer Generation war das noch ein Achtungserfolg, beim Major zu sein, aber das läuft längst nicht mehr so.

GM: Dieses Major-Ding hat ja eigentlich für niemanden in unserer Größenordnung funktioniert. CARCASS gingen zu Universal, CRADLE OF FILTH zu Sony, alle sind sie aufs Maul geflogen.

„Sie wundern sich, dass du nicht so viel verkaufst wie METALLICA.“

Also ein gefährlicher Schritt?

NH: Na, das sind halt so große Läden, die wollen nur ihr Geld reinfahren. Und wundern sich dann, dass sie mit dir nicht so viel verkaufen wie mit METALLICA.

GM: Es gibt ja nicht mal genug Metalhörer, um solche Zahlen einzufahren.

Gleichzeitig wird ja auch ein Label wie Blast immer größer und signt immer mehr große Bands.

NH: Völlig richtig, aber da interessiert man sich eben noch für die Musik. Das sind keine Marketingtypen in Anzug und Krawatte.

GM: Als wir bei EMI waren, hielten sie es für eine gute Idee, uns hinten auf einen Truck zu laden, das Albumcover an die Seiten zu pinnen und mit der ganzen Konstruktion quer Deutschland zu fahren. Ich habe sie gefragt: Was zur Hölle ist das denn für eine Scheiß-Idee?

NH: Für eine Boyband wäre das eine geniale Idee.

GM: Wir sind damit durch verschiedene Plattenläden gefahren, aber selbst die Leute im Media Markt waren verwirrt.

PARADISE LOST-Interview 2017

Nick Holmes, Alex Klug, Greg Mackintosh

Galerie mit 16 Bildern: Paradise Lost - Ultima Ratio Fest 2023 in Hamburg
05.09.2017

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