Ayreon - The Theory Of Everything

Review

Da ist er also, der Neustart für Arjen Anthony Lucassens AYREON-Universum. Nach all den hochkomplexen, zu einem nahezu unüberschaubaren Ganzen verworrenen Handlungsfäden der sieben Vorgängeralben macht der Holländer nun bewusst einen Schritt zurück und wirft alle futuristischen Elemente wie Aliens und Zeitreisen großzügig über Bord.

Auch die sängerriege wirkt weniger als zuletzt an dem Bestreben orientiert, möglichst viele große Namen aufzufahren, sondern gezielt auf ihre Rolle in der Geschichte hin ausgerichtet. So war keiner der sieben Vokalisten bereits auf einem anderen AYREON-Album zu hören und das Spektrum reicht von den klassischen Heavy-Metal-Sängern JB (GRAND MAGUS) und Marco Hietala (NIGHTWISH, TAROT) über die beiden Melodic-Metal-Stars Tommy Karevik (KAMELOT) und Cristina Scabbia (LACUNA COILS) und die bislang wenig bekannten Newcomer Sara Squadrani (ANCIENT BARDS) und Michael Mills (TOEHIDER) bis hin zu einem Progrock-Urgestein wie John Wetton (ASIA, KING CRIMSON, URIAH HEEP).

Der starken Sängerriege stehen nicht minder starke Instrumentalisten gegenüber. Für die Drums hat sich Arjen Lucassen wieder einmal die Dienste des großartigen Ed Warby (u.a. GOREFEST, HAIL OF BULLETS) gesichert. Markante Keyboard-Passagen stammen von den Prog-Legenden Rick Wakeman (YES), Keith Emerson (EMERSON, LAKE & PALMER) und Jordan Rudess (DREAM THEATER). Darüber hinaus sind der ehemalige GENESIS-Gitarrist Steve Hackett und der kürzlich in die Stammbesetzung von NIGHTWISH aufgenommene Flöten- und Sackpfeifen-Maestro Troy Donockley mit von der Partie – und natürlich Arjen Lucassen selbst.

Wie gewohnt steht bei AYREON die Konzeptgeschichte im Mittelpunkt, die man zwar im besten Wortsinne als „Science Fiction“ bezeichnen kann, sich jedoch deutlich von den allgemein mit diesem Begriff verbundenen Vorstellungen abhebt. Es geht um die Suche nach der titelgebenden „Theory Of Everything“, der Weltformel, gewissermaßen dem Heiligen Gral der Naturwissenschaften. Dabei darf Arjen Lucassen für sich in Anspruch nehmen, zu den wenigen Musikern zu gehören, die sich jemals ernsthaft mit naturwissenschaftlicher Forschung beschäftigt und diese zu verstehen versucht haben. Statt dem Hollywood-Klischeebild vom verrückten Weißkittel, der in seinem Hightech-Geheimlabor an einer Weltuntergangs-Maschine bastelt, begegnen uns also glaubwürdige Charaktere, die mit Leidenschaft an Theorien arbeiten, mit denen sie die Welt besser zu verstehen hoffen.

Doch natürlich geht es nicht nur um trockene Wissenschaft. Wer Lucassens Schaffen aufmerksam verfolgt hat, weiß, dass es bei AYREON immer auch um die Menschlichkeit geht, die bei aller intellektueller Brillianz niemals auf der Strecke bleiben sollte. Wirklich spektakulär wirkt die Handlung dabei nicht, doch ihre Erzählweise animiert den aufmerksamen Zuhörer immer wieder zu eigenen Betrachtungen der angerissenen Thematiken. Der schwierige Spagat zwischen komplexen Themen und einer verständlichen, teilweise betont plakativen, aber niemals zu banal wirkenden Sprache gelingt hervorragend. Wo einen „01011001“ auf Anhieb total erschlug, gibt sich „The Theory Of Everything“ geradezu unverschämt zugänglich, ohne dass der inhaltliche Tiefgang darunter leiden würde.

Gleiches kann man auch der Musik attestieren. Die Handlung ist in vier mehr als zwanzigminütige Longtracks unterteilt, welche wiederum in – natürlich! – 42 Einzelstücke aufgeteilt sind. Dennoch hat man nie den Eindruck, vom musikalischen Geschehen erdrückt zu werden. Obwohl die anspruchsvoll arrangierten Stücke jeden Prog-Afficionado vor Freude im Viereck springen lassen, wirkt das Gesamtgebilde erfrischend luftig und lässt den Songs durch gezielte Konzentration aufs Wesentliche vielerorts Raum zum Atmen. Billige Effekthascherei hat der AYREON-Mastermin ohnehin nicht nötig und dass die Produktion über jeden Zweifel erhaben ist, versteht sich von selbst.

Dass „The Theory Of Everything“ nun ein solcher Geniestreich werden und sich als musikalisch ausgereiftestes Lucassen-Werk überhaupt mit Klassikern wie dem wesentlich trashigeren „Into The Electric Castle“ oder dem „Universal Migrator“-Doppelpack messen können würde, hätte man kaum zu hoffen gewagt. Wie bereits bei „The Human Equation“ gewinnt die Rockoper enorm durch die stärkere Betonung der Gefühlsebene ihrer Protagonisten, ohne dabei in plakativen Musical-Kitsch verfallen zu müssen. Der Neustart des AYREON-Klanguniversums ist somit auf ganzer Linie geglückt und lässt auf viele weitere Meisterwerke aus dem Hause Lucassen hoffen.

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27.10.2013

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4 Kommentare zu Ayreon - The Theory Of Everything

  1. hrhr sagt:

    großartiges album, aber was erwartet man auch anderes von einem genie wie es lucassen ist. egal in welchem projekt er sich gerade austobt, ob nun ambeon, star one, ayreon usw … es ist immer großes kino, der mann kann gar kein mittelmäßiges oder gar schlechtes album abliefern.

  2. Master sagt:

    Hmm, nicht mein Ding. Hört sich so… überladen und fragmentiert an. Da wird eine Minute was verfolgt, was sich cool anhört und rums startet der nächste 1-2 Minuten Schnipsel.
    Hätte man nicht wenigstens EINEN richtigen Song machen können, der auf den Punkt kommt?
    So hat man 42 Fragmente, mal recht interessant aber viel zu kurz, mal überflüssig und zu lang, aber man kommt sich irgendwie verloren vor und es ist anstrengend am Ball zu bleiben.
    Weder die übergeordneten 4 Stücke haben irgendeinen Zusammenhang, noch können die 42 Fragmente für sich alleine stehen.

    5/10
  3. Milch sagt:

    Man soll das ganze wahrscheinlich als Konzeptalbum betrachten… Mein Fall war Ayreon ohnehin nie, da mir die Musik wie nix halbes und nix ganzes darstellt, wie master of tragedy schon sagt, alles zu fragmentarisch. Da hat sich dann wohl nix geändert. Theory von allem? Naja, für mich heute nicht. Und große Namen alleine machen ja noch kein Album, auch wenn ich schon neugierig bin, wie sich Keith Emerson in das Ensemble einfügt (Klar mit der Orgel *duh* aber wie’s klingt mein ich). 😀

  4. Florian Schörg sagt:

    Von der Art, wie es die Geschichte erzählt, hat es auch einen starken Musical-Touch, stärker noch als auf früheren AYREON-Alben. Gottseidank agieren die Sänger aber nicht so übertrieben over-the-top und plakativ wie man es von Musicals kennt.

    Von der Struktur her ist es ganz klar so, dass Arjen diesmal viele Ideen aneinanderreiht und recht schnell von einer zur nächsten wechselt, ohne dass er echte Wiederholungen zulässt. Das ist definitiv eine bewusst Entscheidung, daran darf man sich aber auch stören, keine Frage. Ich für meinen Teil mag es total, weil der rote Faden für mich trotzdem immer klar erkennbar bleibt. Und wirklich großartig ist es, dass er die vielen Ideen nicht alle gleichzeitig übereinanderschichtet, sondern jede für sich stehen lässt und ihr dabei genügend Luft zum Atmen lässt.

    Die vier Stücke haben schon jeweils einen klaren inneren Zusammenhang, der spiegelt sich aber tatsächlich in den Texten klarer erkennbar wieder als in der Musik.