Ordo Draconis - Camera Obscura Part 2: A View With A Room

Review

„A view with a room“, nochmals fast vierzig Minuten von Dauer, beginnt genau da, wo „The Star Chamber Reviews“ endet und bindet damit beide Alben in sehr feinfühliger Weise, obwohl sie sich doch merklich voneinander unterscheiden. „The Star Chamber Reviews“ ist ein luziferianisches Konzeptalbum, mehr oder minder etwas wie ein Theaterstück mit verteilten Rollen, inspiriert von einem Stück des niederländischen Stückeschreibers Vondel (so erklärt sich auch, dass Luzifer hier und da altes Niederländisch zum Besten gibt…) – „A view with a room“ setzt sich hingegen aus thematisch nicht verbundenen Stücken zusammen und ist daher auch musikalisch fast noch eine Spur vielfältiger. Ethno-Einflüsse, diverse Percussions, Tangorhythmen, Elektrobeats und der unbändige Wille zu spielen, was vorher niemand gespielt hat, machen dieses Album zu einem totalen Augen-, vor allem aber zu einem Kinnladenöffner. Von dem, sieht man einmal von einer lateinamerikanisch tanzbaren Einlage im zweiten Teil ab, verhältnismäßig traditionell ausgefallenen „Cloak & Dagger“ aus, das mit seinen straighten Blastbeats und frickeligen Leadgitaren auch genauso gut auf dem Vorgänger „The Wing and the Burden“ hätte Platz finden können, spielt sich die Band in Form und landet im folgenden „Sirius Fever“ gleich einen Treffer allererster Güte. Hier kommen … AND OCEANS-Synthesizer und mitreißende Beats, donnernde Gitarrenwände und einprägsame Riffings, afrikanische Percussions und 80er-Jahre-Gesangseffekte, sphärischer EMPEROR-alike-Black-Metal und progressiver Rock zusammen und werden zu einem gewaltigen Kunstwerk verschmolzen, das einen vor Erstaunen lähmt. Die beiden Stücke darauf bieten Ähnliches, aber nicht mehr den Thrill, diese wahnsinnige Melange zum ersten Mal zu hören. „The Dancefloor Clinic“ hat, analog zu seinem Titel, eine Menge tanzbarer Parts zu bieten, die mit ihrem Xylophon und den absurd-hektischen (teils Tango-) Rhythmen bestens zu der berühmten Sanatoriums-Szene in „12 Monkeys“ gepasst hätten. „The Don of Venice“ beschäftigt sich mit dem altbekannten Faustmotiv, allerdings aus mehreren Bearbeitungen zusammengesetzt, darunter der von Marlowe und natürlich Goethes. Musikalisch haben wir es hier wieder mit einem für ORDO-DRACONIS-Verhältnisse eher traditionellen Stück zu tun, das sicher eines der älteren auf den beiden Alben ist.
Das alles lässt sich hier so einfach niederschreiben, fast fühlt man sich ein wenig beschämt ob der wenigen Worte, die vier Jahre intensivster Arbeit in wenigen Textpassagen aburteilen wollen. Nun, das wollen sie sicherlich nicht. Wer einen Blick in diese Dunkelkammer wagt, der wird mit jeder vorbeiziehenden Minute, in der sich Auge und Ohr an die herrschenden Verhältnisse gewöhnen, mehr zu entdecken haben. „Camera Obscura“ ist ein zeitloses Werk allererster Güteklasse, ein fabelhaft und ohne den allergeringsten Makel perfekt produziertes und dargebotenes visionäres Album, das alle Grenzen musikalischer Ausdrucksweise ohne ein Wimpernzucken niederreißt. Alle Beteiligten sind hier zur absoluten Höchstform aufgelaufen, und das will bei Musikern wie Moritz Neuner durchaus viel heißen.
Wer meint, er sei Musikkunst in seiner reinsten Form gewachsen, wer ULVER verehrt und EPHEL DUATH vergöttert, ARCTURUS kommerziell findet und das LIQUID TENSION PROJECT als Maßstab instrumentaler Darbietung setzt, der wird in ORDO DRACONIS baden wollen. In meinem 10-jährigen Musikerfahren, und das ist durchaus umfangreich gewesen, habe ich etwas wie „Camera Obscura“ noch nicht gehört und auch nicht gesehen. Beide Alben sind in einem schlichten, stilvollen Schwarzweiß, aber mit unendlich viel Kreativität und Detailverliebtheit gestaltet und machen auch noch einmal äußerlich klar: hier sind Künstler am Werk, die nicht gewillt sind, sich irgendwo ein- oder unterzuordnen. Eine Verneigung vor dem bewundernswerten Mut des Labels Opus Magnum Productions, diese Alben unter die Öffentlichkeit zu bringen. Legt Euch die beiden Scheiben zu, sie werden Euch über lange lange Zeit eine nicht zu erschöpfende Freude bereiten – und sei es beim Übersetzen der Texte in einem Englisch, wie es vermutlich selbst auf der Insel kaum jemand zu schreiben imstande ist. Wer zögert, findet auf der Labelhomepage einige Hörproben. In der Zwischenzeit könnt Ihr ja einmal über folgende Passage aus „Sirius Fever“ nachdenken: „Patterns emerge… At the Bandiagara cliffs, a native / swung at ropes he charmed into an DNA-like coil, before / he plunged into the spirit world. The Nommos, the griot / said, will revisit us in human mould to channel the passage / of souls to the white dwarf orbiting its star!“. Hmhm, genau, die Droge hätte ich auch gerne mal probiert.

22.09.2005

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