Paradise Lost - Tragic Idol

Review

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Wenn die einflussreichen Briten auch seit ihrem selbstbetitelten zehnten Album im Jahre 2005 nach von vielen alten Verehrern nicht mitgetragenen Jahren des Experimentierens um die Jahrtausendwende herum – und dabei mitunter gar nicht so uninteressanten Langrillen – langsam wieder zu ihren metallischen Wurzeln zurückkehrten, so schloss doch erst das letzte Werk „Faith Divides Us – Death Unites Us“ den Kreis zum populären PARADISE LOST-Klang der großen Mittneunziger-Erfolge „Icon“ und „Draconian Times“, die Spuren späterer leiserer Veröffentlichungen wie „One Second“ nie völlig verwischend.

Aktuell haben PARADISE LOST nicht nur nach eineinhalb Dekaden Abwesenheit den Schriftzug der „Icon“-Ära aus der Versenkung geholt, nein, auch Titel und Cover-Motiv – jeweils befinden sich zwei Köpfe im Fokus – des 13. Albums „Tragic Idol“ wecken selige Erinnerungen an ihr Opus magnum aus dem Jahre 1993. Knüpft man also auch musikalisch daran an? Ja, und vielleicht deutlicher denn je.

So entpuppt sich das neue Werk als eine verfeinerte, harmonischer erscheinende Version des hauptsächlich auf „Icon“ und „Draconian Times“ Bezug nehmenden Vorgängers, liefert melodisch-eingängigen Metal mit Doom-Schlagseite: PARADISE LOST setzen weniger plakativ als in jüngster Vergangenheit auf harte Riffs, sondern mindestens gleichberechtigt auf die Strahlkraft mitreißender Melodien und Refrains, was dazu führt, dass die Lieder als solche zwingender sind und teilweise ausgeprägt hymnisch wirken. Während die häufig und charakteristisch flirrenden Mackintosh-Leads für wohlige Vertrautheit bei den Anhängern alter Tage und die Herren Aedy, Edmondson und Erlandsson für äußerst kraftvolle Unterfütterung sorgen, pendelt Nick Holmes wie zuletzt zwischen einigen gut eingesetzten sanften Phrasierungen und seinem dezent angerauten Gesang, der den unbekümmerten Enthusiasmus früherer Zeiten bekanntermaßen schon lange gegen einen professionelleren Anstrich eingetauscht hat. Alles sehr gefällig, aber eben auch eine sichere, relativ vorhersehbare Angelegenheit. Denn weder kehrt das Yorkshire-Quintett zu seinen Wurzeln im Death Metal zurück (wie manch einer nach der sich über die letzten Scheiben abzeichnenden Entwicklung beziehungsweise seit Gregor Mackintoshs todesbleiernem VALLENFYRE-Geschrote im letzten Jahr gehofft haben mag), noch macht es sich auf zu neuen Ufern.

Taten sich auf dem gegen Ende leicht schwächelnden Vorgänger einige wenige besonders gelungene Nummern wie „As Horizons End“ oder „Frailty“ hervor, so erreicht das Material auf „Tragic Idol“ beinahe durch die Bank ein qualitativ hohes Niveau – man macht ohne Probleme mehr als eine ganze Handvoll echter Attraktionen aus: sei es „Solitary One“, das zwischen bedrohlicher, doomiger Schwere und Zerbrechlichkeit pendelt, „Fear Of Impending Hell“ mit seiner grandiosen Gesangslinie („… I Don’t Know WHERE To Escape …“), der mittige Doppelschlag mit den beiden wunderbar treibenden „Theories From Another World“ und „In This We Dwell“, das facettenreiche Titelstück oder „Worth Fighting For“ mit seinem hypnotischen Hauptmotiv, das selbst auf der großartigen und natürlich unerreicht bleibenden „Icon“ eine gute Figur gemacht hätte.

Einzig – und da sind wir wieder beim Stichwort „Vorhersehbarkeit“, dieses Mal auf Lied- statt auf Album-Ebene – die Formelhaftigkeit vieler der zehn Stücke fällt etwas unangenehm auf: PARADISE LOST halten nach wie vor zu häufig an ihrem durchsichtigen Vers-Refrain-Vers-Refrain-Bridge-Refrain-Aufbau fest – beinahe so, als hätten sie immer noch im Hinterkopf, die nächste Hit-Single für EMI schreiben zu müssen. Ein Spielen und Brechen mit den Erwartungen – sei es durch längere, verschachteltere Stücke (das abschließende, beinahe schon epische „The Glorious End“ etwa zeigt, dass es funktioniert) oder eine partielle, aber tatsächliche Rückkehr etwa zu „Shades Of God“-Härtegraden und -Rauheit – würde hier für mehr Spannung sorgen.

Im Ganzen wohl noch einen Hauch stärker als der Vorgänger, darf sich „Tragic Idol“ den Titel des überzeugendsten, da qualitativ homogensten PARADISE LOST-Albums seit mindestens 15 Jahren anheften; die Verschmelzung gesunder Härte und fesselnder Melodien gelingt vollauf. Bleibt nur zu hoffen, dass die Herren aus Halifax nach dem nun zweifachen Beweis, dass sie ihren „klassischen“ Mittneunziger-Klang immer noch draufhaben, zukünftig noch einmal so überraschen wie seinerzeit mit der gewagten, ohne den metallenen Panzer daherkommenden „One Second“ – wenn auch vielleicht auf andere Art und Weise. PARADISE LOST waren seit ihren Anfängen im düsteren Death/Doom eine sich fortwährend auf der Suche befindliche Band, deren vielleicht hervorstechendstes Charakteristikum die enorme Wandlungsfähigkeit war – es wäre schade, wenn ihnen dies nach fast 25 Jahren Existenz völlig abhanden kommen sollte. Derzeit erinnern sie jedenfalls an eine Liebe, mit der man schon viele und zumeist schöne Jahre verbracht hat: Immer noch findet man sie wunderhübsch und reizvoll; eigentlich gibt es keinen Grund zum Hadern. Dennoch wünscht man sich nach all der Zeit, die einen offenbar jeden ihrer Wesenszüge kennenlernen ließ, dass sich noch einmal eine unbekannte oder zumindest lange nicht gezeigte Seite an ihr auftut. Eben wie früher in jenen aufregenden Tagen, als sie immerzu für eine Unvorhersehbarkeit gut war …

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10.04.2012

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6 Kommentare zu Paradise Lost - Tragic Idol

  1. Stendahl666 sagt:

    Christoph dieses Review ist großartig. Eines der besten jemals hier! Kann Deine Rezension zu 100% teilen; Du triffst das Wesentliche, ein ganz wunderbarer Text, von A-Z. Was soll ich jetzt noch schreiben bei mesc? Ich glaube, ich verlinke Deines 🙂

  2. Oliver sagt:

    In der Tat schönes Review. Weshalb das allerdings neun Tage vor Veröffentlichung der Scheibe erscheinen muss werde ich nie verstehen (betrifft natürlich auch viele andere Reviews). Jetzt habe ich es nämlich gelesen und möchte mir die Scheibe sofort kaufen. Aber bei Amazon leuchtet mich nur ein „vorbestellbar“ an :(.

    5/10
    1. ClutchNixon sagt:

      Und 5 Punkte für das Review, oder wie? Besprechungen sollen doch „heiß“ auf ein Album machen. Vorfreude und so 🤔

      1. ClutchNixon sagt:

        Korrektur: DIE Review. Klingt so dermaßen furchtbar

  3. stefan sagt:

    Im Vergleich zu den beiden Vorgängern bewegen sich die Tracks dieses Album in der Tat auf konstant hohem Niveau, richtig gute Musik! Und man hört sich nicht satt, im Gegenteil, je öfters man das Album hört, desto mehr entfalten sich die Songs.

  4. motley_gue sagt:

    Seit Jahren immer wieder gerne. Songs, die nie langweilig werden und mich jedes Mal singend die Faust gen Himmel recken lassen. Honesty in Death, Crucify, Glorious End, …
    Danke PL.

    10/10