Wyrmwoods - Earth Made Flesh

Review

Das „Land der tausend Metal Bands“ hat mal wieder ein neues  Gesicht zu bieten. Und wie man so von einer Hand voll anderer finnischer (Black-Metal) Bands weiß, können diese mitunter sehr verschroben sein (hat da jemand ORANSSI PAZUZU oder CIRCLE OF OUROBORUS gesagt?). Das trifft auch auf WYRMWOODS aus Oulu zu, die mit „Earth Made Flesh“ ihr Debüt Album rausbringen, nach einer vorigen EP 2014.

Das hier vorliegende wirkt schon sehr beachtlich und routiniert für ein Debüt, dass ein Einzelkünstler namens Nuurag-Vaarn dahinter steht und sich für alles verantwortlich zeichnet macht die Sache noch einmal eindrucksvoller. Vor allem in Bezug auf den wilden Wust an Stilen und Einflüssen, die hier durcheinander gewürfelt werden.  Dazu kommt dann noch diese typische finnische Art, halt außerhalb aller erwartbaren Normen zu komponieren und musizieren.

Karneval der Kuriositäten

Geht der Opener „Break the Seal“ noch anfangs genretypisch mit Raserei in die Vollen, wird später im Song ein Alt-Saxophon ausgepackt und das Songwriting geht dann schon mal in komische Gefilde wie Free-Jazz meets Werbe-Jingle (anders kann ich das nicht beschreiben) über. Im nachfolgenden „The Greater Festival of Masks“ wird beinahe folkig gestartet, später gesellt sich zu Black Metal-Geschrammel und Rumgekreische und -gerülpse, das noch durch Effekte weiter verfremdet wird, ein Keyboard. Dieses fährt eine wahrhaft Karneval-mäßige Melodie und passt somit bestens zum Titel, nur um später in die eigentlich so bekannten kalten, melancholischen Riffs überzugehen und auszuklingen, die man eigentlich von einer Band aus diesen Breitengraden erwarten würde (und es gibt interessante Percussion Arbeit!). Aber um Erwartungen schert sich Nuurag-Vaarn scheinbar einen feuchten Kericht. Lo-Fi und Soundscape Enthusiasten, die sich etwa auf URFAUST oder frühe DARKTHRONE-Werke verstehen, könnten dann vielleicht beim folgenden „Saturnalia“ auf ihre Kosten kommen. Auch wenn der Song und die Atmosphäre die er aufbaut durchaus ebenfalls etwas von der Naturmystik von WOLVES IN THE THRONE ROOM hat. Hier wird Lo-Fi-Atmosphäre der Riffs mit Samples, Percussion und Synthesizer zu einem stimmigen Ganzen vermischt. Man merkt schon, für Scheuklappenträger und Black Metaller für die Keyboards schon mal rein gar nichts damit zu tun haben, wird das hier definitiv keine neue Offenbarung werden. Leute, die sich auf Experimente einlassen können und auch mal überrascht und gefordert werden wollen, könnten mit WYRMWOODS „Earth Made Flesh“ eine tolle neue Entdeckung machen!

Mit „Abomination“ gibt es dann einen kurzen, aggressiven Schrammel-Ausbruch, der textlich mit der Menschheit abrechnet, im Mittelteil aber wieder ruhigere, manchmal gar atonale Sphären streift, die eigentlich so gar nicht in ein Black Metal Gewand passen wollen, es aber irgendwie trotzdem schaffen, nicht zu deplatziert zu wirken.

„Primordial Waters/The Well of Urth“ ist dann ein zunächst verträumt anfangendes Instrumental, wo sich das Alt-Saxophon wieder hinzugesellt, das später zum Schluss hin in ein wahres dissonantes Chaos ausartet. Durch die Samples wie heulenden Wind und die ebenfalls heulenden Synthesizer haftet dem allem noch etwas geradezu Schamanisches an, die Songs wirken wie kleine Rituale für sich.

Der viertelstündige Rausschmeißer „The One as Chaos and Egg“ fängt wieder ruhig und besonnen an, ehe verzerrte Gitarren hinzu kommen und mit einem tiefen gutturalen Laut gestartet wird, beinahe als habe man versehentlich eine Platte der finnischen Landsmänner HOODED MENACE eingeschmissen. Das alles wird mit etwas schrägen Riffs garniert, die die musikalische Spannung nicht aufzulösen vermögen, sich dafür umso mehr festsetzen. Im Mittelteil geht es wieder in beinahe schmeichelhafte, entspannte Parts über, nur um im letzten Drittel dann endlich die charakteristischen Black Metal Tremolo Riffs wieder aufzuzeigen. Es endet mit denselben schwelgerischen Soundlandschaften ohne jegliche E-Gitarre wie im Mittelteil. Licht und Dunkelheit, Chaos und Ordnung. Dass die ganze Chose schon durchdacht ist, trotz allem musikalischen Chaos, leuchtet somit ein. Zusammen mit der überzeugenden Vokalperformance, die zwar ein wenig begraben unter den Tonnen an Effekten und Hall ist, aber abwechslungsreich zwischen Growls, typischen Screams und auch heiseren hohen Scheien pendelt, sorgt das für überzeugendes und abwechslungsreiches Songwriting. Auch wenn manche Parts sich durchaus bekannt anhören und für sich genommen nichts neues oder spektakulär sind, ist die Verwebung der Elemente frisch, neu und anders. Ich entschuldige mich bereits jetzt für die ebenfalls mäandernden Sätze hier, die den Lesefluss wahrscheinlich arg behindern, aber die Musik und meinen Geisteszustand nach Hören des Albums recht gut ausdrücken. Da passt das Cover des Albums, welches ein Stück von Hieronymus Bosch zeigt, blendend zu.

Experimente ohne Rücksicht auf Verluste

Was sind denn WYRMWOODS nun? Progressiver Black Metal? Experimenteller Avantgarde Folk? Ambient-Synthesizer unterstützes Geschrammel? Eigentlich ganz egal. Mit den anfangs erwähnten, ebenfalls experimentellen finnischen Black Metal Bands können sie auch nur bedingt verglichen werden, da die Experimentierfreude sie zwar eint, der Sound aber doch noch einmal eine sehr unterschiedliche Ausprägung besitzt.

Dass diese ganzen Experimente und Einflüsse der Eingängigkeit und dem Wiedererkennungswert abträglich sind, dürfte nicht groß verwundern. Aber ich bin froh, dass in der momentanen Atmosphäre, wo viel gemosert wird ob der Stagnation im Metal, jemand etwas neues versucht. Bislang vernimmt man meist altbekanntes neu aufgewärmt und neu verpackt oder alte Legenden die nicht in Würde abtreten können, sondern noch den nächsten Kommerz-geschwängerten Rotz rausdrücken müssen. Kurz gesagt, ich bin froh, dass es Bands wie WYRMWOODS gibt, die sturköpfig ihre künstlerische Vision durchziehen und allen anderen den Mittelfinger geben, auch wenn das (auch bei mir) nicht  immer auf Gegenliebe stößt. Dafür ist es künstlerisch, authentisch und polarisierend, nicht anbiedernd, gefällig und nichts aussagend, wie es bei einem Großteil der Veröffentlichungen mittlerweile leider der Fall ist. Auf welcher Seite man angesichts der Musik – Interesse und Faszination oder Abscheu und Ablehnung – letzten Endes steht ist beinahe egal, denn nur so kehrt wieder Bewegung und Leben ein, ob in Form von dem erneuten Erstarken eher traditioneller Strukturen, die sich diesem Experimentellen widersetzen wollen oder anderen Künstlern, die ermuntert werden ebenfalls zu experimentieren. Das ist allemal besser als eine paralysierte, ihre Vorbilder recycelnde Szene, die in ihrem Mikrokosmos mittlerweile in der eigenen Scheiße der immer gleichen Songideen ertrinkt. Ich kann nur empfehlen, es selbst anzutesten und dann zu entscheiden, auf welcher Seite man steht. Ich persönlich würde mir mehr solche experimentellen Ausbrüche von Newcomern wünschen.

26.01.2018

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