Electric Callboy (zuvor Eskimo Callboy)
(Update) Tourtagebuch zur "The Scene"-Tour - Teil 1 - 3

Special

Teil 3

ESKIMO CALLBOY waren Ende 2017 auf ausgiebiger „The Scene Tour“ durch Europa. Als Tourpräsentator freut es natürlich besonders, dass sich die Band dazu bereit erklärt hat, uns in unregelmäßigen Abständen auf dem Laufenden zu halten und ihre Anekdoten und Eindrücke aus dem Tourbus mit uns und euch zu teilen. Lest im offiziellen ESKIMO CALLBOY-Tourblog ab sofort alles, was ihr schon immer wissen oder auch nicht wissen wollt. Und los geht’s …

Tourbericht Teil 3 von Kevin Ratajczak

Fotos von: Christian Ripkens

Also wie einem die Zeit nur so um die Ohren fliegt, gerade als hart arbeitender Musiker, das habe ich ja bereits erklärt. Man kriegt irgendwann neue Tourdates rein, bespricht sie kurz, plant die Vorbereitungen und denkt sich insgeheim: „Bis dahin habe ich noch zweimal studiert und drei Kinder groß gezogen …!“ Dann geht man abends schlafen, dreht sich dreimal um, wacht auf und muss auch schon den Koffer packen.

Und zwar schnell, weil man schon in zwei Stunden am Flughafen sein muss, um pünktlich die obligatorische halbe Stunde zu spät zu sein.

Klar, je älter man wird, desto schneller scheint die Zeit zu vergehen. Das hat mir mein Dad damals schon gesagt, als ich im Alter von etwa 13 beschloss, Vollbart zu tragen.

Aber kann man das irgendwie stoppen?

Also dass die Zeit so schnell vergeht, meine ich jetzt, nicht den Haarwuchs. Da habe ich mittlerweile das Waxing für mich entdeckt.

Über die Jahre kam es mir immer so vor, dass, je mehr Hektik in meinem Leben herrscht, auch die Ereignisse immer schneller an mir vorbeihuschen. Und leider sind es dann ja gerade die geilen Dinge, die man mal gerne etwas länger wahrnehmen würde.

Die Zeiten auf Tour zum Beispiel.

Da sitzt du monatelang, Tag und Nacht, in deinem Studio, und wenn du dann hinterher diese kleine Scheibe in der Hand hast oder, noch schlimmer, eine kleine rar-Datei per Dropbox geschickt bekommst, denkst du dir bloß: „Das wars jetzt? Dafür habe ich das letzte Jahr auf ein Privatleben verzichtet?“

Die Antwort ist: Nein!

Zwar ist ein neues Album auch geil, wenn man es über die Media-Markt-Car-Hifi-Anlage mit 5000-Watt-Basemachine in seinem tiefergelegten Corsa A hört und gerade eine Assi-Runde durch die eigene Hood dreht, aber generell finden wir, dass Musik für die Bühne gemacht ist, um live gefeiert zu werden. Egal ob mit der Hose im Schritt, Goldkettchen und Kopfnicken oder mit von Bier durchnässtem Haar und den Beinen überm Kopf im Moshpit. Wichtig sind die sprudelnden Emotionen. Denn eben diese sind es ja auch, die die unterschiedlichsten Menschen vor eine Bühne zusammenbringen.

Und seitdem wir das Glück haben, mit einer supidupi Crew unterwegs zu sein, können wir uns diesen Emotionen auch viel besser hingeben.

Showtag – Stuttgart

Nach zwei supergeilen Tourblöcken saßen wir also wieder in unserem Bus auf dem Weg nach Stuttgart. Wir freuten uns total, denn neben München ist Stuttgart die zweite Stadt, in der man eine andere Sprache als zu Hause spricht und in der wir unsere ersten Auftritte fernab der Heimat hatten. Egal ob im 1210, Kellerclub oder jetzt im LKA Longhorn, immer waren es geile Shows, an die man sich gerne zurückerinnert. Und genau so sollte es auch dieses Mal sein. Dank unserer geilen Crew stand auch das komplette Bühnenbild nach kurzer Zeit. Und jedes Mal, wenn ich Crew sage, fühlt es sich echt ein bisschen komisch an, denn faktisch sind unsere Jungs eher Freunde als Typen, die mit uns arbeiten. Über die Jahre ist unsere Tour-Familie gewachsen, aber jedesmal, wenn jemand dazukam, war es vor allem auch, weil man einen Draht zueinander hatte. Eine gute Stimmung ist die Grundlage für jede harmonische Zusammenarbeit. Bis auf diese besonderen Zeiten, wenn wir Klatschen in FIFA verteilen, dann pausieren Freundschaften kurzzeitig.

Besonders makaber ist an dieser Stelle, dass die Jungs das Rack, in dem sich unser Tour-Entertainment samt TV, Playse und Soundsystem befindet, ja selber in den Backstage schleppen. Nicht zuletzt, um damit hinterher digital verprügelt zu werden, ganz so, als wenn der Todeskandidat dem Henker das Beil hinterherträgt. Aber naja, sie wollen es ja auch nicht anders.

Nachdem wir in Stuttgart nach der Show noch eine ganze Weile mit unseren Leuten quatschen konnten, die vor dem Bus auf uns gewartet haben, ging es an diesem Wochenende noch nach Salzburg, Wien und schließlich Leipzig.

Wenn man mit dem Bus auf Tour ist, hat man sein Wohnzimmer ja eigentlich immer dabei. Man ist genauso ordentlich oder in unserem Falle unordentlich wie daheim. Und so bleiben natürlich im Laufe einer Tour eine Menge Kleidungsstücke irgendwo liegen. Das Fatale an Socken aber ist: Die sehen meistens alle gleich aus. Und wenn es eine Sache gibt, die du in einem Tourbus voller Typen nicht anfassen solltest, dann sind es Socken. Vor allem, wenn es nicht deine eigenen sind. Und so sieht der Gang des Busses irgendwann aus wie ein Wühltisch beim Discounter, ein Minenfeld aus knusprigem Textil.

Showtag – Leipzig

Nachdem wir in Österreich zwei wundervolle Shows hatten, ging es zur letzten und, wir hätten es nicht erwartet, auch zur größten Show der Tour. Nach Leipzig!

Leipzig war immer schon eine Stadt, die uns gut behandelt hat. Gerne haben wir Zeit im örtlichen EMP-Store verbracht, die Leute kennengelernt … von den Shows gar nicht zu sprechen. Aber wir hätten niemals erwartet, dass Leipzig in Sachen Besucherzahlen noch an Köln vorbeizieht. Und was soll ich sagen. Wir lieben es einfach. Bei großen Shows wie dieser kommen auch immer viele unserer Freunde rum, um abzuhängen und eine gute Zeit zu verbringen. Und so geht es dann meistens auch nicht nur um das Konzert selber, sondern auch um das komplette Drumherum. Und es passte an diesem Tag einfach alles. Vom Essen im Haus Auensee, der Location selber, dem Sound beim Check bis hin zu einer Menge guter Gespräche im Backstage. Besonders wenn wir im Studio sind und an neuen Songs arbeiten, merke ich immer wieder, wie wichtig positive Emotionen für kreative Arbeit sind. Und auf Tour ist das nichts anderes.

Klaro, es ist megageil, mit seinen Besten unterwegs zu sein und auf der Bühne das zu feiern, für das man vorher hart gearbeitet hat … aber es gibt auch schlechte Tage. Tage, an denen man sich einfach nicht in der Lage fühlt, der Typ da auf der Bühne zu sein, der ja sowieso immer gute Laune hat.

Aber unsere Leute bezahlen mittlerweile leider eine Menge Geld für die Tickets, was eine geile Bühnenshow für uns zur Pflicht macht. Ich habe es noch nie erlebt, dass ich nicht auf die Bühne wollte, aber schon, dass ich das Gefühl hatte, dem Ganzen nicht gerecht werden zu können, weil ich heute einfach gar nicht so viel reden will. Ich glaube, da spreche ich für jeden meiner Jungs. In diesen Momenten spielen eben diese Nebenfaktoren eine immense Rolle. Freunde, Zusammengehörigkeit, positive Emotionen und vor allem die Stimmung der Leute vor der Bühne können das Ruder fast immer rumreißen.

In Leipzig war das aber gar nicht nötig. Im Gegenteil: Wenn Du vorher schon richtig geil auf die Show bist, macht es eine gute Stimmung vorher nur noch besser. Die Zeit verflog dann auch echt schnell und eine gefühlte Minute, nachdem wir uns morgens aus dem Bus gepellt hatten, standen wir schon wieder in voller Montur zusammen, bereit, um auf die Bühne zu gehen. Dieses Zusammenkommen vor einer Show, samt Crew, ist so unsere Tradition … wir feuern uns an, damit alle von Beginn an Vollgas geben.

Und als wenn die Leute draußen Teil unseres Kreises waren, ging es direkt ab, von der ersten Sekunde an. Ein Hammergefühl, wenn man weiß, dass alle Menschen, die da vor einem stehen, für die eigene Mucke gekommen sind. Da baust du irgendwas in deinem Kämmerchen in Castrop-Rauxel zusammen, dir gefällt es natürlich, und dann sind da so viele Menschen, denen es auch gefällt … ich glaube, neben all dem Spaß am Songs schreiben sind Live-Auftritte das, was das Musikerleben so geil macht. Auch wenn Mama und Papa sich das vielleicht mal anders vorgestellt hatten …

Der Abend endete dann perfekterweise noch mit dem Geburtstag unseres Drummers David, der in Leipzig natürlich auch noch ausgiebig gefeiert wurde. Eine perfekte erste Hälfte der „The Scene“-Tour ging damit erstmal zu Ende.

Denn neben einer Einzelshow in Prag wartete ja auch noch eine anhängende Russland-Belarus-Ukraine-Tour auf uns.
Aber das hatte ja noch Zeit.

Bis dahin warteten noch eine Menge Kohlrouladen mit Klößen und Rotkohl an Omas Tisch auf uns.

Teil 2

ESKIMO CALLBOY sind gerade auf ausgiebiger „The Scene Tour“ durch Europa. Als Tourpräsentator freut es natürlich besonders, dass sich die Band dazu bereit erklärt hat, uns in unregelmäßigen Abständen auf dem Laufenden zu halten und ihre Anekdoten und Eindrücke mit uns und euch zu teilen. Lest im offiziellen ESKIMO CALLBOY-Tourblog ab sofort alles, was ihr schon immer wissen oder auch nicht wissen wollt. Und los geht’s …

Tourbericht Teil 2 – München – von Kevin Ratajczak

 

Tag 1

Ne Tasse Whisky Cola zum Frühstück, direkt nach’m Aufstehen um 14 Uhr, aus nem Becher, den gestern wohl jemand noch für ne Tüten-Suppe benutzt hat. Irgendwas mit Tomate, denn die roten Reste schwimmen jetzt oben auf der Mische und gucken dich vorwurfsvoll an. Dazu noch ein paar leckere Salzbrezeln, die hat da irgendwie jemand aufm Tisch liegen lassen. Bleibt am Ende nur noch die Wahl zwischen drei identischen Joggingpeitschen, die sich nur durch ihre unterschiedlichen Flecken unterscheiden lassen, dann kann der Tag eigentlich schon beginnen!
Es braucht ein bissl, bis man in Tour-Modus kommt… aber dann trifft es einen wie ne Flasche Schnaps am Kopf.
Während der Planung für diese Tour fanden wir es alle total klasse, dass sie in Blöcke eingeteilt ist. Da kann man ja noch mehr Knallgas geben und dann direkt wieder die Akkus aufladen…
Nach den ersten drei Shows werde ich dann aber am Mittagstisch meiner Oma wach, und es fühlt sich ’n bissl so an, als wenn mich jemand mit nem Andrea-Berg-Song auf Anschlag aus den Träumen gerissen hat, kurz vor nem Dreier mit zwei Victoria-Secret-Models.
Versteht mich nicht falsch, ich liebe es, am Mittagstisch meiner Oma zu sitzen. Das Essen ist spitze, und am Ende gibt’s immer Taler auffe Hand. Aber diese absolute Gegensätzlichkeit der Lebensstile, so kurz hintereinander fühlt sich irgendwie surreal an.

Dennoch, wir alle können uns erholen, waschen unsere Klamotten, kuscheln mit unseren Kätzchen… Und gerade wenn man mental daheim angekommen ist, geht’s auch schon wieder los. Wie damals im Bus zur Schule. Wenn man steht, ohne sich festzuhalten, man ist ja Gangsta und hat nen Ruf zu verlieren, und dann, gerade wenn man ne Kurve erwartet und sich mit nem geilen Michael-Jackson-Move in die gleiche Richtung lehnt, biegt der Bus wegen ner Umleitung anders ab und man landet mit seiner Fresse an der Scheibe. So fühlen wir uns und so sehen wir auch aus.
Der nächste Block steht an, und es erwartet uns eine Premiere.
Schon seit den Anfängen von ESKIMO CALLBOY sind wir regelmäßig Gast im Backstage in München. Aber dieses Mal ist es das erste Mal, dass wir eine Zusatzshow spielen, weil die erste zu schnell ausverkauft war. Irgendwie ein total cooles Gefühl. Und so kommen wir früh morgens auf dem Gelände an. Das Besondere ist, die Zusatzshow findet vor der eigentlichen Show statt. Man ist geneigt, von nem Warm-up zu sprechen, aber es soll anders kommen.
Und so bauen wir auf.
Das Coole ist, die Bühne kann gleich für den nächsten Tag stehen bleiben, so hat es auch unsere Crew am nächsten Tag etwas leichter.

Nachdem alles für die Show steht, können wir nun den angenehmen Teil des Abends starten…
Ein neuer Fifa-Teil ist draußen, und seit man beim Torjubel dabben kann, ist bei uns die Hölle los. Vergessen sind die Zeiten in denen man verzweifelt versucht hat, die Blowjob-Regel durchzusetzen. Heutzutage dabbt man seinen Gegner in die Verzweiflung. Und so vergeht der Tag recht schnell, bis abends dann die erste Show ansteht.
Wie gesagt, zunächst die Zusatzshow, und mit etwa 700 Leuten genug, um ne geile Party zu haben. Der Saal füllt sich, und ich nutze die Chance und gehe ein bissl in den Besucherraum und schaue mir SLAVES an. Man quatscht mit ein paar coolen Leuten, doch eine Sache habe ich gänzlich unterschätzt. Wir sind in Bayern. Und in Bayern trinkt man Bier. Viel Bier. Deshalb vergeht nicht viel Zeit bis ich eins nach dem anderen zugesteckt bekomme, fast so wie es damals mein Opa immer mit den „Werthers Echte“ gemacht hat. N‘ Klümpchen fürn Heimweg, so ganz nebenbei und irgendwie auch selbstverständlich. Und hupsalla, auf einmal bin ich voll, die Show hat nicht mal angefangen.
Zurück in unserem Backstage hat Pascal auch schon den obligatorischen Gin-Tonic vorbereitet, das kann der Junge echt gut. Kurz danach ist auch schon Zeit für die Bühne.

Und was soll ich sagen… München enttäuscht uns nie. Egal welcher Wochentag, egal welche Jahreszeit, die Menschen haben immer Bock. Na klar, wir als Musiker auf der Bühne geben immer unser Bestes. Nicht zuletzt bezahlen die Leute ja auch dafür. Aber wenn du so wie heute diese Superstimmung von der Menge zurückbekommst, dann sind die Emotionen einfach roh und unverblümt. Und dann spielt es auch keine Rolle, ob eine Halle ausverkauft ist oder nicht. Wir verbringen einen richtig geilen ersten Abend. Manche von uns nutzen die Chance und fahren in die Münchener Innenstadt zum Feiern, manche hängen mit den anderen Bands am Bus ab und lassen es gemütlich angehen. Es herrscht eine absolut gelassene Stimmung. Jeder kann am nächsten Tag auspennen, und so erweitert sich nach dem einen oder anderen Drink unser Pimmel-Bingo um zwei Mitglieder unserer Crew. Achievementunlocked. Oder so.

Tag 2

Am nächsten Morgen stapfen wir zusammen zum Frühstück.
Das Gelände ums Backstage ist wie ein kleiner Park angelegt, überall Pflanzen, überall kleine ruhige Ecken mit Sitzgelegenheiten. Wir mögen es hier. Erinnert einen irgendwie an diese Center-Parc-Bungalow-Kurzurlaube mit den Eltern damals. Nur mit weniger Sex und Drogen. Also bei uns jetzt!
Und da ist er wieder, der „Tour-Modus“.
Ab da vergeht alles irgendwie wie im Flug.
Die zweite München-Show am Abend, megageil, wie auch anders? Der Abbau, der Aufbau am nächsten Tag in Stuttgart, eine weitere ausverkaufte Show vor einem geilen Publikum, eine Gruppendusche, ne Familien-Pizza auf’mBusdach, ein Transvestit, der sich hinterher als Mädel herausstellt, das nur wie einer ausschaut, und BAM! bist du in Aarau in der Schweiz und hast die letzte Show des zweiten Tourblocks gespielt. Während der Show bin ich, ohne Beteiligung von jeglichem Alkohol, in ein Bühnenlicht geflogen. Das hat mich schon aufgeweckt, bevor ich wieder bei Oma am Tisch sitze. Kaputt gegangen ist nix außer ner Rippe. Aber die wollte ich eh mal wegmachen lassen. Marylin Manson hat mich da damals auf ne dumme Idee gebracht.
Und wieder ein Wochenende rum und ein weiteres Lebensjahr dafür eingetauscht. Aber das macht man gerne. Denn auf Tour zu sein macht Bock. SLAVES und BAD OMENS sind Supertypen, mit denen wir echt gerne abhängen, die Leute auf den Shows sind wahnsinnig, und die neuen Songs machen richtig Spaß live. Und so machen wir uns zurück auf den Weg nach Castrop-Rauxel, um wieder nicht klarzukommen für ein paar Tage! Wir geben uns Gute-Nacht-Küsschen und sagen Tschüss, wir sehen uns in Salzburg.

Teil 1

ESKIMO CALLBOY sind gerade auf ausgiebiger „The Scene Tour“ durch Europa. Als Tourpräsentator freut es natürlich besonders, dass sich die Band dazu bereit erklärt hat, uns in unregelmäßigen Abständen auf dem Laufenden zu halten und ihre Anekdoten und Eindrücke mit uns und euch zu teilen. Lest im offiziellen ESKIMO CALLBOY-Tourblog ab sofort alles, was ihr schon immer wissen oder auch nicht wissen wollt. Und los geht’s …

Tourbericht Teil 1 von Kevin Ratajczak

Ich weiß noch genau, was für ein erleichterndes Gefühl es war, als wir im Frühjahr dieses Jahres unser fertiges Album abgegeben haben. Unsere zufriedenen Gesichter, ein Grinsen wie in Stein gemeißelt, und wie wir uns alle gönnerisch auf die Schultern geklopft haben… Leider geschah das ganze erst drei Wochen nach Ablauf der Deadline. Und auch wenn das für unsere Verhältnisse noch sowas von „in time“ ist, hatten zu diesem Zeitpunkt bereits alle Business-Menschen um uns herum ihre Hände vor dem Kopf zusammengeschlagen. All die mühsam ausgedachten Marketing-Pläne, all die geplanten Abläufe bis zum Release… alles für die Katz!

Trotzdem waren wir ziemlich zufrieden angesichts der lebensverändernden Killer-Tracks, die wir uns da wieder aus dem Ärmel geschüttelt haben! Und Katzen sind ja an sich auch erst mal nix Schlimmes, ist ja schließlich auch dieses ganze Internetz mit voll. Und so freuten wir uns zunächst einmal über unsere zurückgewonnene Freiheit.

Freiheit = Antrieblosigkeit?

In unserer Heimat, dem schönen Ruhrgebiet, wird man zwar erst als Teil der arbeitenden Bevölkerung angesehen, wenn man pro Tag mindestens zehn Zentner von irgendwas aus irgendwas anderem herausgeschlagen hat, aber gerade die letzten Wochen unserer Schreibphase, mit zunehmendem Zeit- und Leistungsdruck, fühlten sich irgendwie mehr wie ein einzelner, nicht endender Arbeitstag an.

Ganz klar, wir lieben unseren Job und wir würden ihn gegen nichts auf dieser Welt eintauschen, aber nun mal ein wenig runterzukommen, tat uns allen mal gut. Das Problem ist bloß, „ein wenig runterkommen“ artet bei uns meist in solch eine unglaubliche Antriebslosigkeit aus, dass man froh sein kann, dass wir aus lauter Faulheit nicht künstlich beatmet werden müssen. Wohlwissend auch, dass natürlich mit Abgabe eines Albums die Arbeit nicht getan ist. Denn unsere Musik machen wir natürlich für die Bühne.

Und so steht einige Wochen später neben einer Japan-Tour dann auch schon unsere große Europa-Releastour zu unserem neuen Album „The Scene“ an. Da wir generell ein ziemlich organisierter Haufen sind, ist es nicht verwunderlich, dass die grobe Planung für unsere Bühnenshow schon lange im Vorhinein steht. Und wenn ich hier das Wort „grob“ wie bei ’ner Leberwurst benutze, dann wären in unserer wohl noch komplette Gebeine zu finden. Vor unserem inneren Auge steht alles, und alles sieht auch echt geil aus. All die Lichter und Bühnenelemente… wirklich atemberaubend.

Nur steht von dem Ganzen fünf Tage vor dem ersten Tour-Stop in Berlin leider noch nicht viel zum Anfassen, so ganz in real in unserem Studio in Castrop-Rauxel bereit. Aber unter Druck arbeiten wir eh am besten, und so packen wir unsere Batman-Pyjamas ein und verbringen die restlichen Tage bis zur Tour in unseren bescheidenen Räumlichkeiten in Castrop-Rauxel.

Wir basteln etwas Großes zum Anfassen

Das Haupt-Bühnenelement ist diesmal ein etwa 4 mal 4 Meter großes X, wie es auch unser CD-Cover schmückt. Gefertigt aus Stahlblechwannen mit satinierten Plexiglasdeckeln und dahinter befindlichen LED-Stripes soll das Ganze mittig auf der Bühne stehen und natürlich leuchten wie ein Christbaum. Wir klöppeln und bauen also drauflos in der wenigen Zeit, die wir uns selbst gegeben haben, und hoffen, dass am Ende alles so funktioniert, wie wir es uns wünschen.

Nach mehreren Paletten Monster Energy und einer Nachtschichten-Serie, die selbst frischgebackenen Krankenschwestern den Schweiß auf die Stirn treibt, packen wir also unseren Kram zusammen und begeben uns auf unsere Reise nach Kassel zu den Produktionshallen eines örtlichen Equipment-Verleihs. Hier bauen wir alles einmal auf und testen mit unserer kompletten Crew, ob wir unsere Arbeit gut gemacht haben.

Die Wahrheit ist, unsere Crew-Leute, die natürlich auch unsere Freunde sind und an deren Wohlbefinden uns einiges liegt, sind geneigt uns mit unseren Popos auf den Enden unseres tollen X aufzuspießen. Denn unsere Konstruktion wiegt in Summe schon einiges. Und obwohl leichtes Alu-Blech als Grundmaterial ausgemacht war, dachten wir, Stahlblech ist nicht nur stabiler, sondern hört sich auch einfach geiler an.

Naja, ein Zurück gibt es jetzt eh nicht mehr… und so steht dann am Ende des letzten Tages vor der ersten Show unser X in voller Pracht, leuchtend vor uns. Und die Arbeit hat sich sichtlich gelohnt, wir sind alle schon ziemlich beeindruckt. Und dass unsere Crew am Ende der Tour aufgrund des Gewichts unseres X nur noch aus lauter Mr. Olympia-Anwärtern besteht, braungebrannt, mit 40er Bizeps, ist ja eigentlich auch ein cooler Nebeneffekt.

Showtag #1 – Berlin

Aufgrund des aufwendigen Aufbaus unserer Bühne kommen wir schon früh in Berlin an und werden von einem absoluten Dreckswetter erwartet. Dafür geht der Aufbau umso schneller und schon nach anderthalb Stunden steht alles, wo es hin soll.

Wir waren schon oft hier, und wir wissen um den Anspruch des ansässigen Publikums.

In Berlin ist ja manchmal der simple Gang zum Kippenautomat schon so ein fancy Erlebnis, dass man es als Band schon sehr schwer hat, im täglichen Lichtermeer der Attraktionen in dieser schillernden Stadt ein wenig Beachtung abzuzwacken. Und gerade wir, als die Typen aus’m Ruhrpott wirken hier in der Hauptstadt der Geilheit ohnehin schon oft so rückständig wie ein AfDler im Bundestag.

Wird das Make-Up halten?

Je näher unsere Stagetime im schönen „Huxleys neue Welt“ rückt, desto nervöser wird unser Haufen. Das erste Mal auf heimischen Boden das neue Programm abfeuern. Was werden die Leute sagen? Werden wir mit unseren Pumps auf der Bühne ausrutschen? Wird das Make-Up halten? Und warum dachte sich mal irgendwann jemand, es wäre ’ne geile Idee, Ananas auf ’ne Pizza zu machen?

Wir haben eine Reihe an Gästen da, was den Druck natürlich nochmal etwas steigert. Neben Teilen unserer Familien, sind auch Freunde von WBTBWB, ANY GIVEN DAY und CALIBAN da.
Letzten Endes gehen wir dann um 21:00 pünktlich auf die Bühne nachdem SLAVES und BAD OMENS den Saal schon mal ordentlich auf Temperatur gebracht haben.

Und was soll ich sagen, nach dem ersten Song ist die Nervosität wie weggeblasen. Die Leute sind hammer drauf, die Songs fühlen sich gut an, die Ansagen passen. Wir verbringen einen richtig geilen Abend. Als besonderen Gast können wir sogar unseren MC Thunder aka HandofBlood aka Max Knabe auf der Bühne begrüßen. Nach der Show ist auch die Erleichterung zu spüren, die solch eine vorherige Anspannung mit sich bringt. Wir sind mit der Show zufrieden und denken, dass das eine solide Basis für die nächsten Shows sein wird.

Wenn man sich rückblickend mal so die Geschichte unserer Band anschaut, wie alles in Jugendzentren begonnen hat, man irgendwann in Leggins halbvoll auf die Bühne gehopst ist, ich glaube, wir hätten uns damals alle nicht träumen lassen, wo unserer Geschrammel mal hinführt, und mit welch einem Aufwand wir das Ganze betreiben würden. Aber es fühlt sich geil an.

Und so sagen wir Tschüss zu Berlin und machen uns auf den Weg nach Hamburg!

Showtag #2 – Hamburg

Dat schöne Hamburg liegt vor uns. Nach dem einen oder anderen Bierchen (zu viel) gestern Abend klappt das frühe Aufstehen zwar nicht so geil wie noch am ersten Tag, aber wir sind aufgrund des geilen Auftakts vom Vorabend einfach nur sowas von riemig auf die nächste Show. Vor allem weil wir so eine ganz besondere Verbundenheit zu dieser Stadt spüren. Als es damals so langsam damit anfing, dass wir nicht nur in Rufweite zu Castrop-Rauxel auftreten, war Hamburg eine der ersten Städte, für die wir sogar das Navi anschmeißen mussten. Mann, waren wir stolz, auf unsere „Liste der vergangenen Shows“ bei Myspace auch eine in Hamburg vermerken zu können. Und so war natürlich die Freude groß, auch auf dieser Tour wieder in den Docks ganz nahe am Kiez zu spielen. Wir kennen dieses Venue noch von unserer „Crystals“-Tour und wissen, wie geil es dort ist. Die Show war bereits einige Wochen vorher ausverkauft, deshalb steht einer geilen Party nichts mehr im Weg.

Der Aufbau geht schon viel flüssiger, und man merkt, dass so’n bissl diese Gelassenheit einkehrt, die man für eine gute Tour benötigt. Wir lernen unsere Supports von SLAVES und BAD OMENS auch endlich besser kennen. Der Vortag gab dafür leider keinen Raum. Die Jungs sind allesamt einfach megacool drauf, und wir ahnen, dass wir noch die ein oder andere durchzechte Nacht verbringen werden. Und so rückt unsere Stagetime immer näher.

Das geile am Backstage-Bereich des Docks ist die eigene Bar. Zwar findet sich da jetzt kein extra Bar-Mann, aber der ist mit Pascal trotzdem schnell gefunden. Das Problem ist halt nur, und damit sind wir wieder bei unserer teils grenzenlosen Faulheit angelangt, wenn wir unsere Drinks selber machen, trinken wir weniger. Und mit Pascal als Einschütter geht das diesmal einfach hier und da etwas zu schnell! Zum Glück sind wieder ’ne Menge Freunde am Start, die uns durch ihren eigenen Durst die Schlagzahl etwas drosseln. Und so stehen wir in der Blüte unserer Partylaune dann wieder pünktlich um 21:00 auf der Bühne und werden von einem typischen Hamburger Publikum erwartet. Und wie schön dat X wieder leuchtet. Der größtenteils fehlerlose Ablauf vom Vorabend lässt uns unsere Show selbstbewusst durchziehen. Man prägt sich nach und nach ein, wie welche Songs auf die Leute wirken. Das Ganze fühlt sich an diesem zweiten Tag schon irgendwie intuitiver an. Wir haben richtig Bock, und ich hoffe, das merken auch die Leute. Am Ende gehen wir absolut fertig, aber zufrieden von der Bühne.

Bloß keine Party für uns, wir müssen ja morgen wieder fit sein

Jetzt schnell duschen und packen. Denn man ist ja nicht jeden Tag in Hamburg.

Nachdem der Backstage leergetrunken und unser Kram wieder zurück im Bus ist, gehen wir zum Abschluss noch ’ne kleine Runde übern Kiez… nur mal eben gucken, ob noch alles so ist, wie wir es kennen. Natürlich keine Party für uns, wir müssen ja morgen wieder fit sein.

Aber genau in dem Moment, als wir zurück zum Bus gehen wollen, erblickt Pascal mitten vor sich auf dem Gehsteig, direkt vorm Eingang eines Stripclubs, einen gefalteten 100-Euro-Schein. Das muss Schicksal sein. Er hebt den Hunni also auf, wir gehen zusammen zum Fundbüro, um den Fund abzugeben, holen uns eigene 100 Euro ab, und verbringen den restlichen Abend (eine Stunde netto bis Abfahrt) in einem Club, der riecht, als wenn darin mehrere Kinder gezeugt wurden. Ein Abend, wie er sich für Hamburg gehört. Vielen Dank! Ab geht’s zum Heimspiel nach Köln! Mit 30 Minuten Verspätung!

Showtag #3 – Köln

Naja, Heimspiel?! Nicht ganz. Aber wir sagen das immer gerne, weil unser lieber Booker irgendwie nie ’ne Show in der Castroper Europahalle bucht. Und da müssen wir halt das eine Autostunde entfernte Köln zur „Heimat“ machen. Klaro, dass unsere Gästeliste mit über 100 Personen aus allen Nähten platzt. Und auch diese Show war lange im Vorhinein ausverkauft und mit über 2.100 Gästen auch die bislang größte Headliner-Show, die wir je gespielt haben. Diese unromantischen Zahlen sind nicht nur ein Indikator dafür, ob es voll wird (und voll = gute Party) sondern für uns auch immer ein cooles Feedback, ob unsere Leute noch cool finden, was wir da so veranstalten.

Zusätzlich zu den normalen Gästen des Abends sind dieses Mal auch wieder alle Mamas und Papas da, um zu sehen, ob sich der Abbruch unserer Medizin-, Jura- und Astronauten-Studien für die Musik auch gelohnt hat.

Fette Headliner-Show vor Mama und Papa

Und nicht nur unsere Familien sehen sich das Ganze an… Denn die Show des heutigen Abends wird dank der Zusammenarbeit mit Monster Energy auch live auf Facebook gestreamt. Ein komplettes Kamerateam hält die Show aus mehreren Winkeln fest. Aber nicht nur für den Stream selber… Im Laufe der vergangenen Jahre haben wir immer mal wieder ganze Konzerte mitgeschnitten. Unser Wunsch ist es, aus dem gesamten Material eine Dokumentation unseres Weges als Band zu erstellen. Davon später mehr.

Und so vergeht die Zeit bis zur Show wie im Flug, alle Verwandten haben ihre Plätze eingenommen, und als Besonderheit haben wir einige der Darsteller aus unserem „The Scene“-Video live auf der Bühne und lassen sie im Intro die Show eröffnen.

Der Vorhang fällt, die Leute sind sofort da. Obwohl wir unsere Inears drin haben, hören wir alle, wie lautstark die Menge ruft. Das ist einfach ein unbeschreibliches Gefühl und nicht zuletzt der Grund, warum wir tun, was wir tun. Wenn wir auf die Bühne kommen und die Menge mit uns zusammen unser neues Album feiert, das ist genau der Antrieb, der uns auch in schweren Phasen des Songwritings weitermachen lässt.

Und als wenn wir schon mehrere Wochen mit dem neuen Programm auf der Bühne stünden, gleiten wir durchs Set. Einzig bei unserem Song „Banshee“ lässt uns die Technik ein wenig im Stich. Aber sowas passiert ja sowieso immer nur dann, wenn man es aufnimmt oder live ins Internet streamt. Dieser kleine Holperer bringt der Stimmung aber keinen Abbruch. Wir haben auf der Bühne niemals das Gefühl, dass wir die Leute animieren müssten mitzumachen, wir spüren eine unglaubliche Energie, die das gesamte Set über erhalten bleibt. Völlig euphorisiert gehen wir nach anderthalb Stunden dann von der Bühne und werden schon von unseren besten Freunden und Familien empfangen. Gibt es etwas Geileres als das, was man am meisten liebt, mit denjenigen zu teilen, die man am meisten liebt? Ich glaube nicht. Und somit endet der erste Block unserer Tour, und wir fahren für drei Tage heim. Aber mit dem Gewissen, dass diese Tour etwas ganz Besonderes sein wird.

Quelle: Eskimo Callboy
25.01.2018
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