In Extremo
In Extremo

Interview

Wenige Stunden vor einem umjubelten Auftritt in der Columbiahalle: Das Letzte Einhorn steht nicht auf der Bühne, sondern sitzt auf Treppenstufen in der Nähe des Tourbusses. Doch ein Mikro hat der Sänger auch jetzt vor der Nase kleben. Nachdem ihn seine Crew über die jüngsten Fußballergebnisse unterrichtet hat, spricht er offen über die jüngsten Vorwürfe, Korn und Eisbären.

In ExtremoHeute gibt es den Berlin-Gig. Ist so ein Heimspiel eigentlich nach wie vor noch etwas Besonderes für euch? Du sagtest schon, dass eine DVD ansteht.

Micha: Wir schneiden ein paar Sachen mit, mal sehen… Ich versuche immer ganz normal ranzugehen.

Ist auch Familie im Publikum?

Micha: Ja, aber hier sind auch so ein paar mehr Leute auf der Gästeliste. Also für mich ist es eigentlich ganz normal, aber man hat es schon so ein bisschen im Hinterstübchen.

Haben sich schon Favoriten für den Tourbus herauskristallisiert? Ihr habt ja immer so eine Lieblings-CD, die dann hoch und runter läuft.

Micha: Ah, ja. Ne, soweit sind wir noch gar nicht, aber das wird jetzt demnächst auch angegangen werden, hahahaha.

Und wie kommt ihr mit eurer Vorband klar?

Micha: Wunderbar, wir haben die ausgesucht. Wir würden nicht mit einer Band losfahren, die wir nicht mögen.

Darf ich dir überhaupt noch Fragen zu ‚Nur Ihr Allein‘ stellen?

Micha: Ja, natürlich! Da stehen wir zu, sonst würden wir es nicht machen.

Als ich das Video zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich mir: Verdammt, jetzt machen sie es schon wieder! Warum nehmt ihr ausgerechnet den kontroversesten Song vom ganzen Album als Single?

Micha: Weil wir IN EXTREMO sind, haha! Mit den ganzen Vorwürfen, also TOTE HOSEN und so, das ist alles Quatsch. Das ist ein Stück, das für die Fans gemacht ist. Ein Dankeschön, mit einem Augenzwinkern, dass wir selbst über uns lachen können. Wer so was nicht versteht, der tut mir einfach nur Leid.

Einige haben sich auch mehr über das Video aufgeregt. Bis auf die eine Stelle mit dem Feuer wäre es nicht IN EXTREMO und man müsse doch nicht japanische Touristen verarschen.

Micha: Das ist einfach schwarzer Humor, den wir haben. Da kamen auch Vorwürfe in Richtung: „Rechtsradikalismus!! Wie könnt ihr so was machen???“ Ich sage mal ganz arrogant: Mit solchen dummen Menschen unterhalte ich mich gar nicht! Wer IN EXTREMO kennt, sich damit beschäftigt und nicht gleich die Schublade aufmacht und losbrüllt, der weiß das eigentlich. Das Video ist einfach wirklich zum Lachen. Wir mussten den Dreh abbrechen, weil wir uns halb totgelacht haben. Und das sind wir.

Du hattest gerade gesagt, dass ihr euch eure Vorband noch selber aussucht. Aber habt ihr bei Universal wirklich noch diese totale Freiheit?

Micha: Alles was bei IN EXTREMO auf einer CD drauf ist, jeder einzelne Ton, ist von und mit IN EXTREMO – ohne Absprache mit der Plattenfirma.

Ich meine auch Sachen wie Coverkonzepte, Videos und Merchandise.

Micha: Merchandise gehört uns, das werden wir niemals aus der Hand geben. Und was wir nicht absegnen, wird nicht gemacht.

Man hört ja immer so Stories, dass eigentlich ständig versucht wird, gerade bei Majors, den Bands Dinge vorzuschreiben, was dann auch oft zu Krach führt.

Micha: Na, ich glaube, das versuchen die bei uns gar nicht mehr. Es gibt nur immer so ein paar Sachen die irgendwo laufen, die man gar nicht checkt, weil es so viel ist.

Du hast außerdem schon angesprochen, dass bei Kritik auch manchmal extreme Sachen dabei sind. Aber es gibt sicher auch „Altfans“, die sich abwenden oder zumindest kritischer werden. Berührt euch diese Kritik überhaupt noch und kalkuliert ihr die in gewisser Weise ein oder sagt ihr im Endeffekt: „Okay, die Verkaufszahlen geben uns Recht, ist uns scheißegal…“?

Micha: So einfach machen wir es uns natürlich nicht. Ich denke schon drüber nach, wenn man Kritik hört. Für mich ist einfach Fakt, dass sich jeder Mensch von der Geburt bis zum Tod entwickelt. Weißt du, wenn ich solche Sprüche höre: „Macht doch mal wieder eine Platte wie „Weckt Die Toten““, sag ich wirklich eiskalt nein. Weißt du warum? Weil wir die schon gemacht haben. Es gibt immer Fans, und da möchte ich keinem auf den Schlips treten, ich bin wirklich froh, dass wir die Fans haben, das ist das A und O und das wissen wir auch zu schätzen, aber es wird immer Leute geben, denen du es nie recht machen kannst: ewige Nörgler, die dich, ob das nun IN EXTREMO sind oder eine andere Band, für das Wohnzimmer gemietet haben. Und wenn du nur auf den Balkon gehst, bist du schon ein Verräter. Das konntest du bei den ÄRZTEN damals beobachten und überall. Es ist Quatsch! Jeder Mensch entwickelt sich weiter und ich freue mich, wenn Leute aus allen Schichten unsere Musik hören. Das ist eine Bestätigung. Wir machen die Musik nicht für eine gewisse Gruppierung. Musik kann Berge versetzen, Musik ist Freiheit, Liebe, Sehnsucht, alles. Warum soll nur eine gewisse Gruppe von Menschen daran teilhaben?

Würdet ihr also prinzipiell schon sagen, dass ihr euch von der Mittelalterszene emanzipiert habt?

Micha: Würde ich nicht sagen. Zum Beispiel auf den letzten zwei Platten, selbst auf „7“, sind soviel mittelalterliche Melodien, wie auf „Weckt Die Toten“ und „Verehrt Und Angespien“ zusammen. Nur, das sind Melodien, die keiner kennt. Die kennen nur das ‚Palästinalied‘ oder ‚Stella Splendens‘ und das ist für die Mittelalter. Es gibt Melodien, die hat noch nie einer gehört. Man sollte auch nicht immer gleich die Schublade aufmachen, sondern einfach ein bisschen den Horizont erweitern, mal genauer hinhören, bevor man den Mund aufmacht. Daran bin ich natürlich auch noch, genau wie jeder andere, am Arbeiten. Das ist unsere Mentalität, wir können da manchmal nichts dafür.

Sind in dem Zusammenhang vielleicht auch ‚Poc Vecem‘ oder ‚Spielmannsfluch‘ zu verstehen, als Statements für solche Leute?

Micha: Natürlich. Bei ‚Spielmann‘ der Text ist zum Beispiel so: „Ich bin doch nur ein Spielmann.“ Es ist natürlich ein sehr persönlicher Text, aber wer ihn hört, kann sich da schon einiges zu den ganzen Vorwürfen denken. Weißt du, man kriegt Vorwürfe, dass man mit Rea Garvey zusammengearbeitet hat [REAMONN-Sänger und Ehemann der IN EXTREMO-Managerin – Anm. d. Verf.]. Der Typ hat sechs Jahre mit der Gitarre Straßenmusik gemacht. Da hat er von gelebt, mit dem Hut! Weißt du, wie ich das meine? Da kann ich dann manchmal einfach diese Kritiken und Vorwürfe nicht verstehen. Wir haben uns gefreut, dass Rea da zugesagt hat. Er ist ein Ire, deswegen haben wir das auch auf Gälisch gemacht, weil er das noch in der Schule gelernt hat. Man kriegt Vorwürfe: „Öh, so ein Popperarsch“, weißt du, solche Leute.

Hehe.

Micha: Ne, ich kann so was nicht verstehen. Der Typ hat mehr Heavy Metal, als mancher Heavy-Metal-Typ, der sich seine Nietenscheiße um den Hals bindet. Punkt. Kann man auch so schreiben, haha.

Was ich eher verstehen würde, wäre Kritik in der Hinsicht, dass eure Songs immer recht simpel von der Grundstruktur her sind. So dieses Strophe-Refrain-Schema, aufgelockert durch ein paar Dudelsäcke…

Micha: Ja.

Hast du in dem Zusammenhang zum Beispiel mal von CORVUS CORAX die „Carmina Burana“ gehört?

Micha: Habe ich bis jetzt nie gehört, werde ich mir aber irgendwann mal anhören.

Gäbe es da auch für euch noch solche Wunschprojekte?

Micha: Ach, solange IN EXTREMO Träume haben, werden wir das schon machen. Und wir haben viele Träume. (schmunzelt)

Wo wir gerade bei CORVUS CORAX sind: Da gibt es immer dieses Gemunkel, dass ihr euch nicht so gut versteht. Auf der anderen Seite hast du wohl ganz früher sogar mal bei denen gesungen?

Micha: Mensch, wir haben jahrelang zusammen gespielt. Die Leute erzählen immer so viel. Ich habe die jetzt ein Jahr nicht gesehen und auch nicht viel mit denen zu tun, weil man sich einfach nicht sieht. Wir kennen uns aus früheren Zeiten, haben vor 12, 13 Jahren zusammen auf mittelalterlichen Märkten gespielt. Also die haben das auch nicht erfunden, das ist Quatsch. Mit einem von CORVUS habe ich fünf Jahre ein Duo gehabt, Straßenmusik gemacht und auf Mittelaltermärkten gespielt. Wenn man sich sieht, sagt man freundlich „Hallo“ und „Guten Tag“. Es wäre ja blöd, wenn wir uns nicht auf der Straße grüßen würden.

Also gesunde Konkurrenz…

Micha: Ne, ich würde CORVUS CORAX für uns nicht als Konkurrenz sehen, weil wir ein völlig anderes Ding machen. Rock’n’Roll ist ein Bauchgefühl, auch eine Lebenseinstellung. Das ist das Glück für uns, dass wir vom Rock kommen, den wir zu DDR-Zeiten gemacht haben. Vor In Extremo habe ich über Jahre Punk Rock und Blues gespielt. Die eine Hälfte kommt daher, die andere Hälfte von den Mittelaltermärkten. IN EXTREMO ist IN EXTREMO, einzigartig und einmalig und wir werden unseren Weg machen.

Auf Nachfrage äußert sich Micha auch zu weiteren Szenegrößen, betont den respektvollen Umgang miteinander, macht aber auch deutlich, dass er sich einige Bands privat nicht anhört. Abgetippt möchte er diese Zeilen aber lieber nicht sehen. Das ist bei ähnlichen Fan-Gruppen und sensiblen Musikerseelen wohl auch besser so.

Obwohl ihr bei Universal seid, habt ihr ja auch für das neue Album wieder viel Basisarbeit gemacht. Ich habe euch zum Beispiel auf einem lokalen Radiosender gehört, wir sitzen jetzt hier für ein Interview mit einem Online-Magazin. Ist das für euch überhaupt noch eine Sache, die wichtig ist oder würden sich IN EXTREMO mittlerweile nicht selber tragen, weil sie schon so groß sind?

Micha: Es wäre dumm, das nicht zu machen. Erstens wollen die Fans auch was wissen – und das ist der Bezugspunkt nach außen. Ich finde es einfach wichtig und es ist ja letztlich auch eine Werbung für uns selbst. Wer das großkotzigerweise abtut und nicht macht, der hat selber Schuld.

Ihr habt auch auf dem Abschluss-Festival der BÖHSEN ONKELZ gespielt. Wir hatten gerade auf der Seite ein Interview mit CHILDREN OF BODOM. Die meinten, dass sie dort zwar nicht viele eigene Fans hatten, aber dass es trotzdem ein einmaliges Erlebnis war, mal auf der Bühne Menschen bis zum Horizont zu sehen.

Micha: Das war gigantisch. Also wir hatten natürlich das Glück, dass totale Fans dabei waren, die unsere Songs sogar mitgesungen haben, was mich total gewundert hat. Wir haben zugesagt, wir stehen dazu und haben uns, glaube ich, ein halbes Jahr mit der Band beschäftigt, was ich vorher nie gemacht hätte. Wir hatten auch Treffen, haben mit Plattenfirmen geredet, mit Rock-Magazinen, mit Agenturen, mit dem Management von den ONKELZ, wir haben sogar mit den Musikern geredet und ich habe die auch richtig ins Gesicht gefragt, ob an der ganzen rechten Sache was dran ist.
Das ist eine ganz normale Band, die vor zwanzig Jahren mal einen Fehler gemacht hat und man sollte nach zwanzig Jahren auch einfach mal einen Strich drunter machen, wenn man merkt, dass Leute sich zum Positiven entwickelt haben. Das ist meine Meinung. Wenn einer aus dem Knast kommt, nach zwanzig Jahren in ein Haus zieht und dann einer sagt: „Öh, mit dem spreche ich nicht, weil der mal im Knast saß“, dann ist das nichts anderes. Die haben Fehler gemacht und das sind erwachsene, 40-, 42-jährige Männer, die mit der ganzen Scheiße nichts am Hut haben und noch dazu in den letzten fünf Jahren auf Benefizkonzerten für Opfer rechter Gewalt eine Summe von 1,5 Millionen Euro gesammelt haben. Das wird natürlich in den Medien nie erwähnt.
Ich habe beim Konzert auch keinen Rechten dort gesehen, wenn Sprüche gekommen wären, hätten wir das Konzert abgebrochen und das Konzert war richtig klasse, gut organisiert und das größte Festival, was in Deutschland oder Europa, was weiß ich, stattgefunden hat. Das sollte man auch mal respektieren, was diese Jungs dort auf die Beine gestellt haben.

Was steht nach der Tour alles an? TITO & TARANTULA haben wohl bei euch angefragt…

Micha: Ja, Tito ist ein sehr guter Freund von uns. Auch Jonathan Davis von KORN war vor zwei Wochen bei mir zu Hause, weil die in Köln gespielt haben. Er hat mich angerufen, da wir einen sehr guten Kontakt haben. Ich war auch schon zweimal bei ihm in L.A.. Wir haben jetzt beim letzten Treffen auch zum ersten Mal über Musiksachen gesprochen. Wie es aussieht, werden wir nächstes Jahr auch die komplette England-Tour mit KORN machen. Es gibt da noch ein paar andere Anfragen, die noch ungelegte Eier sind. Auslandsmäßig und mit anderen Bands wird aber ein ganzer Haufen passieren.

Im Booklet von „Mein Rasend Herz“ steht unter anderem ein Dankesgruß an „Die Eisbären“. Ist der unserem Ost-Eishockey-Meister gewidmet?

Micha: Hahaha, ja logisch! Wir haben zwei Mann, die sind so richtige Fans von denen und wir kennen uns auch persönlich. Zum Beispiel waren wir gestern in Rostock und haben Hansa Rostock eingeladen – war schon lustig. Das ist natürlich der Vorteil, wenn du „groß“ bist. Da lernst du auch ganz andere Leute kennen. Das ist total irre und macht auch Spaß, aber trotzdem bleibt man auf dem Boden und sucht sich einen guten Mittelweg.

Galerie mit 21 Bildern: In Extremo – Baltic Open Air 2023
23.10.2005

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