Pary.San Open Air
Immer weiter kämpfen

Interview

Schon 2020 zeigte das Team hinter dem Party.San Metal Open Air, das aufgeben keine Option ist. Auch 2021 stellen sie als Ersatz für das ausgefallene Festival wieder eine Herbstoffensive auf die Beine. Diese kämpferische Attitüde transportieren Mario Flicke und Jarne Brauns auch im Interview zur Zukunft der Livekultur – klare Statements inklusive.

„Stetig steigende Preise sind in keinem wirtschaftlich arbeitenden Bereich neu oder unvorhersehbar.“

Zunächst einmal: Wie geht es euch und wie ist die aktuelle Situation in eurem Team?

Jarne: Wir sind allesamt Kämpfer und sehen, dass die Eventbranche größtenteils aus Kämpfern besteht. Uns geht es soweit gut, wir versuchen mit unseren Mitteln, diese Notlage zu umschiffen und stecken den Kopf nicht in den Sand.

Werden bestimmte Praktiken und Erfahrungen aus der Pandemie uns weiterhin im Veranstaltungskontext begleiten? Könnten beispielsweise Impfnachweise, Symptomfreiheit und Quarantäneauflagen ein normaler Bestandteil des Konzerterlebnisses werden?

Mario: Das zu beantworten ist nicht einfach. Zu hoffen ist es aus meiner Sicht jedenfalls nicht. Ein Konzerterlebnis im Rock ‘n Roll-Bereich hat was mit Freiheit und dem Ausleben der Individualität zu tun. Rigide Konzepte haben in der Vergangenheit schon nicht funktioniert und werden auch in Zukunft eher schlecht funktionieren. Allerdings vermute ich, dass wir noch eine ganze Weile mit diversen Maßnahmen leben müssen.

Werden Veranstalter von Livemusik-Events künftig gezwungen sein, die dauerhaft erhöhten Kosten für verschärfte Hygiene- und Sicherheitsvorgaben auf ihre Ticketpreise umzuschlagen?

Mario: Stetig steigende Preise sind in keinem wirtschaftlich arbeitenden Bereich neu oder unvorhersehbar. Das gab es schon immer und wird sich wahrscheinlich auch nicht ändern lassen. Gerade die sicherheitstechnischen Anforderungen wurden in dem letzten Jahrzehnt immer aufwendiger und damit kostenintensiver. Sollten Infektionsschutzmaßnahmen bei den Genehmigungsbehörden zur zukünftigen Standardportfolio dazugehören, wird das selbstverständlich Einfluss auf den Ticketpreis der Veranstaltung haben.

„Der Fachkräftemangel wird sich deutlich verschärfen“

Erwartet ihr höhere Forderungen seitens der Künstler und Agenten?

Jarne: Der Trend von immer höheren Gagen setzt sich leider ungebremst fort. Es gibt einige wenige Booker und Managements, die ein Einsehen haben, aber diese kann man an einer Hand abzählen. Im Großen und Ganzen wollen die großen Acts immer mehr für ihre Shows haben. Das erklärt am Ende auch die immer höheren Ticketpreise. Wir versuchen, uns mit aller Kraft gegen diesen Trend zu wehren. Wer unverschämt viel Geld will, spielt nicht bei uns. Punkt. Aus.

Habt ihr durch die Ausfälle im vergangenen und in diesem Jahr erhebliche Einbußen? Wie habt ihr die Förderung bzw. die Hilfszahlungen der Regierung erlebt und gab/gibt es existenzbedrohende Situationen?

Mario: Selbstverständlich hat man mit einem Berufsverbot am Hacken auch finanzielle Einbußen. Wir sind ein Unternehmen im freiwirtschaftlichem Segment der Kulturbranche. Wir sind also dazu gezwungen wirtschaftlich zu arbeiten, da wir keine staatlichen Subventionen erhalten. Die Hilfsangebote seitens des Landes oder Bundes sind vorhanden und kommen beziehungsweise kamen bei uns auch an. Allerdings muss man bedenken, dass es leider sehr vielen KollegInnen und MitarbeiterInnen nicht oder nur sehr schwer möglich ist, diese Hilfen in Anspruch zu nehmen. Die von dir erfragten existenzbedrohenden Situationen werden erst noch kommen, wenn wir irgendwann wieder arbeiten dürfen. Der Fachkräftemangel war schon vor Corona bemerkbar und wird sich durch die Umorientierung dieser Mitarbeiter in andere Tätigkeitsfelder deutlich verschärfen.

„Wenn Kultur zum Luxusgut wird, sollten wir uns von der Gesellschaft, wie wir sie kennen, verabschieden.“

Wird sich der internationale Reiseverkehr jemals wieder auf einem vor-pandemischen Niveau einpendeln und zu welchem Preis? Wird die Live-Kultur nationaler beziehungsweise kontinentaler werden?

Jarne: Das ist ein Blick in die Glaskugel. Ich hoffe auf eine Normalisierung. Sollte der Reiseverkehr eingeschränkt bleiben wird es bessere Chancen für europäische Bands geben, ganz sicher. Eine Szene ohne den amerikanischen Markt ist aber nur schwer vorstellbar.

Werden wir die generelle Idee von Massenveranstaltungen mit 10.000 und mehr Menschen künftig gesellschaftlich in Frage stellen? Können mittelgroße Locations mit einer kleineren Auslastung jemals eine ökonomisch sinnvolle Alternative sein?

Mario: Ob WIR das in Frage stellen müssen, müssen andere beantworten. Ich selber sehe und sah auch in diesem Jahr die Möglichkeit, infektionsfreie und sichere Veranstaltungen durchzuführen. Ob die Gesellschaft nach achtzehn Monaten Corona-News-Spezial-Podcast-Kompass wieder zu einem freien Leben zurückkehren möchte, kann ich nicht einschätzen.
Finanziell wird es eher schwierig, eine Location Coronakonform abzulasten und dann noch immer wirtschaftlich zu arbeiten. Mieten, Energie, Personal, Künstlergagen und so weiter bleiben bei einer geringeren Auslastung nahezu gleich. Nur die Einnahmen werden geringer. Wie soll das gehen?!

Wird die Live-Kultur zum Luxusgut? Oder können gerade kleinere und nicht-kommerzielle Künstler und Veranstalter die Pandemie besser überstehen als große Umsatz-Maschinen?

Jarne: Wenn Kultur zum Luxusgut wird, sollten wir uns von der Gesellschaft, wie wir sie jetzt noch kennen, verabschieden. Was macht uns zu Menschen? Die Arbeit beim Konzern oder unsere Träume, Ideen und Hoffnungen. Letztere sind es doch schließlich, die uns am Leben halten und uns von der notwendigen Geldbeschafferei ablenken und rettend auffangen. Sollte Kultur Luxus werden, ist der Mensch eine leere Hülle, die nur einigen wenigen das große Geld erarbeitet. Eine Frage über die man Stunden reden könnte.

„Hätten wir mal auf Mutti oder Oma gehört und was Anständiges aus unserem Leben gemacht.“

Wird sich die Publikumszusammensetzung bei Festivals und Konzerten verändern? Welche Klientel kann und will die erhöhten Preise noch zahlen?

Mario: Eine Generalisierung ist da schwierig. Dazu sind die Formate und das damit angesprochene Besucherklientel zu unterschiedlich. Hättest du mich vor 20 Jahren gefragt, ob du dir vorstellen kannst, jemals 250 bis 500 D-Mark für eine Veranstaltung zu bezahlen, hätte ich das inbrünstig verneint – heute haben wir diese Preise und zwar in Euro. Der Trend zu immer größeren Events wird sich nicht verlangsamen, da man gesellschaftlich darauf geprägt wurden in „more value for the money“-Schemata zu denken. Einer der wichtigsten Leitsätze überhaupt für unsere „Geiz ist Geil“-Mentalität. Relativierend muss man aber sagen, dass sich das gute Gefühl auf Rock- oder Heavy-Metal-Konzerten zu sein, an der sehr hohen Ausnahmequote zum oben genannten Normal liegt.

Geht der Trend zu mehr Open Air? Auch außerhalb der Sommersaison? Wäre es sinnvoll, den Betrieb in kleinen und schlecht durchlüfteten Venues entsprechend einzudämmen?

Jarne: Nein, das glaube ich nicht. Wir werden bald erkennen, dass Viren ein Teil unseres Lebens sind und schon immer waren. Wir werden damit umgehen und uns auch wieder in stickige Clubs trauen. Die Angst spielt mit uns nur solange, wie wir mit uns spielen lassen und Angst machen ist wieder in Mode. Aufstehen und für die Freiheit kämpfen. Jetzt!

Hat die aktuelle Pandemie-Situation langfristig Auswirkungen aufs Booking hinzu mehr nationalen oder europäischen Künstlern? Gibt es Learnings, die ihr für die Zukunft aus der aktuellen Situation zieht?

Mario: Dafür ist es für uns zu spät – hätten wir mal auf Mutti oder Oma gehört und was Anständiges aus unserem Leben gemacht. Spaß beiseite – was soll man daraus lernen?! Über den kurzen Weg werden wir den Landraub an der Natur nicht stoppen, um gegebenenfalls neue Zoonosen zu vermeiden, wir werden keine politischen Verantwortlichen haben, die sich den globalen Problemen auf einer globaler Ebene stellen und wir werden den Menschen ebenfalls nicht elementar ändern.

Gibt es eine realistische Chance, dass wir 2022-2023 einen Live-Kultur-Betrieb wie vor 2020 werden erleben können?

Mario: Jarne hat eingangs gesagt, wir sind Kämpfer und das werden wir auch tun: darum kämpfen!

24.07.2021

"Irgendeiner wartet immer."

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