Blood Incantation
"Wenn alles eigentlich Energie ist, Vibration, [...] dann modulierst du die Natur der Realität selbst."

Interview

Die US-Deather BLOOD INCANTATION haben jüngst mit dem Release ihres ersten vollständigen Ambient-Albums „Timewave Zero“ doch überrascht. Grund genug, sich mal die Band zu schnappen und über ihre Liebe zu altem Krautrock und elektronischen Pionieren, vor allem deutschen Künstlern, zu reden. Auch wenn es hauptsächlich ein (sehr langer) Monolog von Bandkopf Paul Riedl geworden ist, Morris Kolontyrsky (Lead-Gitarre) und Jeff Barrett (Bass) waren zumindest physisch später ebenfalls anwesend. Isaac Faulk stand nicht zur Verfügung, da er auf Tour mit seiner anderen Band STORMKEEP und somit verhindert war. Teil II kommt in einer Woche nach. Leider wurde das Interview sogar vorzeitig abgebrochen und konnte nicht beendet werden, andererseits hätte das den Bogen (noch mehr) überspannt hinsichtlich Länge des Interviews.

metal.de: Hi Paul, wie geht es euch? Danke für eure Zeit!

Paul: Mir gehts super, danke dafür, hier sein zu können, die Jungs sollten später dazu kommen.

metal.de: Lasst uns gleich auf euer neues Album zu sprechen kommen, das nun total Ambient ist. Es sollte für Fans von BLOOD INCANTATION, aber vielleicht auch Leute, die deine Nebenprojekte ein wenig mehr kennen, jetzt nicht als komplette Überraschung kommen. Ich meine der Ambientanteil in eurem Sound war stets da. Wie ist dein Weg in die elektronische Musik gewesen und was hat dich dazu inspiriert, das nun selber machen zu wollen und was fasziniert dich daran so?

Paul: Oh, dazu muss ich ein wenig weiter ausholen. Es geht bis in meine Familiengeschichte zurück. Mein Vater wurde sogar in Berlin geboren. Mein Urgroßvater ist aus Dresden um 1916 rum nach Amerika, Montana geflohen und hatte dann in seiner Hütte irgendwann sechs Kinder rumsitzen mitten im Nirgendwo. Zwei davon sind ins Militär gegangen und haben im zweiten Weltkrieg dann gekämpft und daraus ist dann mein Vater entstanden, der auch in Deutschland geblieben ist für einige Zeit. Und die ersten Gehübungen mit HOVERKRAFT waren die Idee unter der Prämisse: Was, wenn ich in Berlin geboren worden wäre, zur Hochzeit der elektronischen Musik mit den ersten Pionieren und Krautrockern, statt ein Keller-Metaller geworden zu sein (lacht).

Mein Vater ist 1971 in die Vereinigten Staaten gekommen und er fand eher Künstler wie CHUCK BERRY und LES PAUL toll und weniger die deutschen Pioniere wie CAN und FAUST, die gerade im Begriff waren Musikgeschichte zu schreiben mit Krautrock. Aber er lebte noch zur Zeit der frühen 70er, Ende der 60er in Berlin und hat die Zeit des Zodiak Free Arts Lab (ein kurzlebiges Clubprojekt in Berlin 1967 – 1969 mit experimentellem und freiem Charakter gegründet von Conrad Schnitzler, Hans-Joachim Roedelius und Boris Schaaak, das unter anderem mit den Werdegang, aber auch die Musik solcher Künstler wie Klaus Schulze oder Agitation Free die ganze Szene nachhaltig prägte – Anm. d. Redaktion) mitbekommen. Also was, wenn er zufällig Hans-Joachim Roedelius auf einen Kaffee getroffen hätte? Zufälligerweise hab ich in der Biografie von Roedelius, die ich vor kurzem bekommen habe, gelesen, dass dort ebenfalls eine Verbindung zur Familie Riedl, deren Name auf einem Familienwappen abgebildet war, scheinbar besteht oder bestand.

Und ich meine sogar ein ähnliches Wappen bei meiner grossmütterlichen Seite mal gesehen zu haben, also könnten durchaus Wurzeln zwischen mir und diesen Pionieren familiär, wenn auch über mehrere Ecken, bestehen. Also bestand auch ein persönlicher Bezug zum deutschen Teil meiner Familiengeschichte. Ich habe Briefe von 1911 bis 1938 wo die deutschen Riedls meinem Großvater geschrieben haben, hauptsächlich nach Geld gefragt haben. So etwas wie „Sende uns bitte 5 Dollar, wir haben in sieben Jahren keine Milch mehr bekommen können“ oder so was. Also das war mein ganzes Leben lang irgendwie im Hintergrund, diese Verbindung nach Deutschland und auch die zu Ambient.

Ich habe meinen ersten Synthesizer 2010 bekommen, aber hatte Interesse an dieser Musikrichtung schon seit meinen jungen Jahren. Künstler wie STEVE ROACH und ENYA, dieses New-Age-Zeug, lief während ich aufgewachsen bin oft im Radio, also war das ständig ein Teil meines Lebens. In 2006 habe ich Krautrock entdeckt, da war ich gerade neunzehn. Und seitdem ist es ein Ziel von mir geworden, nicht nur „kosmische“ Musik zu machen, sondern auch diese zwei Dinge zu fusionieren, Synthie-Sounds, aber auch Metal. Und seitdem ist das mein persönliches Karma, dafür wurde ich ins Universum gesetzt, um diese beiden Dinge zu tun. Und da ist durchaus eine Synthese vorhanden. Selbst in den Untergrund-Kult-Klassikern im Metal. Euronymus ist 1986 nach Berlin zu Conny Schnitzler gefahren, um das Intro zu „Deathcrush“ aufzunehmen, das ist heute legendär. Und wieso würde so ein junger Mann sich die Mühe machen, zu einem alten Knacker nach Berlin mit dem Zug zu reisen, wenn da nicht Magie mit dabei ist?

Aber auch Fenriz hatte mit NEPTUNE TOWERS etwa ein elektronisches Nebenprojekt, DODHEIMSGARD haben bereits früh in ihrer Karriere damit experimentiert, die Verbindung zwischen den Stilen ist größer als viele denken. Diese Leute waren alle interessiert an der Verbindung von progressiver, elektronischer Musik und untergrundigem Extreme-Metal. Und das hat sich dann meiner Meinung nach in den späten 90ern, frühen 2000ern zu „Cybermetal“ und Industrial weiter entwickelt. Und wir von BLOOD INCANTATION wollen Teil desselben „Kontinuums“ sein, aber mit einem anderen Ansatz. Wir drücken unsere Verbindung dieser zwei Ansätze anders aus, aber die Verbindung ist für mich immer schon da gewesen. Nur entsprechend dem Zeitgeist wird es anders interpretiert. Selbst in der optischen Präsentation der Künstler. Guck dir mal Bandfotos von Black-Metal-Bands aus den 90ern an, viel Leder, lange Mäntel, Sonnenbrillen, das schreit förmlich Matrix. (Jeff und Morris kommen mit in den Zoom-Call – Anm. d. Redaktion) Und jetzt haben wir auch Jeff und Morris da. Kommt Isaac auch? Ach ne, der ist ja auf Tour mit STORMKEEP.

Kurz: Für mich war das immer schon in meinem Leben und als ich die zwei und Isaac getroffen, wir gejammt und uns über unsere musikalischen Präferenzen ausgetauscht haben, hatten wir das alle gemeinsam. Diese Liebe zu minimalistischer, elektronischer Musik. Also war es einfach eine perfekte Gelegenheit, diese zwei Seiten von uns auszuleben. Den Metal, aber auch die elektronische Seite.

Morris: Ja, welche Death-Metal-Band heute macht das schon? Das schlimmste ist, solche Art von elektronischer Musik wird heute so gut wie nicht mehr produziert, aber auch nicht wirklich live gespielt. Darum ging es uns auch. Und die Möglichkeit für eine Death-Metal-Band wie uns, das nun zu tun, gab es vorher einfach nicht.

Paul: Ähnlich zu unserem Metal, der ja auch analog aufgenommen wird, wollten wir auch bei unserer elektronischen Musik diesen Weg gehen. Wir nutzen Tube-Amps, wir haben in der Post-Produktion möglichst wenig Plug-Ins und so weiter, wir probieren es sehr basisch zu halten. Fast so, als wenn du zu einer MORBID ANGEL-Show 1998 gehen würdest, wollten wir auch „Timewave Zero“ realisieren, als wenn du zu einer TANGERINE DREAM-Show 1973 gegangen wärst.

metal.de: Du hast mir meine nächste Frage quasi schon vorausgenommen, denn ihr geht von eurer Produktion her die extra Meile, analog auf Tape aufzunehmen ist natürlich wesentlich schwerer, zeitaufwändiger und auch teurer. Wieso habt ihr euch dafür entschieden? Das hättet ihr auch wesentlich einfacher haben können, gerade mit den heutigen digitalen Möglichkeiten.

Paul: Das ist nicht ganz korrekt, die meisten Synths sind analog, aber nicht alle. Ich persönlich habe vier verschiedene analoge Synthesizer, Morris, ich glaube du hattest einen digitalen Synth, Jeff hat einen Yamaha CS1-X, der auch digital ist. Also es ist ein Mix aus Digital und Analog, aber es gibt keine Softwarer-Synthesizer mit Ausnahme von einem Melotron-Emulator, denn wir können uns ein echtes nicht leisten (lacht).

Morris: Wenn irgendeiner Melotron-Firma dieses Interview unterkommen sollte, hey, sponsert uns!

 

metal.de: Was haben analoge Synthesizer, das digital emulierte Synthesizer nicht haben? Mit anderen Worten: Warum habt ihr euch so eine Mühe gemacht?

Paul: Wir haben dieselbe Philosophie für unseren Aufnahmeprozess bei unseren Metalalben: Natürlich bist du mit den heutigen digitalen Tools schneller, einfacher und günstiger unterwegs. Aber Leute haben die Debatte nun seit über fünfzig Jahren geführt. Wenn du live spielst hast du vier Leute im Raum und eine gewisse Energie. Du kannst dir eine Show auf Youtube ansehen und nicht direkt dabei sein, aber den Vibe spüren, was für mich eine gute Performance ausmacht. Wenn man in der „Zone“ ist, diese Balance zwischen Fokus und „Flow“, gilt das ebenso beim Aufnehmen. Wenn du mit vier Leuten im Raum gemeinsam auf Tape aufnimmst, gibt es einfach einen gewissen Synergie-Effekt, den du beim digitalen, getrennten Aufnehmen nicht hast. Speziell bei analogen Synthesizern ist diese Synergie durch die Spieler und die elektrischen Ströme, die dadurch resultieren, übertragbar.

Die eigentliche elektromagnentische Sound-Welle, die natürlich durch die ganzen Filter, Effekte und Gates moduliert wird, ist dieselbe, die das Licht aus deiner Lampe macht, die aus deiner Steckdose kommt, die deinen Computer antreibt. Es ist fundamental dasselbe Prinzip. Und diese reale, magnetische Energie der analogen Synthesizer erlauben es dem menschlichen Geist als Vehikel im Moment etwas zu verändern. Im Digitalen ist alles binär, du hast nur Nullen und Einsen, die probieren ein vielschichtiges Universum abzubilden. Du drückst einen Knopf, die eine Soundbank triggert, wo Daten des modulierten Instruments, sei es ein Synthesizer, eine akustische Gitarre oder was auch immer gespeichert ist. Ein analoger Synthesizer kann das nicht. Du modulierst die Welle selber. Und wenn alles eigentlich Energie ist, Vibration, wir Menschen sind auch elektro-magnetische Wesen, dann modulierst du die Natur der Realität selbst.

Das beste an analogen Synthesizern ist ganz einfach dasselbe, was für das Improvisieren jeglicher Musik gilt. Es geht um das „Zen“, im Moment da zu sein, einen „Flow“-Zustand zu erreichen, beim Malen zum Beispiel machen Leute das auch um den Kopf freizubekommen, das kannst du digital nicht replizieren. Speziell bei analogen Synthesizern sind die Oszillatoren sind nicht stabil, du bekommst wahrscheinlich nie dieselbe Welle zweimal, sie müssen aufwärmen wie ein Tube-Amp und es wird nie denselben Sound nochmal herstellen können. Also im Grunde genau das Gegenteil, was man mit digitalen, reproduzierbaren Sounds erreichen will. Für manche Leute ist das problematisch, deshalb nutzen sie ja gerade digitale Instrumente um Gleichförmigkeit gewährleisten zu können, für andere ist das sogar gewünscht. Das war sogar einer der Gründe, weshalb digitale Synthesizer erfunden wurden, natürlich neben so Sachen wie Kosteneffektivität und so weiter. Aber gerade das Imperfekte, die „Launenhaftigkeit“ der analogen Synthesizer, das spontane Moment, das lässt sich alles nicht digital replizieren. Es macht analoge Synthesizer deswegen nicht nur so interessant, fasizinierend und cool, sondern ist auch für mich Ausdruck dafür, was das menschliche Leben und Musik selbst erst interessant und unvorhersehbar macht.

Du kannst Künstler haben, die unmenschlich schnell spielen und alle Noten perfekt spielen, aber wie Tony Iommi schon sagte: Der Ton ist in den Fingern, nicht dem Equipment. Und der Typ hat nicht mal mehr seine Finger komplett (lacht). Und ähnlich kann das Tape diesen kleinen, vielleicht nicht hörbaren Unterschied ebenfalls mit einfangen, auch wenn die meisten es nicht einmal bemerken werden, aber genau deswegen haben viele Menschen eben eine Präferenz für diesen analogen „Fingerabdruck“.

Morris: Ich meine das Analoge kommt auch im Bereich der Instrumente zurück, es gibt mittlerweile viele Re-Issues von alten analogen Synthesizern obwohl die ganzen digitalen Möglichkeiten heutzutage existieren und die sind ziemlich nachgefragt.

Paul: Es ist momentan eigentlich ein goldenes Zeitalter für Equipment angebrochen. In den 1970er Jahren war der Transistor gerade einmal zwanzig, dreissig Jahre alt und heutzutage gibt es einfach viel mehr Möglichkeiten an diese Sounds zu kommen, sei es digital oder analog.

Morris: MIDI-Sequencer und so etwas existierten damals gar nicht, aber heutzutage gibt es Synthesizer mit solchen Interfaces, also es hat eine Kombination stattgefunden, die einem eigentlich mehr Optionen bietet.

Paul: MIDI wurde erfunden, gerade weil damit die alten Synthesizer quasi alle dieselbe „Sprache“ sprechen können. Als TANGERINE DREAM damals gestartet sind hatten sie gar keine Synthesizer und als MIDI aufkam und sie damit auch experimentieren wollten, hat sich ihr ganzer Sound geändert.

Morris: Die erste Platte von KLAUS SCHULZE und die erste TANGERINE DREAM, die erste KRAFTWERK-Platte hatten alle noch gar keine Synthesizer, keine Elektronik und trotzdem konnten sie diese neuen Sounds kreieren.

Paul: Ja, viele haben einfach elektronische Orgeln genutzt, die vorher vielleicht auf Jahrmärkten oder Schlagerparaden gespielt haben und dann einfach die Tapeaufnahmen modifiziert. Bevor es Tape-Echo, eines der ersten Echo-Geräte, gab, musste man umständlich das Tape zwischen den verschiedenen Rekordern neu verbandeln, BRIAN ENO hat das getan, ROBERT FRIPP ebenfalls. Die spätere Entwicklung in den 1970ern, was dann später als „Ambient“ bekannt werden würde, ist quasi mit dem absoluten Minimum an Material und Equipment realisiert worden, da es die ganzen Dinge noch nicht gab. Als Synthesizer dann später verfügbar wurden, ich glaube Florian Fricke von POPOL VUH hatte eines der ersten MOOG-Modular-Systeme (POPOL VUH waren eine Münchner Experimental-Band, die später den legendären Moog-3-Synthesizer tatsächlich an Klaus Schulze abtreten sollten, der damit dann Musik machte – Anm. d. Redaktion) in Deutschland und nutzte es auf dem ersten TANGERINE DREAM-Album mit Synthesizern.

Warte, das stimmt glaube ich nicht ganz. Der erste Moog den TANGERINE DREAM benutzten kam auf der LP „Zeit“, aber auf „Alpha Centauri“ hatten sie bereits die EMS-Synthies, ich glaube es war ein VCS-3 (Tatsächlich war der VCS-3 auf „Zeit“ erstmals vertreten – Anm. d. Redaktion). Mein Punkt ist der: Diese Jungs haben „kosmische“ Musik anfangs noch vollkommen ohne Synthesizer gemacht, als die dann aber aufkamen wussten sie: Das ist die Zukunft. Um zurück zu deiner Frage zu kommen, die tonalen Fehler der analogen Synthesizer erlauben es, ein quasi unendliches Klangspektrum zu bekommen. Hast du nur eine binäre Logik hinter dem Sound, wie im digitalen, kannst du den Sound modulieren, aber nicht quasi aus dem vorgegebenen Sound ausbrechen, darüber hinaus gehen. Ein künstlerischer Vorteil von analogen Synthesizern wenn man so will ist die tonale Instabilität, die Unvorhersehbarkeit, es ist dieser „menschliche“ Aspekt. Was du als Künstler tust, wann du wie welchen Knopf drehst ist spontan und keiner Logik unterzogen, der Sound entsteht im Moment. Es ist eine Kommunion vom Menschen mit dem Elektromagnetismus, quasi mit dem Universum selber wenn man so will. Es ist transzendental.

Morris: Wie wir erstmals daran gegangen sind, dachte ich eher an eine Mixtur aus Analog und Digital miteinander, die Möglichkeiten die wir heute haben und wie die zusammen spielen können, um etwas neues zu erschaffen, ist heutzutage echt bemerkenswert. Es ist möglich, den Rahmen digital zu kontrollieren, gleichzeitig ist aber immer noch dieses spontane Moment, von dem Paul gerade erzählt hat, gerade wegen den analogen Synthesizern gegeben.

metal.de: Ist das auch derselbe Ansatz, den ihr für die Aufnahme selber verwendet? Denn beim Aufnehmen auf Band muss das Material halt sitzen, die Option für Post-Produktion ist da nicht so bequem und gegeben wie mit digitalen Tools, was einen letztlich im Moment der Aufnahme dazu zwingt, mehr im „Moment“ zu sein und eine gute Performance liefern zu müssen. Keine Option, noch mal und noch mal und noch mal aufnehmen zu können, das Tempo am Grid anzupassen und so weiter, zumindest nicht unendlich oft bei Tape.

Paul: Ja, dazu kommt, jedes erneute Recorden auf dem Tape verschlechtert die Qualität etwas. Also möchte man ein Re-Recorden möglichst vermeiden. Als ich mit meinen ersten Bands angefangen habe gab es für mich überhaupt keine Möglichkeit, auf Tape aufzunehmen. Wir konnten im Keller vielleicht auf einen kleinen Tape-Recorder, einem Tascam, aufnehmen, aber Jeff und ich waren in einer Band 2011 wo wir auf Tape aufnahmen und direkt davor war ich in einer anderen Band die in demselben Studio auf Tape aufgenommen hat und das war auch das erste Mal, das ich in einem echten Studio war oder überhaupt eine analoge Tape-Maschine gesehen habe. Und seitdem bin ich darauf hängen geblieben. Ich will einfach nur auf Tape aufnehmen. Vielleicht ist es pure Nostalgie meinerseits, aber ich schwöre, es gibt einfach einen Vibe mit Tape-Aufnahmen, den du ohne einfach nicht hast. Und wie du schon sagtest zwingt es die Band dazu, tighter zu spielen, präziser zu sein und nicht den Luxus unzählige Spuren einzuspielen zu haben. Speziell heutzutage ist Tape auch so verdammt teuer geworden.

In den 1970ern war es anfänglich wahrscheinlich noch teurer in Deutschland, da die Technologie komplett neu war. Das zweite Album von QLUSTER wurde über das erste Album gespielt, da sie nicht mehr Tape hatten. Deswegen konnten viele alte Platten auch nicht remastert werden, weil sie nicht mehr als Kopie irgendwo existierten. Sie wurden verloren oder überspielt oder sind kaputt gegangen. Eines der Tapes auf die wir aufgenommen haben, genauer für den Bonustrack „Chronophagia“, wurde improvisiert und spontan aufgenommen und dann in der Post-Produktion verändert, also so wie die Pioniere es damals auch gemacht haben. Genau so wie wir hätten TANGERINE DREAM es damals auch gemacht in meiner Vorstellung.

Ein bisschen was gemeinsam rauchen, dabei die Tapes neu zusammenschneiden, Overdubs hinzufügen und so weiter. Das ist für mich der „wahre“ kreative Prozess. Das war aber nur der Bonustrack, nicht das Album. Aber das Tape stammte von Isaac, genauer von seinem Vater, der es seit den 80er Jahren einfach rumliegen hatte, ungenutzt. Die Idee stammte eigentlich noch von Zeiten zu „Hidden History History Of The Human Race„, aber wir haben uns so fokussiert darauf, das Album damals wirklich gut zu machen, dass wir die Idee und das Tape zurückgestellt und aufgespart haben. Denn das ist unsere Philosophie: Wir wollen neue Alben eigentlich mit frischen, neuem Tape starten (lacht). Aber wir hatten eben noch dieses alte, schon etwas „eingerostete“ Tape und „Chronophagia“ hat finde ich deswegen auch eine etwas dunklere Tonalität bekommen, da es einfach auf bereits gebrauchtem Tape eingespielt wurde.

Morris: Ich finde genau deswegen hört es sich an wie ein Song, der auch auf „Zeit“ stehen könnte.

Paul: Wir wollten dasselbe Feeling erreichen. Ich mein das ganze Album ist eine Homage an diese alte Zeit und an die Krautrock-Pioniere. Und für „Chronophagia“ war die Überlegung, das Stück aufzunehmen, wie die Bands es damals getan hätten, also improvisiert, noch einmal geändert, auf benutztem Equipment und natürlich analog aufgenommen. Leute wie Conny Planck hatten ein mobiles Studio, sie konnten NEU! aufnehmen, das erste KRAFTWERK-Album, für QLUSTER dann auf einer Farm in der Mitte vom Nirgendwo und so weiter. Dieser Geist der Improvisation und Spontanität ist etwas, was wir honorieren und weiterführen wollen.

Der Metal-Anteil von BLOOD INCANTATION hat das ebenfalls. „Inner Paths (To Outer Space)“ wurde genau in derselben Weise konzipiert und aufgenommen. Wir haben uns ein paar Pilze reingeschmissen, zusammen geprobt und gejammt. Dann sind wir auf Tour gegangen, kamen zurück und haben uns erneut dran gemacht. „Hey Morris, spiel noch mal dieses eine Riff, lass uns mal schauen, was wir damit noch so machen können“. Wir haben das auch schon auf dem vorausgegangenem Album „Starspawn“ so gemacht. Selbst auf dem Demo ist „Hovering Lifeless“ genauso entstanden. Also das hat bei uns immer schon eine Rolle gespielt. Und „Inner Paths“ war für uns einfach nur die logische Fortführung dieses Ansatzes, der für mich die zukünftigen BLOOD INCANTATION am besten widerspiegelt. Der Synthesizer-Anteil am Sound wird also nicht verschwinden, sondern eher zunehmen. Die Synthese aus Improvisation, progressiver Musik und rauem Death Metal ist das, was ich tun möchte in meinem Leben.

 

Quelle: Zoom-Interview Blood Incantation vom 04.03
20.03.2022
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