Einar Solberg
"Ich versuche nicht mehr, die Zukunft vorauszusagen."

Interview

Bisher ist Einar Solberg ausschließlich als Sänger der Prog-Band LEPROUS bekannt. Dieses Jahr veröffentlicht er mit “16“ sein erstes Soloalbum, auf dem er sich mit der prägendsten Zeit seines Lebens beschäftigt. Wieso er das nicht mit LEPROUS machen konnte und wie er sich die Zukunft beider Projekte vorstellt, haben wir in einem Interview erfahren.

LEPROUS, jetzt das Solo Projekt. Entspannst du dich jemals?

Darin bin ich nicht sehr gut. Ich habe das Gefühl, dass man in unserem Beruf nie richtig arbeitet und nie richtig frei hat. Man arbeitet immer mehr oder weniger. Zumindest ist das bei mir so.

Bei der Vorbereitung für das Interview habe ich natürlich nach etwas gesucht, mit dem ich dich ein bisschen grillen kann. Es war schwierig, aber ich habe etwas gefunden.

Das überrascht mich nicht…

Es stammt aus einem Interview mit metal.de aus dem Jahr 2015, also musste ich tief graben. Du hast gesagt, dass du kein Fan davon bist, Projekte zu haben und wenn du jemals etwas anderes machen wolltest, würdest du es mit LEPROUS machen wollen.

Wenn ich etwas sage, habe ich immer eine sehr starke Meinung. Wenn ich heute etwas sage, kann ich am nächsten Tag das komplette Gegenteil sagen, also ist das für mich nicht sehr überraschend. Manche Leute sagen: „Aber das hast du doch gesagt“… ja. Ich bin ein Künstler. Künstler äußern zu einer Menge Dinge eine starke Meinung, die sie an einem Tag haben und haben am nächsten Tag eine ganze andere. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass das schon lange her ist. Es wäre seltsam, wenn man seine Meinung in acht Jahren überhaupt nicht ändern würde. Je jünger man ist, desto mehr denkt man, dass man alles weiß (lacht).

Ja, natürlich! Und ich musste eine Weile graben, also hast du seitdem vermutlich nichts allzu Wildes gesagt. Aber trotzdem – was hat sich geändert? Warum hattest du das Bedürfnis, das jetzt zu tun?

Ich habe mehr oder weniger mein ganzes Leben lang in derselben Band gespielt und hatte einfach das Bedürfnis, zusätzlich mal etwas Anderes zu machen, wie auch die meisten anderen Bandmitglieder. Auch wenn man ein Lieblingsessen hat, möchte man es nicht jeden Tag zum Abendessen haben. Es ist gut, ein bisschen Abwechslung zu haben. Das habe ich jetzt bei der Live-Show gemerkt. Es war ziemlich cool, mal mit anderen Leuten zu spielen, zusammen zu sein und mal etwas anderes zu tun als das, was man normalerweise tut. Und ich bin grundsätzlich ein ziemlich abenteuerlustiger Mensch, ich mag keine Routinen.

Das Gute an LEPROUS ist natürlich, dass es ein sehr offenes Projekt ist, bei dem man sich künstlerisch ausleben kann. Es ging also nicht darum, dass ich mich musikalisch eingeschränkt gefühlt habe. Es ging mehr darum, mal das Umfeld zu wechseln und auch darum, etwas für die ruhigen Phasen zu haben. Denn auch wenn es nicht so aussieht, gibt es bei LEPROUS Phasen, in denen wir eine ganze Weile nichts tun, und ich gedeihe nicht besonders gut, wenn ich nichts zu tun habe, also war das der Grund, warum ich mich für etwas anderes entschieden habe.

Um bei der Metapher zu bleiben, die du gerade verwendet hast – hast du Angst, dass du dein Lieblingsessen irgendwann satthast? Vor allem jetzt, wo du mal etwas anderes probiert hast.

Nein, eigentlich nicht. Ich versuche nicht mehr, die Zukunft vorauszusagen. Im Moment genieße ich es sehr, mit LEPROUS zu spielen. Mehr denn je, um ehrlich zu sein. Wir haben eine großartige Tour, die Stimmung in der Band ist super, es gibt nichts, was darauf hindeutet, dass ich nicht noch viele Jahre bei LEPROUS spielen werde. Aber man weiß nie was passieren wird. Ich werde also nicht denselben Fehler machen wie 2015 (lacht), als ich das behauptet habe. LEPROUS haben schon deutlich schwerere Zeiten durchgemacht. Es gab Zeiten, in denen das Arbeitspensum wahnsinnig hoch war, die Einnahmen gleich null und Bandmitglieder ständig ausgestiegen sind. Jetzt haben wir seit sechs Jahren eine stabile Band und jeder ist sehr engagiert, außerdem läuft es auch wirtschaftlich gut im Vergleich zu früher. Aber wie ich schon sagte, die Zukunft ist schwer vorherzusagen.

Es ist nicht nur ein neues Projekt, an dem du gearbeitet hast, auch der Schreibprozess war ganz anders. Wie hat es sich angefühlt, das auf eine völlig neue Art und Weise zu machen?

Es war nicht für alle Lieder völlig neu. Die Solosongs, die ich gemacht habe, waren denen, die ich mit LEPROUS gemacht habe, ziemlich ähnlich. Mit LEPROUS haben wir das über die Jahre auf verschiedene Arten gemacht, aber in den letzten Jahren war ich der Haupt-Songwriter. Aber bei den anderen Songs, die ich zusammen mit anderen Komponisten geschrieben habe, war es natürlich ganz anders. Und es war irgendwie schön, weil ich vorher gar keine Erwartungen hatte, wir haben einfach Sachen hin- und hergeschickt, bis wir damit zufrieden waren. Normalerweise habe ich einen Sketch geschickt, und die anderen haben damit gemacht, was sie wollten und ihn mir dann zurückgeschickt und dann habe ich wieder damit gemacht, was ich wollte, und so ging es hin und her. Es war ein sehr befreiendes Schreiben, vor allem, wenn man mit Leuten arbeitet, die sehr erfahrene Komponisten sind und wirklich wissen, was sie tun, und die einen völlig anderen Ansatz haben als ich. Es war sehr interessant, und ich glaube, ich habe dabei viel gelernt. Durch die Art des Schreibprozesses ist das Album natürlich viel vielseitiger geworden, als wenn ich es alleine gemacht hätte.

Wirst du etwas von dem, was du dabei gelernt hast, für deinen zukünftigen Songwriting-Prozess übernehmen?

Macht man das nicht mit allem, was man im Leben lernt? Alles das man lernt nimmt man mit in die Zukunft – zumindest wenn es etwas ist, das einem gefallen hat. Ich bin mir sicher, dass ich alles, was ich lerne, irgendwie beim nächsten Mal anwenden werde. Ich habe auch wieder angefangen, für LEPROUS zu schreiben, aber da ist es noch zu früh, um etwas darüber zu sagen (lacht).

Na gut. Wie hast du ausgesucht, mit wem du zusammenarbeiten willst?

Es sind so viele Musiker auf dem Album, also gehe ich nur auf die Komponisten ein. Ich wollte Leute auswählen, die eine starke musikalische Identität haben und mit denen ich befreundet bin. Der einzige, den ich vorher nicht kannte, ist Asger von VOLA. Ich habe bei der Auswahl nicht darüber nachgedacht, wie berühmt die Person ist oder wie viel Promowert sie vielleicht bringt. Ich habe nur darüber nachgedacht, wie die musikalische Identität dieser Person ist; ob ich sie mag und ob ich denke, dass es eine coole Kombination mit mir sein könnte und wenn ja, dann habe ich Kontakt aufgenommen. Ich hatte vor, das ganze Album so zu machen, das war die Idee, aber einige der Sketches, die ich anfangs selbst geschrieben habe, waren einfach nur… dumm, also gab es keinen Grund, sie einfach nur zu verschicken, nur weil das mein ursprünglicher Plan war.

Als ich “16“ gehört habe, dachte ich, dass viele Arrangements und Instrumente immer noch sehr wie LEPROUS klingen. Hast du vor, irgendwann noch einmal etwas ganz anderes zu machen?

Ich hätte eher erwartet, dass sich LEPROUS irgendwann verändern, als mein Projekt. Ich denke, LEPROUS werden nach und nach die orchestralen Elemente entfernen und sich mehr auf die Band an sich konzentrieren. Wahrscheinlich werde ich dafür solo mehr mit orchestralen Arrangements arbeiten. Ich denke, mit der Zeit wird das Projekt in verschiedene Kategorien zerfallen, aber in der Übergangsphase, so wie es jetzt ist, gibt es Songs, die LEPROUS ähnlich sind, und solche, die überhaupt nicht ähnlich sind. Bei LEPROUS war ich immer der Hauptsongwriter, und besonders wenn man sich die letzten Alben anhört, ist es eben nicht so, dass ich meine Identität auslöschen kann, selbst wenn ich in einem anderen Projekt Musik mache. Aber dafür wird man nicht die Identität der anderen LEPROUS-Mitglieder hören. Es wird nur meine Identität haben, die natürlich immer stark ist, wenn ich einen Song geschrieben habe und meine Stimme da ist, aber wir haben ziemlich charismatische Leute in LEPROUS, so dass man leicht hören kann, wann Baard (Kolstad, Schlagzeug, Anmerk. d. Verf.) spielt und wann nicht. Ich denke, wir werden den Sound mehr auf LEPROUS fokussieren und weniger auf orchestrale Arrangements und ich werde mehr von dem cineastischen Sound in mein eigenes Projekt übernehmen. So sehe ich es zumindest im Moment, aber das kann sich natürlich ändern.

Auf “16“ geht es um dein persönliches Leben und die Hoch-, aber vor allem auch Tiefpunkte. Gibt es einen Song, der für dich am schwersten zu schreiben war?

Ja, ich würde sagen, wahrscheinlich „The Glass Is Empty“, denn auch ohne den Text fühlt sich der Song sehr emotional an. Er hat einfach sofort diesen Vibe, und ich wusste sofort, worüber ich schreiben musste. Ich habe beschlossen, in den Interviews nicht ins Detail zu gehen, weil ich nicht 100-mal hintereinander über diese schwierigen Dinge sprechen möchte. Ich würde nicht sagen, dass es schwer ist, sich noch einmal in die Zeit zu versetzen, weil es schon so lange her ist und die Zeit die Dinge normalerweise ziemlich gut heilt. Es fühlt sich an, als wäre es in einem anderen Leben passiert. Also ja, ich werde gelegentlich emotional, wenn ich es mir anhöre und auch als ich es gemacht habe, aber meistens nicht mehr.

Du hast einige der Songs auf dem Prognosis Festival (15. April 2023, Anmerk. d. Verf) zum ersten Mal live präsentiert. Wie war es, für Leute zu spielen, die die Texte nicht kannten, die nicht mitsingen konnten und die vielleicht nicht wirklich wussten, was gerade passiert?

Ich denke, das ist eine großartige Möglichkeit, Musik zu entdecken. Einige der besten Konzerte, bei denen ich war, waren Konzerte, zu denen ich mit null Erwartungen gegangen bin. Ich wusste nicht, was mich erwartet und dann hat es mir gefallen, und DANN habe ich es mir später angehört und mich daran erinnert. Ich habe das Gefühl, dass man sich bei einem Live-Konzert nicht wie zu Hause von den typischen Dingen ablenken lässt, sondern dass man irgendwie eins mit der Performance wird. Bei LEPROUS hat man das auch oft gesehen, das ist eine Band, die die Leute live überzeugt hat, obwohl sie die Musik anfangs nicht mochten. Ich habe es oft erlebt, dass die Leute, nachdem sie uns live gesehen haben, sagten: „Jetzt verstehe ich es, jetzt mag ich euch.“ Für mich war es ziemlich befreiend, es so zu machen.

Und besonders live hatte ich das Gefühl, dass das Projekt einen ganz anderen Vibe hat als LEPROUS. Es ist viel atmosphärischer, irgendwie entspannter, ein bisschen mehr auf dem Boden geblieben. Allein stilistisch war es einfach anders, es hat sich für mich überhaupt nicht wie ein LEPROUS-Konzert angefühlt. Sogar die Songs, die LEPROUS am ähnlichsten sind, wie z.B. „Over The Top“, der Song auf dem Album, der wohl am ehesten ein LEPROUS-Song sein könnte, fühlt sich anders an, wenn man ihn mit anderen Leuten spielt. Auch wenn es derselbe Songwriter und dieselbe Stimme ist, sollte man nicht unterschätzen, wie viel Unterschied es macht, wenn man alle anderen Musiker austauscht (lacht).

Es ist also so gelaufen, wie du es erhofft hattest?

Sogar noch besser! Wir hatten nur zwei Proben und die Lieder sind sehr anspruchsvoll. Die Leute sind über die ganze Welt verteilt und es war schwer, alle an einen Ort zu bekommen, aber ich war sehr zufrieden damit, wie es am Ende gelaufen ist. Ich denke auch, dass es ein Projekt ist, das weiterhin als Live-Projekt existieren wird, aber im Moment wird man es weniger sehen als LEPROUS. Im Idealfall hätte ich gerne zwei Jahre, in denen ich mich auf ein Projekt konzentriere und es zur Priorität mache, und in den nächsten zwei Jahren habe ich das andere als Hauptpriorität und dann wieder das andere… und das bedeutet nicht, dass ich, wenn das eine die Priorität ist, nichts mit dem anderen machen werde. Aber im Moment hat LEPROUS naturgemäß Priorität aufgrund der Bandgröße und auch aufgrund der Tatsache, dass mein Soloprojekt sehr teuer ist.

Hast du schon konkrete Pläne, wie es mit deinem Projekt weitergehen soll? Oder beginnt jetzt die zweijährige Prioritätspause?

Nein, denn mein idealer Wunsch ist nicht wirklich möglich, da LEPROUS mein Haupteinkommen ist. Es ist toll, wenn man an den Punkt kommt, an dem man von seiner eigenen Musik leben kann, aber es ist auch eine Art Gefängnis, weil man gezwungen ist, weiterzumachen, auch wenn man vielleicht mal eine kleine Pause machen will, um ein Jahr lang etwas anderes zu machen. Das geht nicht wirklich. Im Idealfall hätte ich jetzt schon für LEPROUS Musik geschrieben und würde mit meinem Projekt auf Tour gehen. Aber stattdessen werde ich mit LEPROUS touren, mit LEPROUS schreiben und vielleicht ein kleines bisschen mit meinem Projekt spielen. So wird es laufen, aber im Idealfall würde ich es gerne so machen, wie ich es gesagt habe.

Gibt es noch etwas, das du sagen möchtest, das ich dich bisher noch nicht gefragt habe?

Nein. Ich habe nie eine gute Antwort auf diese Frage. Das Einzige ist, dass ich mit meinem Projekt im Oktober in Köln auf dem Euroblast Festival live auftreten werde. Wenn du also die Chance haben willst, beide Projekte an einem Wochenende zu sehen und zu vergleichen – und mich dazu zu bringen willst, zu beweisen, dass sie doch ziemlich unterschiedlich sind, dann ist das Euroblast der richtige Ort.

Klingt nach einer Herausforderung, die ich gern annehmen würde.

Quelle: Einar Solberg
02.06.2023

"Es ist gut, aber es gefällt mir nicht." - Johann Wolfgang von Goethe

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