Helldorados
Interview mit Pierre und Gunnar zu "Helldorados"

Interview

Helldorados

Die HELLDORADOS wissen ziemlich genau, wer sie sind, wo sie herkommen und wo sie noch hinwollen. Doch auch wenn die Sleaze-Metaller sich erstaunlich sicher im Umgang mit den Spielregeln des Musik-Business geben, sollte man dies nicht mit kommerziellem Kalkül verwechseln. Den 12 Songs, die sie vor kurzem via Massacre Records in Scheibenform veröffentlichten, mangelt es keineswegs an Hingabe und Leidenschaft, noch an musikalischer Reife. Anfang Juli luden die Stuttgarter zur Release-Party ihres selbstbetitelten Quasi-Debütalbums ins Stuttgarter Römerkastell ein, wo sich bei Spanferkel und leckerem Grillgemüse die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Bassist Gunnar und Sänger Pierre bot, bei dem neben musikalischen Aspekten auch eine ganze Reihe an interessanten Einblicken in die Business-Strukturen der Metalszene zur Sprache kamen.

 

 

Euer selbstbetiteltes Album ist ja eigentlich schon das zweite der Band.

Pierre: Es ist das offizielle Debütalbum, das via Massacre Records jetzt weltweit erschienen ist. Wir haben ganz am Anfang schon ein Album im Eigenvertrieb veröffentlicht, das war 2007 oder 2008, was für uns ein Startschuss war, um mit dem ganzen Ding mal loszulegen. Letztlich war es aber so, dass es in der Findungsphase, die man als Band eben so hat, nicht auf fruchtbaren Boden gefallen ist, so dass wir dann auch einen Break gemacht haben und Ende 2009, Anfang 2010 den eigentlichen Startschuß für die HELLDORADOS in der jetztigen Besetzung gegeben haben.

 

Ich finde es immer noch bemerkenswert, dass ihr ausgerechnet hier in Stuttgart anfängt, diesen Sleaze-Metal-Sound zu spielen. Das klassische „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“-Feeling scheint mir mit der schwäbischen Provinz nicht so recht vereinbar zu sein, oder?

Pierre: So abwegig ist das gar nicht. Zunächst einmal ist es ja so, dass die Leute immer versuchen, dich in irgendwelche Schubladen zu stecken. Grade am Anfang ist es ganz wichtig, dass man sich da mit irgendetwas identifizieren kann, warum man das Album überhaupt kaufen sollte. Für uns war es wichtig, dass wir uns von Anfang an hingesetzt und überlegt haben: Wie soll das Ganze denn aussehen? Wie soll es sich anhören? Wie fühlt sich das Ganze an? Da steckte fast ein halbes Jahr an konstanter Vorarbeit dahinter, bevor wir überhaupt in den Proberaum gegangen sind, um Songs zu schreiben, damit für alle vier Bandmitglieder auch klar war, wo die Reise hingehen soll.
Dass es dann Sleaze-Metal geworden ist, liegt einfach an dieser Kombination, dass wir sehr auf Melodien und Hooks achten, aber gleichzeitig auch eine gewisse Härte drin haben. Und diesen Spruch, den wir uns auf die Fahnen geschrieben haben, „das Hit-Potential des ABBA-Ohrwurms, den Dreck von GUNS’N’ROSES und die Durchschlagskraft von PANTERA“, das trifft es schon ganz gut. Nicht, dass man sich unbedingt mit diesen Bands identifizieren muss, aber jeder von uns hat bestimmte Eigenschaften und andere musikalische Einflüsse, die wir versucht haben zu bündeln und miteinander zu kombinieren.

 

Musikalisch finde ich den Abwechslungsreichtum eurer Platte ziemlich stark, ihr lasst euch nicht in eine enge stilistische Schublade stecken. Wo liegen für euch die musikalischen Grenzen, die ihr nicht überschreiten wollt?

Pierre: Wir sind grundsätzlich schon offen für vieles, aber wir haben die Band ja bewusst als Quartett aufgezogen, mit einer Gitarre, einem Bass, einem Schlagzeug und einem Sänger. Grenzen sollte man sich grundsätzlich nicht auferlegen, auch wenn ich da jetzt nur für mich sprechen kann. Wir versuchen halt einen roten Faden in unser Album zu bringen, einen Spannungsbogen. Ich finde nichts langweiliger, als wenn es nur 1-2-3-4-drauf geht oder halt nur Gesäusel oder sowas. Und somit haben wir ja diesen Bogen von wirklich hart – wir haben sogar Blastbeats mit drinnen in den Songs – bis hin zu „Changes“ oder „Gone“, was wirklich ganz weiche Nummern sind mit Streichern und sowas. Trotzdem passt das zusammen.
Solche Bögen können wir schon spannen, finde ich, auch mit wirklichen Popmusik-Hooks. Ich glaube, wir lieben einfach gute Songstrukturen, harmonische Sachen, aber auch gewalttätige Sachen irgendwo. Das Leben ist doch nicht immer nur schwarz und weiß, sondern da gibt es auch ganz viele Grauzonen dazwischen.

Gunnar: Ich denke trotzdem, eine Grenze wird uns von den alten Legenden mehr oder weniger auferlegt, zu denen wir immernoch alle aufschauen. Wir sind zwar auch immer offen für neues Zeug, hören uns gerne auch andere Genres an und sind begeistert davon, aber trotzdem sind wir eine Rockband und es ist klar, es geht trotzdem um Gitarrenmusik mehr oder weniger. Da kann man eben mal mit Streichern, Piano und allem spielen, diese Elemente sind ja auch bei vielen da, aber es ist trotzdem dieses Ding, was da Ende der Siebziger vollends entstanden ist und zementiert wurde. Man soll niemals nie sagen, wir sind schon sehr offen, aber das ist doch die Grundfeste natürlich.

Ich habe den Eindruck, dass ihr eure Chancen mit der Band ziemmlich realistisch seht, gerade auch was den kommerziellen Erfolg angeht. Ist es da überhaupt ein Ziel für euch, nur noch von der Band leben zu können? Oder denkt ihr, dass die Zeit dafür einfach inzwischen vorbei ist?

Pierre: Wir leben das ja jetzt schon. Was für uns auch ganz wichtig ist – und ich glaube, das könnte auch ganz wichtig sein für Leute, die dieses Interview lesen und selber Musik machen: Wir arbeiten parallel an der ganzen Geschichte und das ist glaube ich heutzutage auch der einzige Weg, wie es funktioniert. Diese „250000 Dollar Vorschüsse und dann werde ich zum Superstar“-Geschichten, die haben halt 1985 aufgehört. Aber bei uns ist es so, dass wir ja alle in der Musikwirtschaft irgendwo verankert sind. Gunnar arbeitet als Veranstaltungskaufmann, ich arbeite als Pop- und Musikförderer, Stevie ist selbständiger Gitarrenlehrer – und so arbeitet man halt parallel, um das eine weiter zu fördern.
Das ist völlig ok, wir sehen uns jetzt schon als Vollblut-Mitarbeiter in unserer eigenen kleinen Firma für die Band und haben eben noch andere Einnahmequellen, um unsere Miete zu bezahlen und den Kühlschrank zu füllen. Und somit ergänzt sich das sehr sehr gut. Und wir arbeiten schon natürlich auf das Ziel hin, dass sich dann vielleicht einmal die Waagschale in die andere Richtung hebt.

Gunnar: Es gibt ja durchaus auch heute wieder Acts, die beweisen, dass es noch geht. Die haben eben auch sehr sehr viel dafür gearbeitet, was man meistens nicht sieht, wenn man denkt, dass die plötzlich von Null auf Hundert kommen. Nimm beispielsweise eine Band wie JUPITER JONES, die vorher niemand kannte, obwohl sie auch schon zehn Jahre hart dafür gearbeitet und gekämpft haben und immer wieder abgelehnt wurden. Auf einmal macht es „klack!“ und sie haben vielleicht ein paar Jahre lang die Chance, davon zu leben – wenn sie natürlich vorher die richtigen Schritte gemacht haben, sie sich gut informiert hatten und da nichts schiefgelaufen ist.

 

Ich denke, diese Vorarbeit ist gerade das entscheidende. Es gibt heutzutage so viele junge Bands, wo musikalisch viel Potential vorhanden ist und aus denen man auch was machen könnte. Aber mit dieser naiven 80er-Jahre-Einstellung, einfach nur hart zu rocken, damit man irgendwann entdeckt und groß rausgebracht wird, das funktioniert heute nicht mehr.

Pierre: Heute entdeckt dich niemand mehr.

Das liegt wohl auch daran, dass der Markt gnadenlos übersättigt ist, oder?

Pierre: Das ist auch so ein Punkt, logo. Wir haben von allem viel zu viel, ganz klar. Das heißt nicht, dass es nicht großartige Bands gibt und großartige Musik, die man immer wieder gerne hört. Aber es ist natürlich alles extrem schnelllebig geworden. Ich kauf mir selber ja total viele Alben, ich bin CD-Käufer, Platten-Käufer und ich liebe das. Aber ich merke auch, wie ich im Monat vier, fünf Platten kaufe und wie schnell die wieder durch sind, weil schon wieder was neues auf den Markt kommt.
Ich glaube auch, dass viele Jugendliche heutzutage völlig überfordert sind, weil extrem viele Veröffentlichungen auf den Markt kommen und sie überhaupt nicht mehr selektieren können, was jetzt cool ist und was nicht. Vor allem ist ja auch alles verfügbar. Mit einem Mausklick kann ich alles irgendwie haben. Und wenn ich kein Geld dafür ausgeben will, dann muss ich es theoretisch auch nicht. Das ist die Misere, in der die ganze Musikindustrie gerade leider drinnen steckt.
Aber es bringt nichts, darüber zu klagen. Für uns ist es in erster Linie wichtig, dass wir wir den kreativen Output haben und das heutzutage Gottseidank immernoch auf ein Album pressen können.

 

Wobei es für junge Bands heutzutage wesentlich leichter geworden sein dürfte, die eigene Musik auf ein Album zu pressen. Das dann hinterher an den Mann zu bringen ist doch das eigentliche Problem.

Pierre: Also diese ganze Do-It-Yourself-Geschichte, die funktioniert ja nur zu einem gewissen Grad. Das haben wir ja auch mit unserem ersten Album schon gemacht. Und dann kommst du an einen Punkt, wo du dir überlegen musst, wie es jetzt weitergeht. Wenn du dann aber die Leute nicht hast, die auch mitziehen, dann wird es echt schwierig. Für uns war das wichtige, zu sagen: Ok, die Musikindustrie ist ja nicht böse, du hast ja die Verwerter, dafür sind sie ja da. Nur wer soll da mit draufspringen? Also mussten wir verdammt viel Vorleistung bringen und ein echt hochwertiges Produkt abliefern, dass eine Plattenfirma, ein Vertrieb, eine Promotion-Agentur, eine Booking-Agentur da mit aufspringt. Logo, weil die wollen ja auch irgendwas zu fressen haben, also wenn ich nicht gut bin, dann bringt’s das alles nicht.

 

 

Gerade im Produktionssektor hört man heute kaum noch einen Unterschied zwischen einem guten Home-Recording und einer Studio-Produktion, so dass man hier auch mit geringem Budget und wenig Aufwand einen vergleichsweise guten Sound kreieren kann.

Gunnar: Bedingt, würde ich behaupten. Rein soundtechnisch gebe ich dir sofort recht. Ich habe auch ein Heimstudio daheim und mir eine schöne Soundkarte rausgelassen, da bist du mit rund 3000 Euro dabei. Da kannst du schon ziemlich viel zaubern, wenn du dir die Zeit nimmst, kriegst du eine gute Soundqualität hin und kannst das vielleicht zum Mastern noch weggeben, das passt soweit alles.
Aber was man gerne vergisst: Was man im Studio einfach hat, ist, dass man sich abschließt von der Außenwelt, sich Zeit nimmt und auch nochmal einen externen Produzenten zum Beispiel mit dazunimmt, der seinen eigenen Senf mit dazugibt. Nicht unbedingt, um dir über das Maul zu fahren und dir zu sagen „Mach das unbedingt so und so!“, sondern es ist halt ein Dialog der da stattfindet und viel Erfahrung, die er da einbringen kann. Manchmal dreht der Produzent dann einfach noch viel an gewissen Rädchen und bringt oft Ideen mit ein, die einem nachher auch sehr sehr gut gefallen. Und ich denke, das ist nach wie vor eine sehr sehr wichtige Funktion, die er da erfüllt, die auch nicht zu unterschätzen ist.
Beim Home-Recording sind die Leute oftmals zu nah dran, was für einen ganz kleinen Szene-Bereich aber sehr sehr gut funktionieren kann, definitiv. Wenn ich extreme Musik mache, reicht meine Homerecording-Aufnahme aus und ich habe irgendwo meine Nische, die ich bediene. Das kann manchmal, wenn es einen Hype gibt, auch eine Massenware werden, wenn ich aber in einen wirklich populären Musikbereich rein und massentauglich sein will, komme ich um den Produzenten und eine Produktion auf höherem Niveau nicht umhin. Außer, man ist schon sehr sehr lange wieder im Geschäft, das ist auch klar. Wenn du ein alter Hase bist mit 40, dann kannst du es quasi auch mit deiner Home-Produktion machen.

Pierre: Vielleicht noch ergänzend dazu: Wir sind sehr sehr froh, dass wir in so ein renommiertes Studio wie die „Horus Studios“ nach Hannover gehen durften und auch konnten. Da sind ja legendäre Platten entstanden, von daher hat es schon einen ganz anderen Vibe, dort zu sein, als einfach Home-Recording zu machen. Die Vorproduktion machen wir natürlich auch selber, aber dort dann wirklich auf Instrumente, auf alte Lautsprecher, Amps und Effekte zurückzugreifen, das hat schon einen ganz eigenen Stellenwert. Und ich finde, das hört man einer guten Produktion auch heutzutage immernoch an.

 

Und wie seht ihr den Trend, dass einige wieder zum analogen Equipment zurückkehren und bloß nicht mehr auf Festplatten aufnehmen wollen? Haltet ihr das für übertrieben oder kann auch das helfen, einen bestimmten Vibe besser einzufangen?

Gunnar: Also wieder direkt auf Bandmaschinen aufzunehmen, halte ich für völlig übertrieben und auch nicht für praktikabel.

Pierre: Wir haben über Bandmaschinen ja noch gemastert…

Gunnar: Gemastert ja, aber das ist eine andere Sache, das ist eine wirkliche physikalische Sache, die da stattfindet, was so zu simulieren keinen Sinn macht. Aber an sich, dass man Daten digital speichert, da liegen die Abtastraten heute hoch genug, so dass da kein Qualitätsverlust da ist. An sich denke ich trotzdem, dass dieser Weg zu begrüßen ist, der da bei vielen eingeschlagen wird, das man sich auf die Roots der Musik zurückbesinnt. Und was da eigentlich live passiert, da hat bestimmt jeder von uns schon genug Bands gesehen, die live total abkacken, obwohl die Platte super ist. Und da sieht man ja auch, was da wie passiert, wo was halt noch getunt wurde und was digital heute alles möglich ist, was live nicht reproduziert werden kann.

 

 

Was mich in der Sleaze- und Glam-Szene allgemein ein bisschen stört, sind die etwas plumpen Texte, bei denen es meistens nur ums Saufen und Partymachen geht. Wollt ihr diese Klischees auch in euren Liedern ausleben?

Pierre: Neee, eben das gerade nicht. Wir wollen keine Kopie von irgendwelchen 80er-Jahre-Hard-Rock-Bands sein, um Gottes Willen! Das war alles cool, aber das ist vorbei. Für uns war es wichtig, dass wir unser eigenes Ding finden. Die Texte schreibe alle ich und es sind immer Sachen, die mich wirklich irgendwo beeinflusst haben, das ist also alles irgendwo autobiografisch. Wir singen nicht vom verlorenen Goldkessel und vom Schwert am Ende des Regenbogens – da gibt es auch schon genug – und wir sind auch nicht die Wikinger oder sonst irgendwas und mit „Neuer Deutscher Härte“ haben wir auch nichts am Hut, sondern wir nehmen das, was wir täglich mitbekommen.
Die Texte sind dann auch sehr vielseitig, „You Live, You Learn, You Die“ fängt beispielsweise an mit der Zeile „there’s a dove without a head“. Und das hängt einfach damit zusammen, dass ich morgens aufgewacht bin, den Vorhang vorgezogen habe und bei meinem Nachbarn, der Tauben züchtet, zwei tote Tauben lagen, denen ein Habicht gerade den Kopf abgebissen hat. Und das wird dann eben dort verwurstet. Und ein Song wie „Girls“ entsteht halt eben durch Parties, logo. Man kriegt somit irgendwo alles beides, die Party-Nummern, wo es halt um Mädels und um Bier geht, aber natürlich auch die Texte, die aus dem täglichen Leben kommen.

 

Kriegt man als Metal-Musiker denn heutzutage überhaupt noch viele Girls ins Bett? Wie sind da eure Erfahrungen?

Gunnar: Das ist natürlich schon der Sleaze-Faktor, durch die sleazige Richtung bringen wir da schon einen ganz anderen Touch mit rein. Glam-Outfits, dass wir auf eine gute Bühnenshow und auf unsere Ausstrahlung achten, dass wir da versuchen, an unserem Charisma zu arbeiten und sich dessen auch überhaupt bewusst zu sein, das hinterlässt schon auch gewisse Spuren. Aber wir sind natürlich in erster Linie Musiker und alles andere ist vielleicht ein nettes Zubrot, was man dann vielleicht abkriegt. Aber wir machen Musik, weil wir Musik machen wollen.

 

Mädels ins Bett zu kriegen, steht also nicht in eurem Masterplan drinnen, den ihr ausgearbeitet habt?

Pierre: Das ist der Absatz B…

29.07.2012
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