Licht Erlischt...
Interview mit Nerrath

Interview

Licht Erlischt...

Man mag von HORN halten, was man will, eins muss man Nerrath lassen: Mit seinem anderen Projekt LICHT ERLISCHT… und dessen zweitem Album „and below, the retrograde disciples“ ist ihm ein ziemlich großer Wurf gelungen. Dermaßen mächtigen pechschwarzen Doom hört man nicht alle Tage. Da mussten wir den guten Mann natürlich sofort kontaktieren um herauszufinden, wie er nach Jahren der VerballHORNung auf einmal so umwerfende Musik hinbekommt. Und ein paar weitere Fragen haben wir uns selbstverständlich auch einfallen lassen, die Nerrath ausführlichst beantwortet hat.

Guten Tag! Wie geht’s, wie steht’s? Was macht der Winter in D-land?

Den Gruß erwidere ich, alles ist den Umständen entsprechend in Ordnung. Der Winter geht langsam wieder in die Defensive, nachdem er ja in den letzten Wochen einen starken Auftakt gehabt hat… ungewöhnlich spät!

Bevor ich die ganz dummen Fragen auspacke, mache doch etwas Werbung für dein neues Album „Retrograde Disciples“. Wer sollte mal in die Scheibe reinhören, und vor allem warum? Warum hat ausgerechnet deine Musik die Aufmerksamkeit der Hörerschaft verdient?

Gern. „and below, the retrograde disciples“ ist auf musikalischer Ebene für Hörer interessant, deren Aufmerksamkeitsspanne für mehr als einen 3-minütigen Radioedit ausreicht. (Es gab ja auch schon vereinzelte Kritik bzgl. der Liedlängen… dabei ist die Rechnung doch denkbar einfach: Blastbeatgewitter sind nun mal schneller um als schleppende Downtempotakte). Womit wir beim Genre wären: Die neue Scheibe richtet sich an Doom-Metal-Hörer, denen das gängige Doom-Umfeld zu „rockig“ ist, und die das gewisse „Dunkle“ vermissen. Die neue LE ist pechschwarzer Doom Metal mit starkem BM-Einschlag, wobei sich der Anteil „BM“ allerdings nicht anhand der einzelnen Konventionen (Gesang, Schlagzeugstil etc.) festmachen lässt. Ich selbst bin einer dieser Hörer, der innerhalb der weitgefächerten Bandbreite an Stilrichtungen BM-lastigen Doom (nicht zu verwechseln mit Doom-lastigem BM) vermisst, und daher ein solches Stück schreibt. Wer allerdings auf Depressive-/Suicide-/Post-Rock-Metal steht, soll bitte seine Finger von dieser Scheibe lassen: Trotz aller Genrevermischungen bewegt sich LE im Gehege des traditionellen Heavy Metals und spiegelt somit gewisse Grundideale wider, welche mit diesem Depressivquatsch unvereinbar sind. Rumgewimmer, Ritzereien und Sterbenssehnsucht sind und bleiben Emoscheiße, die dann auch bitte innerhalb der Grenzen selbigen Genres (Emocore?) ausgetragen werden soll… oder, wie man so schön sagt: It´s not suicide unless you kill yourself“… mich stört es zunehmend, ständig in diese Schiene eingeordnet zu werden.

Wenn man Google mit Bandname und Albumtitel füttert, stößt man vor allem auf Downloadblogs, Torrentseiten und russische Piraten, die für geklaute mp3 auch noch Geld haben wollen. Wie sehr ärgert dich das?

Ein zweischneidiges Schwert, wenn du mich fragst… Einerseits ist es höchst bedrückend, dass heutzutage ein Album bereits Stunden nach Veröffentlichung für wirklich jeden ängstlichen Teenager mit High-Speed-DSL-Verbindung zugänglich ist… und das aus einer Vielzahl von Quellen. Da wünscht man sich doch gern mal in Zeiten zurück, in denen wegen der Beschaffungshürden grundsätzliche Aussiebkriterien herrschten… kurzum: Niemand durchwühlte Mailorderlisten etc., wartete zwei Wochen auf eine kopierte CD-R, nur um nachher sagen zu können: „Hör ich zwar nicht rein, aber ich will ja den Rekord für die bestsortierte Albensammlung haben“… das Persönliche fehlt bei der heutigen Technologie einfach… Ich kenne die Leute, die meine Musik hören, nicht mehr, ich kenne die Nische, die ich bediene, nicht… Jeder will Anerkennung für sein Werk haben, und die erhalte ich nicht dadurch, dass UserXYZ in Forum YZX einen „Daumen hoch“ für meinen Scheibe gibt.

Andererseits ist der Zugänglichkeitsfaktor nicht zu unterschätzen, der einfach dazu führt, seinen Hörerkreis ohne Eigenleistung global auszuweiten… die altbekannten Vorteile eben, welche ich als geneigter Hörer übrigens auch ab und an in Anspruch nehme.

Nun nochmal zu den Nachteilen: Wie du schon erwähnst, versuchen Dritte von der Musik zu profitieren, und der kostenfreie und kinderleichte Zugang auf so ziemlich jedes noch so unbekannte Album der Szenerie führt schlichtweg zu massiven Verkaufseinbrüchen und läuft im schlimmsten Fall darauf hinaus, dass kleine und idealistisch-selektive Untergrundlabels die Kosten für Neuveröffentlichungen nicht mehr tragen können, und das ist ein Verbrechen an der Kunst (obwohl man bei so manchen musikalischen Vergewaltigungen ganz froh darüber sein darf, hehe).


Die vorherige Frage impliziert natürlich auch, dass man zum neuen Album kaum Reviews findet, obwohl das Ding schon zwei Monate raus ist. Darüber hinaus findet man bei Black Blood oder Einheit kaum Infos zum neuen Album. Als Außenstehender (für die Öffentlichkeitsarbeit ja in erster Linie gedacht ist) sieht das doch sehr nach äußerst bescheidener Promoarbeit aus. Bist du damit zufrieden? Willst du das gar so? Wozu Musik aufnehmen/veröffentlichen, wenn man sie danach vor dem Publikum verstecken will?

Hier ist der Fairness halber zu erwähnen, dass die CD faktisch erst Ende Januar herausgekommen ist. Wir sind, um es mal gelinde auszudrücken, nicht die Zuverlässigsten, wenn es um die Einhaltung von VÖ-Terminen geht. Ich glaube, dass sich daher die bis dato spärliche Ausbeute an Rezensionen erklären lässt.

Auch wir – wie auch viele andere – sind stark vom Untergang des Mediums CD betroffen, aus welchem Grund keine Gelder wahrlos für Promoaktionen , die für uns nicht effektiv sind, verschleudert werden können (dies ist auch durch einige schlechte Erfahrungen mit gewissen geldgeilen Verlagen zu begründen).

Da wir sowieso schon beim Thema sind: Ist das momentane Konzept deines Labels überhaupt zukunftsfähig oder wenigstens gegenwartsfähig? Ein paar popelige Samples und eine einzige schnöde CD-Version, reicht das? Bspw. Prophecy und viele kleinere Labels sind längst dazu übergegangen, für umme Alben komplett zu streamen und potentielle Käufer mit verschiedenen Versionen von stino bis Luxus zu ködern. Was hältst du vom diesem oder ähnlichen Ansätzen? Ich persönlich würde mir „Retrograde“ auch lieber als schmucke LP ins Regal stellen, anstatt mich mit einer ollen CD zu begnügen.

Ich sehe da auch eine gewisse Trendwende im Anmarsch, bzw. im Gange. CDs setzen sich ob des Überangebots an Piratenquellen nicht mehr ab, und kostenpflichtige Downloads ob des nichtvorhandenen Sammlerwerts ebenso wenig. Wie du ja erwähnst, denken einige Läden bereits um. Man wird zukünftig wohl viel eher auf das „Drumherum“ einer Veröffentlichung als auf die eigentlichen Veröffentlichung bauen. Die Einnahmen durch Tonträger werden in keinem Verhältnis mehr zu den Einnahmen durch Konzerte, Merchandise oder fragwürdige „Treff die Stars persönlich“-Aktionen stehen. Darüber hinaus wird man wohl stark darauf setzen, den – wie du auch richtig aufzählst – Sammlergeist des Hörers mit optischen Reizen zu stimulieren.

Meine Meinung? Es kommt auf die Fallhöhe an. Bei größeren Labels mit festen Angestellten und eindeutig kommerzieller Auslegung ist Hopfen und Malz ohnehin verloren, hehe. Kleinere Labels, die idealistisch ausgelegt sind (etwa wenn die Wahl der Veröffentlichung noch vom rein subjektiven Musik- oder Menschengeschmack des Veröffentlichers abhängt), sollten die neuen Geschäftsmodelle nur mit Vorsicht genießen, denn sie haben ja noch ein Gesicht, das sie verlieren können. Klar, die Kosten für die Ausgaben für VÖs und Merch müssen wieder eingefahren werden, aber nicht durch Prostitution auf dem Heavy-Metal-Straßenstrich. Die Musik ist das höchste Gut, und sie hört sich grandios oder grottenschlecht schlecht an, ganz gleich, ob auf schäbig kopiertem CD-R oder Hochglanz-Picture-LP mit Tittensammelbildchen und Hologrammbild des Sängers. Damit will ich den Wert eines Sammlerstücks nicht abstreiten, sondern lediglich zum Ausdruck bringen, dass es „notfalls alles auch ohne geht“.

Bzgl. Black Blood Records: Ich glaube, der Schein trügt da ein wenig. Immerhin sind wir mit Soul Food im Bunde, wodurch meine CDs unter anderem auch in Saturn-Märkten angeboten werden. Daher denke ich, dass ich es eigentlich ganz gut habe, was die Verbreitung meiner Musik angeht. Björn ist und bleibt ein idealer Partner für meine Musik. Wir arbeiten seit 2006 sehr eng zusammen, und jeder getane Schritt basiert auf beiderseitigem Mitwissen und Einverständnis. Black Blood Records ist keine Startrampe für Bands, die es auf die Mainstage in Wacken schaffen wollen, aber eine Schmiede mit Herz, die sich selbst treu geblieben ist, und seinen Künstlern Freiraum gewährt. Ich schätze es enorm, nahezu alles (von Musik über Gestaltung der CDs und der Textilien über PR-Entscheidungen) selbst in der Hand zu haben, auch wenn dies viel Aufwand bedeutet. Wir hatten in der Anfangszeit einige Zwistigkeiten, da ich mich geweigert habe, jedes eingehende Interview zu beantworten, aber über die Jahre hinweg hat sich unser Verhältnis auf einer äußerst vertrauenswürdigen „Vertrag-per-Handschlag“-Basis eingependelt. Die Dinge laufen langsam, aber sie laufen.

Und – evtl. wird es dich freuen: Eine schmucke LP-Version ist tatsächlich in Arbeit. In altgewohnter Tradition hängen wir ein wenig hinterher, aber sowohl dies als auch entsprechende Textilien (Zipper und T-Shirts) werden in Kürze erhältlich sein.

Um uns erfreulicheren Themen zuzuwenden: das neue Album ist ziemlich stark geworden. Sicher, schon das Demo vor ein paar Jahren war gar nicht so übel, aber „Retrograde“ hat ein Niveau, das ich absolut nicht erwartet hätte. Wie hast du das angestellt? Nimmst du heutzutage andere Drogen? Ist in deinem Leben etwas Einschneidendes passiert, oder ist das alles bloß „natürliche Weiterentwicklung“?

Ich danke dir!
Der Weg von der ersten LE-Demo über „The Narrow Path“ bis hin zum jetzigen Album war eine klassische Frage der Stilfindung. Ziel war es ursprünglich, eine dunklere Version von HORN zu erstellen, die sich auf getragener Atmosphäre statt auf hervorstechende Melodien stützt. Die erste Demo ist im Grunde eine noch recht unselbständige Version von HORN, die sich erstmal eine eigene Marke schaffen musste. Die beiden Geschichten voneinander zu trennen hat, ein wenig Zeit und Entwicklung in Anspruch genommen. Da ich ausschließlich allein arbeite, kommen neue Einflüsse nunmal nicht von außen, sondern durch die Zeit. „The Narrow Path“ hingegen wurde zu BM mit Doom-Komponente, die danach stärker Überhand genommen und in „…retrograde…“ dann das Ruder ganz übernommen hat.

Heute ist LE eine eigenständige Einheit. Das Album hat jedoch noch eine BM-Vorgängerversion, die mit schnellerem Drumming und weitaus stärkerem Keyboardeinsatz versehen ist. Nachdem diese erste Version zu drei Vierteln fertig war, habe ich die Aufnahmen abgebrochen und sämtliche Dateien gelöscht, da ich während der Entwicklung immer stärker vom eigentlich beabsichtigten Stil abgewichen bin und das Album einfach „fremd“ klang. Mit der aktuellen Version bin allerdings äußerst zufrieden, denn auf visueller, textlicher und musikalischer Ebene ist alles so geworden, wie ich es mir vorgestellt habe.


Bist du eigentlich großer PRIMORDIAL-Fan?

Erraten. Ich denke, dass dies unschwer anhand des LE-Albums zu erkennen ist. Womit wir bei meinen Einflüssen und letztendlich auch bei den musikalischen Intentionen des Albums angelangt wären. Ich habe „…retrograde…“ als eine Kreuzung aus PRIMORDIAL, NORTT und URFAUST ausgelegt und es nach diesem Vorbild geschrieben. Das gebe ich gerne zu, da ich keinen Sinn darin sehe, sich als Künstler in Interviews als autoinspiratives Genie darzustellen. Du weißt schon, der Schlag Musiker, der sich lieber ein Bein ausreißen würde anstatt zuzugeben, dass er sich an einer fremden Band orientiert hat („Wir hören den ganzen Tag lang Band XY zum Erbrechen, aber letztendlich ist unsere Musik vollkommen eigenständig“). Das ist Unsinn, jeder Musiker kommt an den Punkt, an dem er sich sagt: „Genau wie der und der Part von dieser und jener Band soll meine Musik klingen“. Das Ergebnis wird dann meist ein anderes, aber die Grundideen bauen doch zumindest zum Teil auf musikalischen Fremdinspirationen auf. Wie auch immer, ich schweife ab…

Adam (PRIMORDIAL) ist in meinen Augen einer der größten Künstler dieser Erde, der es schafft, kritische und tiefgründige Themen in spärliche Worte und Zeilen zu fassen… simple Sätze, deren Sinn allerdings eine unglaubliche Tiefenstruktur aufweist. Musikalisch hat er und seine Band das Genre auf den Kopf gestellt. Nur wenige Bands außer Primordial bringen es fertig, sich auf der einen Seite von nahezu allen gängigen Genrekonventionen zu lösen, und auf der anderen Seite 1000 Mal mehr nach Black Metal zu klingen als jedes dahergelaufene Satansgekreische. Eine der Bands, die progressiv bis zum Gehtnichtmehr sein können, ohne nach eingebildetem Avant-Garde-Müll zu klingen. Kurzum, LE verdankt dieser Band viele Riffkonstruktionen (vorwiegend triolische Ansätze), und auch beim formalen Aufbau der Texte habe ich mich stark am Stil von Adam orientiert. Ich sehe meinen Gesang letztendlich als ein Mittelding zwischen PRIMORDIAL und URFAUST, habe ihn auf diesem Album zum ersten Mal in diesem Ausmaß eingesetzt und werde dies zukünftig wohl noch exzessiver tun.

Du hast ja mit HORN noch ein weiteres Soloprojekt am Start, welches nicht nur ganz anders klingt sondern mir auch viel weniger gibt als LICHT ERLISCHT…. Nun kann man ja über Geschmack nicht streiten, aber mich würde schon interessieren, wie du so unterschiedliche Musik machen kannst. Gibt es da bestimmte Stimmungen, Situation, was weiß ich, in denen dir eher Material für HORN einfällt und andere Perioden, die du L.E. widmest? Oder sammelst du einfach alle Ideen und teilst sie später auf beide Projekte auf? Oder kannst Du einfach einen „HORN-Modus“ in deinem Kopf in Betrieb nehmen? Ist die Trennung HORN-L.E. etwas, worauf du bewusst achtest, oder geschieht das ganz natürlich?

Richtig, mit HORN mache ich seit 2003 aktiv Musik und habe mittlerweile zwei Demos und vier volle Alben herausgebracht, und es läuft im Normalfall so ab, dass ich die Alben für beide Projekte im Wechsel schreibe. HORN ist in der Tat ein ganz anderes Projekt, was es natürlich auch sein soll, denn zwei Soloprojekte mit ein und demselben Stil zu praktizieren wäre recht überflüssig. Das mit dem Wechsel in den HORN- oder LE-Modus ist im Grunde nicht so kompliziert, wie es evtl. klingt, denn wie du richtig vermutest, kann da einfach dieser „Schalter“ umgelegt werden. Das liegt daran, dass ich kein impulsiver Musiker bin, dem beim Zähneputzen oder beim Reifenwechseln ein geniales Riff einfällt, flugs ins Haus huscht und selbiges erstmal aufschreibt und dann direkt daran weiterbastelt. Ich gehe die Sache an, indem ich mir ein Projekt vornehme und warte, bis ich ein klares Bild im Kopf habe, welche musikalische Richtung bzw. welche Thematiken gut umsetzbar sind. Dieses „Bild“ ist dann die Inspiration, und aus ihm entstammen dann die Ideen. Dieses Prinzip ist allerdings erst mit der Zeit gekommen. Anfänglich war meine Musik mit HORN noch recht impulsiv, ich wollte mehr oder weniger viele kontrastierende Ideen unter einen Hut bringen, wodurch sich vielerlei gravierende Stilwechsel auf den ersten HORN-Werken erklären lassen.

Thematisch gesehen sind HORN und LE heutzutage identisch. Das liegt unter anderem daran, dass mir zwar viele Gedanken im Kopf herumschwirren und ich zu vielen Dingen eine klare Meinung habe, aber mich sehr schwer tue, diese zu Papier zu bringen oder gar „lyrisch“ zu gestalten. Daher habe ich einfach nicht die Möglichkeit, meine Gedanken dann auch noch in zwei komplett unterschiedliche Kategorien aufzuteilen.


Da du nun mit „Retrograde Disciples“ ein ziemlich fantastisches Album abgeliefert hast, muss ich trotz allem „über Geschmack kann man nicht streiten“-Geschwafel mal ganz direkt fragen: Findest du HORN eigentlich immer noch gut?

Das lässt sich schwer mit ja oder nein beantworten. Tatsache ist, dass ich HORN aus heutiger Sicht nicht mehr mit dem vereinbaren kann, wofür es mehrere Jahre lang stand. Das Projekt existiert immerhin seit etwa neun Jahren, erschwerend kommt hinzu, dass ich stets ein starkes Bedürfnis habe, meine Musik zu „überholen“. Sprich, HORN hat einen starken Wandel durchgemacht. „Distanz“ (2009) hat auf musikalischer, visueller und vor allem textlicher Ebene kaum noch Gemeinsamkeiten mit den bunten Wäldern von „Der Forst im Frühjahr“. Ich gehe stark davon aus, dass du mit deiner unterschwelligen Kritik (Unterschwellig?! -Ed.) vor allem auf meine Demos und die ersten beiden Alben anspielst. Ich empfehle dir, „Distanz“ einmal ein Ohr zu leihen, und glaube, dass dir das Gleiche auffallen wird. Durch diese Scheibe ist auch der Schulterschluss mit LE weitaus besser erklärbar.

Trotz allem ist deine Frage berechtigt. Ich fürchte, HORN hat sich in eine gewisse Sackgasse manövriert, und ich überlege seit einiger Zeit, wie es weitergehen soll. Als alleiniger Musiker allerdings stehe ich zu meinen alten Veröffentlichungen und weiß, dass sie zum jeweiligen Zeitpunkt genau das waren, was ich machen wollte.

So, jetzt weg von HORN, hin zu den textlichen Inhalten. Wenn ich das recht sehe, hast du dich diesmal sehr urbanen Themen gewidmet. Das ist ziemlich post und trendy, aber der Blickwinkel scheint ein anderer zu sein, oder? Ums Romantisieren geht’s dir ja nicht, richtig? Das hast du ja dem Wandern vorbehalten, hehe… Magst Du die Großstadt? Jetzt mal ganz abgesehen davon, ob es in D solche gibt. Stadtwandern kann auch sehr spannend sein, nur mal so als Tipp. Als ich das erste Mal nach China kam, hab ich in der ersten Woche bestimmt 100 Kilometer zu Fuß zurück gelegt. Schon mal probiert?

Post und trendy, hehe… in der Tat. Einerseits Romantisierung (für mich unverständlich, was an aschfahlen Betonwänden oder rauchenden Fabrikschloten romantisch sein soll, du weißt, ich steh‘ ja eher auf Wald und Wiesen, hehe), aber mein Blickwinkel ist da ein ganz anderer. „Cities… Monuments“ und „A People to be Revised“ widmen sich urbanen Themen, allerdings aus einer deutlich politischen Draufsicht. Ich bin beruflich gezwungen, im Herzen einer namhaften deutschen Großstadt zu leben, und beobachte als Landkind viel und gerne, was um mich herum geschieht (damit auch impliziert, dass ich deinen Vorschlag vom Großstadtwandern bereits ausgiebig beherzigt habe). Die Lieder sind Auszüge dieser Erfahrungen. Ich bin ein starker Globalisierungsgegner und verachte das Zusammenschmelzen tausender Gesichter in die Form eines geschlechts- und herkunftslosen Wesens, das sich mit allen unterhalten kann, aber niemanden versteht, das seine Ursprünge mit allen teilt, aber doch keine eigenen besitzt. Es ist die Welt, in der man sich mit funkelnden Gegenständen und Technologien neue Götter geschaffen hat, deren Prinzipien für alle zu einfach zugänglich und verständlich sind. „Cities… Monuments“ besingt sozusagen das Paradox des 21. Jahrhunderts, eine Welt, in der sich die Menschen dadurch, dass sie ihre primitiven Instinkte und Wurzeln aufs Blut bekämpfen, letztendlich wieder genau in diese zurückentwickeln.

In einem Text geht es um Europa, worum genau? Was Politisches oder was Historisches? Hat die real existierende EU den europäischen Gedanken dauerhaft beschädigt?

Sowohl als auch! Ich halte nichts davon, eine klare Trennlinie zwischen Politik und Musik zu schaffen. Die lahme „Politik hat nichts im Metal zu suchen“-Phrase ist letztendlich oft nur ein hinkender Euphemismus dafür, sich von „rechts“ abgrenzen wollen, aber auf der anderen Seite dann doch nicht zu links zu wirken. Der schadfreie Mittelweg, damit es in ein paar Jahren vielleicht doch noch mal mit dem Millionenvertrag klappt. Der Spruch ist einfach hinfällig, weil er oft nicht stimmt und in seiner eigentlichen Bedeutung auch nicht ernst genommen wird. Denn was z.b. besingt jede x-beliebige Thrash Metal-Band, wenn’s um die bekannten „Social Issues“ geht? Beschwert sich da jemand und schiebt denen einen Riegel vor? „No Politics in Metal“-Phrasendrescherei diktiert, dass man sich zwischen drei Lagern entscheiden muss: „links, rechts oder gänzlich unpolitisch“. Diese Einteilung ist für Kleingeister gedacht, für die das Leben ein Multiple-Choice-Test ist, und berechnet nicht mit ein, dass es erstens tausende feine Nuancen und Überschneidungen zwischen den Lagern gibt, und dass – zweitens – politische Themen auch aus der Vogelperspektive besprochen werden können.

„No Statures of Europe“ etwa ist das Szenario des Aufeinanderprallens politischer Extreme, wie es im wilden ersten Drittel des 20. Jahrhunderts stattgefunden hat. Mich fasziniert die Energie, die freigesetzt wird, wenn Ideale aufeinandertreffen. Das ist heute anders. Am Fehlen von Idealen geht das 21. Jahrhundert zugrunde, und darüber hinaus daran, dass der Bürger zu sehr mit Fußball-WM und DSDS beschäftigt ist, als dass er mit der Faust auf den Tisch hauen könnte, wenn ihm fremde Ideale überhand nehmen (Stichwort Selbstregulierung).

Der europäische Gedanke eines Kulturkreises ist durch die Neudefinition Europas als wirtschaftliche Einheit erstickt und nachhaltig beschädigt worden. Die vielen Völkergruppierungen unseres Kontinenten sind untereinander verwandt, weil sie ähnliche Lebensarten führen und – bis zu einem gewissen Grad – auf gemeinsamen traditionellen Werten basieren. Aber wie es so schön heißt: Beim Geld hört die Freundschaft auf. Kulturelle Gemeinsamkeiten treten in den Hintergrund, sobald man übergeordnet verpflichtet wird, sich die gleiche Wirtschaftsethik anzueignen wie der befreundete Nachbar, und dem anderen mit seinem sauer verdienten Geld aus der Not helfen muss, wenn der mal wieder etwas fauler war. Das Experiment kann man gut am lebenden Beispiel nachvollziehen. Menschen sind nun mal primitive Egoisten. Ich kann die Faulheit meiner besten Freunde mit einem Lächeln als „Ach das ist halt so seine Art“ abtun, aber nur solange, bis ich nicht selbst für besagte Faulheit aufkommen muss. Und Faulheit ist hier nur ein Beispiel, die Unterschiede könnten genauso gut durch unverschuldete Faktoren entstehen.

Europa ist und wird niemals mit der EU/EWR vereinbar sein. Letztere ist ein grenzfreies Konstrukt, das durch wirtschaftliche Interesse abgesteckt, beliebig ausgeweitet oder verkleinert wird, oder auch je nach Charity-Laune der Brüssel-Diktatur mit neuem Humankapital aufgefüllt wird, wenn’s mal irgendwo wieder an fleißigen Bienchen mangelt, die den Unterschied zwischen Mindestlohn und Wunschgehalt nicht kennen. Europa allerdings ist ein Kontinent, angefüllt mit Völkern, die sich über Jahrtausende haben beschnüffeln können, der der gesamten Welt das Leben eingehaucht hat, und bei dem man nicht mal eben ein paar Landzungen absägen oder ein paar Inseln annähen kann.

Entschuldige meine Ausschweifungen, aber ich denke diese Sachen sind wichtig, um einen Teil des Konzepts von „…retrograde…“ zu verstehen.

Kannst du dir eigentlich vorstellen, deine Solosachen mal auf die Bühne zu bringen? Oder hast du es bereits getan? Bspw. mit dem Rest von ZERSTÖRER als Instrumentalsklaven wäre das ja gar nicht so unmöglich. Oder hast du da gar keine Lust drauf?

Ein heißes Eisen. 2008 habe ich zwei HORN-Konzerte veranstalten lassen und mir hierzu drei gut befreundete Musiker ins Boot geholt. Allerdings haben wir zu dem Zeitpunkt in ganz Deutschland verstreut gewohnt und daher ungenügend proben können, geschweigedenn die optischen Auftritte (welches Licht, welche Thematik, welche Details) ordentlich geplant. Daher fielen die Konzerte recht dürftig aus, zumal auch wenig Vorabwerbung getätigt wurde. Das Problem bei HORN ist darüber hinaus die doch sehr eigene und mit vielerlei Effekten versehe Instrumentalisierung, die – wie wir festgestellt haben – live nur begrenzt umsetzbar ist. Dennoch träume ich davon, das Ganze einmal richtig professionell anzugehen. Aber dafür fehlt mir die Zeit. Die Jungs von ZERSTÖRER bzw. das Umfeld sind/ist selbst gut ausgelastet, und auch ich wohne derzeit zu weit ab vom Schuß und habe zu viel um die Ohren, um dieses Problem zu bewältigen.

Für LE sehe ich musikalisch weitaus größere Chancen, da das Material weitaus besser umsetzbar ist. Der Wille besteht, es wird sich zeigen, ob auch die Realität mitspielt.

Als nächstes, nehme ich an, wirst du dich sicher auf HORN konzentrieren. Trotzdem würde mich interessieren, ob du auch für die Zukunft von LICHT ERLISCHT… schon Pläne hast. Bist du der große Pläneschmieder, oder nimmst du Alben eher spontan und kurzfristig auf, wenn dich die Muse küsst?

Nun, wie oben beschrieben, bin ich doch eher der Pläneschmieder. Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, was als nächstes an der Reihe ist. Ich habe Lust, etwas Neues auszuprobieren, und befinde mich gerade in den Vorbereitungen und weiß, das früher oder später ein neues Album daraus entspringen wird. Ob das Ganze dann auch ein anderes Etikett erhält oder nicht, kann ich im Augenblick nicht beantworten. Tatsache ist, dass ich meine Füße als Solomusiker nicht still halten kann, und im Grunde genommen seit zehn Jahren ununterbrochen neue Musik schreibe. Das mag zwar zu einer gewissen Überkompensation führen (Bei HORN z.b. halte ich ein Jahre/VÖ-Verhältnis von 9:6 schon fast zu unausgewogen), aber mir kreisen einfach zu viele Ideen im Kopf herum, die herausgelassen werden müssen.

So genug der dummen Fragen. Die letzten Worte gehören natürlich dir.

Keineswegs, ich fand die Fragen äußerst interessant und fordernd, und bin sehr dankbar für den relativen Beantwortungsfreiraum.

An den geneigten Leser: Wer an Textilien und einer LP-Version des Albums interessiert ist, dem empfiehlt es sich, ab und an mal unter www.black-blood-records.de vorbeizuschauen. Ich danke für die Aufmerksamkeit!

 

28.02.2012
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