Mekong Delta
Immer einen Schritt weiter hin zum Ziel

Interview

Dieses Jahr, genauer am 08. Mai, erschien mit „Tales Of A Future Past“ ein neues Album von MEKONG DELTA, der legendären Prog-Metal-Band um Ralf Hubert, sechs Jahre nach dem Vollzeitvorgänger „In A Mirror Darkly“. Aber tatsächlich handelt es sich hierbei um mehr als „nur“ ein neues Album. Spezieller sind die „Landscapes“-Movements eine Art Studie für ein größeres Projekt, an dem Hubert schon längere Zeit arbeitet. Darüber, aber auch über die Vergangenheit, wie sehr man die Arbeit von Schlagzeugern würdigen sollte, die immense Leidenschaft der klassischen Musik, über das nach wie vor brandaktuelle Thema Coronavirus und mehr haben wir mit Hubert sprechen können.

Hallo Ralph, wie geht es dir und wie hast du den Lockdown überstanden?

Hallo Michael. Den Lockdown habe ich eigentlich ganz gut überstanden. Ich habe ja beim Komponieren und Arbeiten so viel mit Draußen nicht zu tun, sondern war ganz intim mit meinem Computer, meinen Noten und meinem Stift. (lacht) Außerdem habe ich mich von der ganzen Situation nicht so sehr anstinken lassen. Jeder, der sich ein bisschen damit befasst, hätte sich denken können, dass sowas irgendwann einmal kommen wird. Der Ausbruch von Covid war so sicher wie der Einschlag eines Asteroiden oder der Ausbruch eines aktiven Supervulkans wie z. B. der Yellowstone. Es ging hier nie ums „Ob“, sondern ums „Wann“. Insofern habe ich das ziemlich relaxed betrachtet.

Das heißt, dass du im Falle einer zweiten Welle vermutlich ähnlich relaxed sein wirst, oder?

Ja, ich halte mich weiterhin daran, wie man sich eigentlich verhalten soll. Ich renne nicht irgendwie in größeren Gruppen herum und halte immer Abstand. Insofern bin ich da gut vorbereitet. Denn dieser Wunschgedanke, dass wir den Virus schnell wieder loswerden, ist meiner Meinung nach Traumtänzerei. Das wird uns erst einmal so ähnlich weiter begleiten. Ich glaube nicht, nach dem was man mittlerweile so in der Wissenschaft herausgefunden hat, dass sich das Ding mit irgendeiner Impfung besiegen lässt.

Wenn du das neueste in der Science oder Nature gelesen hast, dass da angeblich die Antikörper wieder verschwinden, dann dürfte der Imfpstoff dahingefallen sein. Bin diesen Impfstoffplänen eh skeptisch gegenüber, denn ein RNA-Imfpstoff ist noch nie ausprobiert worden. Ich denke eher, dass das wohl Jahre dauert bis wir den Virus los sind. Wenn wir ihn überhaupt jemals loswerden. Insofern müsste man eher ein Medikament finden, dass die Viren spontan tötet. (lacht)

Und die Informationsflut ist so unübersichtlich, dass man den Überblick verliert, wenn man sich nicht von vorn herein eingelesen hat.

Ja, mich interessiert so etwas grundsätzlich. Ich bin da auf diese Sachen gekommen, als ich diesen einen älteren Film „Outbreak“ mit Dustin Hoffmann gesehen habe. Ich bin ja eigentlich in der Physik interessiert aber als ich den gesehen habe fand ich das extrem interessant. Und dann habe ich mir damals ein Buch besorgt, ’ne ziemlich dicke Schwarte, die hieß „Die kommenden Plagen“.

Das war eigentlich ziemlich toll das Buch, da wurde beschrieben, wie das CDC arbeitet, wie solche Seuchen entstehen und so weiter. Man kann das wahrscheinlich nicht mehr ganz auf den heutigen Zustand übertragen, aber man hat davon doch viel gelernt über die zahlreichen Seuchen und Erkrankungen, die es überhaupt gibt, wie Ebola und dergleichen. Und wenn man sich ein bisschen damit beschäftigt hat… nun ja, es war klar, dass so etwas passieren würde.

Es gibt ja durchaus Leute, die den Virus mit den Zombie-Viren, bekannt aus diversen Medien, vergleichen. Und besonders die – nennen wir sie mal – aggressiven Skeptiker führen sich ja teilweise wie solche auf.

Die Vorstellung, dass so ein Virus wie ein Zombie-Virus wirken kann, ist schon ein bisschen beängstigend. (lacht) Das Schlimmste ist meiner Meinung nach aber nicht diese aggressive Verweigerung gegen die Existenz des Virus, sondern eher, dass wir nachlässiger im Umgang damit werden. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, wie wir früher immer sagten.

Und wenn du auf einmal sagst: „Ist eh alles kack egal“, ich mein‘ ich habe da auch immer noch so einen kleinen Mundschutz vor dem Gesicht, so ein kleines Säckchen, wenn ich einkaufen gehe. Doch ich sehe auch immer mehr Kassierer in den Märkten, die auf ihren Mundschutz verzichten, da sie denken, dass sie durch ihre Plexiglasscheibe ausreichend geschützt sind. Die paar Maßnahmen, die man selbst ergreifen kann um die Ausbreitung aktiv zu reduzieren sollte man meiner Meinung nach auch nutzen.

Neulich habe ich ein Interview gegeben, da hat man mich gefragt ob ich ein Konzert geben würde. So vor unter Berücksichtung der Abstandsregeln bestuhltem Publikum und mit dem neuen Material. Ich habe prinzipiell keine Probleme damit und bin – Gott sei Dank! – noch nie in meinem Leben ernsthaft krank gewesen, vermutlich auch weil ich mich fit halte mit Sport und dergleichen. Aber die Verantwortung, JETZT ein Konzert zu geben, möchte ich mir nicht auf die Schultern laden. Du weißt wie ich das meine, oder?

Ja.

Also ich persönlich finde das unverantwortlich. Du weißt nie, wenn du da 500, 1000 oder 10.000 hast. Und du kannst einfach nicht verhindern, dass diese Leute über kurz oder lang miteinander Kontakt haben werden, denn so ist der Mensch nun mal.

Wo wir gerade bei Konzerten sind: Lass uns doch mal über das eigentliche Thema unseres Gesprächs reden, das neue MEKONG DELTA-Album „Tales Of A Future Past“. Das ist ja jetzt so seit anderthalb bis zwei Monaten [zum Zietpunkt des Gesprächs] draußen.

Müsste so sein, ja. Ich muss dir ganz ehrlich sagen: Das ist so ein bisschen an mir vorbei gegangen. (lacht) Denn direkt danach habe ich mich – weil ich aufgrund der Platte grad so schön beim Orchestrieren war – auf die Re-Orchestrierung der Orchester-Titel gestürzt. (lacht) Sozusagen perfekt auf den zweiten Lockdown vorbereitet.

Was hat sich denn beim Schaffensprozess im Gegensatz zum Vorgänger „In A Mirror Darkly“ geändert, abgesehen vom Lineup?

Och… Eine ganze Menge. Zum Beispiel, dass die orchestralen Sachen diesmal deutlich mehr Zeit in Anspruch genommen haben. Weil glücklicherweise habe ich jetzt endlich mal die Tools, die ich mir 1996 gewünscht hätte. Und darin kannst du dich ja vollständig verlieren. Wenn du da so einen Titel nimmst wie „When All Hope Is Gone“, da hat allein das Arrangement dieses großen Orchesters fast ein dreiviertel Jahr gedauert. Deswegen war der Zeitabstand auch so große gewesen. Dazu kommt nocht, dass ich versucht habe, die Sachen so zu gestalten, dass die heftigeren Sachen eher in den Hintergrund gehen vom Effekt und dass man der besseren Linie noch folgen kann. Das hat sich auch gelohnt, denn auf dem Album sind hervorragende Gesangslinien vorhanden.

Geändert hat sich der Schaffensprozess auch dahingehend, dass die Instrumentierung anders gesetzt war. Das kann man schwer erklären. Das musst du einfach hören. Das wird dir aber auch aufgefallen sein.

Mir gings beim ersten Hördurchgang von „Tales Of A Future Past“ wie mit jedem MEKONG DELTA-Album: Zunächst war ich etwas überfordert. (lacht) Oder zumindest überwältigt.

Das sagt meine Freundin auch immer, „erschlagen“. Sie fragt dann so: „Wen willst damit wieder erschlagen?“ (lacht)

Man erzählt sich ja von Bands wie KING CRIMSON, dass sie ihre Musik mit dem Taschenrechner komponieren. Trifft das auch auf MEKONG DELTA zu?

Nein. Das hängt aber vor allem damit zusammen, mit welcher Musik ich groß geworden bin. Bei mir ist das so, dass ich schon sehr früh mit Musiken konfrontiert worden bin, die mir einfach gefallen haben. Das hat meinen Weg deutlich beeinflusst. Das hat irgendwie damit angefangen, das ein Kollege und ich im Alter von so zehn Jahren aus den damaligen Kleiderbügeln mit Hosenhalter die Stangen raus brachen. Zu der Zeit gab es eine Gruppe namens NIAGARA, die bestand irgendwie in den Achtzigern, Siebzigern so um den Dreh, keine Ahnung mehr. Und die bestand nur aus Trommeln. Das fanden wir so geil, dass wir diese Querstangen aus den Bügeln gebrochen und überall auf Sofa, Tischen, allem rumgekloppt haben.

Und um mich ruhig zu stellen, damit ich das Mobilar in Ruhe lasse, wurde mir ein Bass geschenkt. Da habe ich dann angefangen so „Jau, Klasse!“, dann kam aber auch schon als ich ein bisschen spielen konnte der erste Punkt, der mich so ein bisschen aus der Umlaufbahn geworfen hat. Da war ich so um die 13 Jahre alt und im Urlaub mit meinen Eltern gewesen, das war in Spanien. Das war für den normalsterblichen Arbeiter der Standard-Urlaubsort. Und da bin ich erstmals mit einem richtigen Flamenco-Player konfrontiert worden. Da ging’s richtig zur Sache. Das hat mich richtig fasziniert, dass ich meine Eltern und Großeltern dazu beeinflusst habe, mir eine Konzertgitarre zu schenken.

Da war ich dann hin und weg gewesen. Ich habe locker so bis zu zehn Stunden am Tag geübt. Das war für mich überhaupt kein Ding. Und weil ich so intensiv geübt habe, bin ich auch schnell voran gekommen. Ich konnte so im Alter von 14-15 die schweren Bach-Suiten spielen, siehe auch „Landscape 4 – Pleasant Ground“ vom Album, auf welcher der Satz „Sevilla“ von Isaac Albeniz‘ „Suite Espanol“ adaptiert ist. Was du da mit der Band intoniert hörst, spielte ich allein auf der Konzertgitarre. Das habe ich mit 15 schon erreicht.

Und irgendwann habe ich dann umgeschwenkt auf zeitgenössische Musik. Dann kam das zweite, einschneidende Erlebnis für mich: Ich bin aufs Gymnasium gewechselt und wir hatten da auch so einen Pausenraum, wenn du Freistunden hattest. Der war nicht immer zwangsweise voll besetzt da die Leute in ihren Freistunden auch in die Stadt gegangen sind. Aber ich hatte an jenem Tag eine spontane Freistunde und auch keinen Bock, irgendwas zu machen. Und da habe ich meinen Lieblingssender zu der Zeit angemacht: WDR 3. Die haben klassische Musik gespielt um 10 Uhr morgens, 10 – 12.

Und da bin ich konfrontiert worden mit einer Nummer, die mich voll weggeblasen hat, nämlich mit Prokofiews zweiter Symphonie in D-moll. Die nennt er selbst die „Symphonie aus Stahl und Eisen“. Die hat er so um 1925 um die Zeit herum geschrieben. Und das, vor allem der erste Satz, lässt so ziemlich alles, was du kennst, wie ein Witz aussehen. Das ist so hart, da kann ich einfach auch nicht viel zu sagen, das musst du einfach mal gehört haben. Das Ding haut dich weg. Und das hat mich extrem beeinflusst. Und diese Kombination mit der klassischen Gitarre hat dazu geführt, dass ich Musik ganz anders fühle und ganz anders denke. Und deshalb wird hier nichts kalkuliert am Rechenschieber, ich denke die Musik einfach so.

Stimmt wohl. Es ist ja das alte Klischee, dass die Klassik gesittet und kalkuliert ist. Aber da steckt eine Menge Leidenschaft drin. Ich erinnere mich da an die Abwechslungsreiche Ouvertüre von Rossinis „Wilhelm Tell“.

Ja das stimmt, die Ouvertüre von „Wilhelm Tell“ ist auch grandios. Bei Prokofiew musst du dich aber hinsetzen. Weil das ist eine ganz andere Hausnummer als das, was du wahrscheinlich an klassischer Musik schon so gehört hast. Also setz dich hin und schnall dich an. Und richtig aufdrehen. Aber sei gewarnt: Am Anfang beginnt das direkt mit jeder Menge Blechbläsern. Das ist laut, selbst im Normalfall.

Da fällt mir noch die eine Sinfonie von Haydn dazu ein [der zweite Satz der 94. Symphonie]. Das war früher immer so gewesen dass die Adligen, für die das komponiert worden ist, bei den langsamen Sätzen eingeschlafen sind. Daraufhin hat der kleine Scherzkeks einfach folgendes gemacht: Er hat ganz ruhig und langsam beginnen lassen und dann mittendrin hat er auf einmal volle Kanne die Kesselpauke hauen lassen. Die sind senkrecht aus dem Stuhl geflogen, die Jungs.

Für mich ist das eine einfache Struktur. Musik drückt ja eine Menge aus an Emotionen, Irrungen und Wirrungen. Und ich kann mich da sehr gut widerspiegeln. Du darfst dich da einfach nicht so sehr einschränken. Und Musik muss aus dem Herz kommen. Musik kann nicht nur aus dem Hirn kommen. Viele Leute sitzen am Brett und versuchen mit Gewalt, eine Melodie oder einen Rhythmus rauszudrücken. Das ist prinzipiell schon mal der falsche Weg. Du kannst das Brett zwar den ganzen Tag umgeschnallt haben, aber eine Idee kommt, ohne dass sie sich vorankündigt. Man kann sie nicht erzwingen.

Und wenn sie kommt, muss man sie wirklich beim Schopfe ergreifen.

Ganz genau. Und wenn du buchstäblich gezwungen bist, sowas auf dem Instrument zu machen, das ist unheimlich schwer. Wenn ich Dinge im Kopf habe, dann kann ich die auch sofort notieren, egal ob auf einer Serviette im Restaurant oder in die Handfläche oder wo auch immer. Dafür habe ich aber auch Jahrzehnte gebraucht. Wenn’s kommt, dann kommt’s, auch in den unmöglichsten Situationen.

Für mich scheint „Tales Of A Future Past“ definitiv als eines eurer am besten klingenden Platten zu sein.

Du kannst das nicht einfach so über einen Kamm scheren. Es ist klar, dass du irgendwann einmal irgendwo anfängst bei einer ersten Platte. Die Gruppe ist ja unter lustigen Umständen entstanden, wenn du dich mal an Jörg Michael zurück erinnerst, wir haben uns mal kennen gelernt, weil ich im Studio noch viele anderen Sachen aufgenommen habe, und sind schnell Freunde geworden. Er war Drummer, wir haben uns unheimlich häufig unterhalten, weil ich ihm Jobs für andere Produktionen besorgt habe, auch in anderen Musikrichtungen, nicht nur im Metal. Weil Geld mit Musik zu verdienen war noch nie einfach.

Wir haben uns dabei auch häufig zusammen gesetzt, ein Bier genommen und Musik angehört. Ich komme ja nicht aus dem Metal, sondern eher so aus der Richtung YES, GENESIS und so weiter. Und [Keith] Emerson [u. a. EMERSON LAKE & PALMER, Anm. d. Red], ganz klar. Und wir haben uns dann einfach gegenseitig unterhalten und versucht, dem anderen das beizubringen. Oder halt nahe zu bringen. Und dann kam irgendwann die Demo rein, wo dann „Fight Fire With Fire“ drauf war. Und da war so eine rhyhtmische Sache drin, die ist jetzt nicht unbedingt normal gewesen halt. Da hab ich gesagt: „Ist ja ganz nett, aber das kann man bestimmt besser machen“, und er meinte: „Ja, mach doch!“ Und so ist die erste MEKONG entstanden. Und so ist auch MEKONG DELTA entstanden.

Und die Erfahrung, die man bei der ersten Platte gesammelt hat, ohne die wäre die „[The Music Of Erich] Zann“ nicht möglich gewesen. Und so geht das immer weiter. Die „Principle [Of Doubt]“ wäre nicht möglich gewesen ohne die ersten beiden. Und das baut alles auf Erfahrungen auf, die man gesammelt hat, wie man sowas komponiert, wie man sowas schreibt. Mein Grundgedanke war immer gewesen, die Gruppeninstrumente gleichwertig wie Orchesterinstrumente zu benutzen, was eigentlich keiner versucht hat. Es gab immer die vielen Sachen von PURPLE und so weiter, aber das war mehr immer so ein Frage-Antwort-Spiel. Meistens auch nur aus Streichern. Das war nie der Gedanke dahinter.

Und „Tales Of Future Past“ ist ein weiterer Schritt in die Richtung, wo ich hin will. So würde ich das einfach nennen.

Diese vier instrumentalen „Landscape“-Movements, haben die etwas inhaltliches oder symbolisches an sich, oder sind das einfach nur Movements für die reine Muskalität?

Diese Movements haben tatsächlich zwei Funktionen. Zum einen sind die dazu da, um die Vokal-Titel einzugrenzen in Parts, die in ähnlicher Art komponiert sind. Die ersten zwei Stücke sind ähnlich komponiert. Dann kommt das zweite „Landscape“-Movement, die nächsten Titel sind dann wieder ähnlich komponiert, also von Harmonie und Ryhthmus usw., so haben wir das unterteilt in vier Segmente. Die Movements haben aber einen tieferen Grund, nämlich schlage ich mich in seit Jahren stets damit herum, [Joseph] Conrads „Heart Of Darkness“ zu vertonen. Und das ist ungemein schwierig. Ich weiß nicht, ob du die Novelle kennst.

Das ist doch die Vorlage zu „Apocalypse Now“, richtig?

Ganz genau das ist es. Das spielt im Kongo unter belgischer Herrschaft damals. Das ist schon ziemlich heftig, eine Novelle mit 120 Seiten. Und das fand ich faszinierend, immer wieder, und versuchte es daher mal umzusetzen. Das ist mir nie gelungen und habe dann festgestellt, dass das vermutlich nur in der Kombination von Gruppe mit Orchester geht. Und das sind quasi die vier Titel. Also, nicht alle, aber vor allem Titel 2 [„Wasteland“] und 3 [„Inharent“], zuzüglich „All Hope Is Gone“. Das kann man als Vorstudien für dieses Vorhaben bezeichnen, wie ich das vielleicht endgültig mal angehen kann. Ich schlage mich ja schon seit gut zehn Jahren damit herum.

Aber du hattest ja gesagt, dass das Gesamtwerk ein wichtiger Schritt in der Evolution von MEKONG DELTA ist. Also sind die Landscapes definitiv mehr als nur eine Vorstufe, oder?

Ja, nicht das Album. Es ging mir nur um die Bedeutung der „Landscapes“. Nur die sind im Prinzip Vorstufen. Du hast ja verschiedene Sachen. Die dritte „Landscape“, worüber nur die Gruppe spielt, aber als Orchester eingesetzt wird. Das ist so etwas wie der Kontrapunkt zur zweiten „Landscape“, wo das Orchester wirklich absolut verschmolzen ist mit der Gruppe. Das sind alles Phasen, wo du mehr ausdrücken kannst, meiner Auffassung nach zumindest. Die Elemente dieser Novelle kannst du nur ausdrücken, wenn du extrem viel Klangqualität zur Verfügung hast.

Die bedeutungsvollen Schläge gerade in der zweiten „Landscape“ sind das, was als erstes auffällt. Da kann ich mir richtig vorstellen, wie eindrucksvoll das in einem Theater sein würde mit einem richtigen Orchester.

Ja, wobei ich auf die Arrangements nichts mehr kommen lasse. Die sind mittlerweile so gut geworden, dass man die von einem richtigen Orchester kaum noch unterscheiden kann.

Die Klangqualität der Platte ist auch wirklich eine der besten der Neuzeit.

Na klar, das ist ja auch nur logisch. Was euch allen so ein bisschen abgeht, was wir da früher stehen hatten, war für die damaligen Verhältnisse schon schweineteuer. Wenn du mal so ein Pult nimmst, das kostete locker so 40.000 – 50.000. Das stand da rum – eine Maschine. Aber da, wo die richtig großen Produktionen stattfanden, da stand dann nicht so ein Ding für 50.000, die hatten eine Mischkonsole für 240.000. Oder nimm einmal die Möglichkeiten, die du hattest mit verschiedenen Kompressoren, die wir zumindest gar nicht bezahlen.

Heute ist es ja ganz einfach: Die Algorithmen werden simuliert, ich packe mir die in den Rechner und fertig, kann das ganz easy mit dem Bildschirm bearbeiten. Ich zahl‘ vielleicht ein Hundertstel vom Preis, den du früher hattest. Bis du damals irgendwann einmal dein Traumequipment zusammen hattest… Wenn mich jemand nach der Vergangenheit fragt, dann antworte ich ihm: „Oh Gott, wenn wir die Sachen von heute früher beim ersten Album gehabt hätten…“ Allein diese Begrenztheit auf 16 Spuren kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Das erste Album ist auf diesen 16 Spuren entstanden, die „Erich Zann“ auch. Das ist alles noch per Hand geschnitten auf einer Analogmaschine.

Das sind alles so Dimensionen, von denen die Leute am anderen Ende immer ein bisschen entfernt sind. Die sagen dann immer: „Das klingt nicht so gut“, aber haben keine Ahnung, welche Arbeit und Erfahrung, vor allem aber: was für ein immenses Geld dahinter steckt. Da sag ich immer: Selber machen mit den alten Geräten, und dann besser machen! Dann habe ich Respekt vor so einer Meinung. Ansonsten ist das für mich nur Gewäsch.

Ich habe mich selbst mal daran versucht und… auf deutsch gesagt: Es hat scheiße geklungen.

Ja, das ist schwer. Der Bass spielt von sich aus teilweise sehr hoch, und wenn du dann eine Figur hast, wie – nehmen wir mal die zweite, die „True Lies“ von der „Erich Zann“. Das Hauptthema wird von allen Instrumenten – auch vom Bass – auf dem zwölften Bund auf der A-Saite gespielt. Dann bist du da, hast das irgendwie geregelt. Und du musst dir vorstellen: Du hattest zu der Zeit keine Automation. Das mussten die Leute am Pult machen. Der Mensch war da die Automation. Du hattest zwei Hände und konntest zwei Regler bedienen, parallel. Und das über den gesamten Song.

Jedenfalls hast du dann dieses Riff da einigermaßen eingerockt und auf einmal geht das Ganze Riff hier runter auf die E-Saite auf F. Das ist ein ganz anderes Klangmuster. Dem bist du mit einer 16-Spur-Maschine gar nicht Herr geworden. Aber heute – okay, ich meine, da richtest du dir locker 200 Spuren ein und lachst dich darüber tot. Dafür hätte ich damals locker acht Geräte hier stehen haben müssen für lockere zwei Millionen. Verstehst du?

Man muss dazu sagen, dass man bei der Fülle an Musik, die man als Rezensent hört, relativ schnell dagegen abstumpft, was tatsächlich hinter der Musik steht, egal was es für ein Album ist, was man gerade bespricht.

Ja klar, da habe ich auch Verständnis für. Das kann ich durchaus nachvollziehen. Du kannst dich nicht mit jedem eigen machen, das geht nicht.

Vielleicht ist es aber auch meine Eigenheit, immer alles analytisch angehen zu wollen mit dem bisschen Halbwissen, das ich habe.

Aber wenn man das schon mal selbst erkennt, dann ist man auf dem rechten Weg. Besser kann’s doch gar nicht sein. Ich weiß selbst, wie fehlbar ich bin. Und wenn man das weiß und mit dem Aspekt im Kopf voran geht, dann kann man nur besser werden. Da wären wir beim Aspekt der Bescheidenheit. Und das kann einen Menschen nur voranbringen.

Ich habe eine Kollegen, der auch ein regelrechter Guru in Sachen Aufnahmen ist, soweit ich das beurteilen kann. Der hat mal gescherzt: „Der perfekte Mix ist ein Lebenswerk“.

Ja das ist richtig. (lacht) Aber das Problem ist, dass man sich irgendwann selbst eine Grenze setzen muss. Bei MEKONG DELTA und speziell „Tales Of A Future Past“ jetzt hier ist es letztendlich so gewesen, dass genau das unheimlich viel Zeit in Anspruch genommen hat. Weil ich wollte es diesmal so perfekt wie möglich hinkriegen. Und über das, was dabei rausgekommen ist, bin ich auch stolz. Gerade bei „All Hope Is Gone“ klingt das meiner Meinung wirklich extrem gut, auch bei der zweiten „Landscapes“. Und dazu kam ja noch die Anekdote, dass man die Riffs unterschätzt hat hinterher.

Du musst dir das so vorstellen: Ich komponiere alles fertig. Dann gehen die „Blätter“ im Speziellen erst einmal an den Peter [Lake, Gitarre] in dem Falle raus, sonst an Erik [Grösch, Gitarre]. Also als Notatio bzw. Midi-File-Notatio, wie auch immer. Da kann man sich das anhören, da ist aber noch kein Tempo festgelegt. Ich schlage dann meist irgendein Tempo vor und dann wird das so gespielt. Und gerade beim Opener „Mental Entropy“ war das so, dass das Riff irgendwie so gespielt worden ist, und dann ging das Ding rüber zu Alex [Landenburg, Schlagzeug].

Der kriegt eine Idee von mir, wie ich mir das Schlagzeug vorstelle, er hört sich das an und macht etwas daraus. Er sagt dann aber auch, ob wir das Ding schneller oder langsamer spielen sollen. Und er bekommt halt das Riff und sagt, dass 110 [bpm] ein angesagtes Tempo wäre. Da denkt man sich erstmal nichts dabei, aber spätestens um 0:00 Uhr werde ich durch Peter wachgeklingelt, der meint: „Das ist doch gar nicht spielbar in dem Tempo“. Dann sind wir auf 95 herunter gegangen. Und dann hatten wir den Salat. Ich hatte für den Bass der „Mental Entropy“ glaube ich 14 Tage gebraucht, was für mich unnormal ist. Das ist ein echter Finger- bzw. Plektrumverknoter.

Da habe ich fast die Krätze bei gekriegt. Wir haben den Song ein bisschen unterschätzt, deswegen hat das auch so gedauert. Nicht, dass wir großkotzig dran gegangen wären, aber wenn dann der Schlagzeuger daher kommt und meint, das Ding müsse schneller gespielt werden – nun ja: wir erfüllen unserem Rhythmus-Guru ja jeden Wunsch. (lacht)

Ihr seid dann aber auch keine Kompromisse eingegangen, sondern habt euch durchgebissen, oder?

Ja natürlich, das ist ja der Sinn der Übung. Entweder du machst es oder du lässt es bleiben. Weil wenn du deine eigenen Grenzen nicht herausforderst, dann brauchst du auch nicht Musik zu machen. Ich meine, wenn du bei jeder noch so kleinen Schwierigkeit klein bei gibst, was für ein Musiker bist du dann? Es geht ja darum, nach vorne zu kommen und nicht klein bei zu geben. Es ist ja Neuland, es muss finde ich immer Neuland sein, denn das macht die Sache erst interessant. Es ist eine persönliche Herausforderung, der du dich immer aufs Neue stellen musst. Sonst kannst du genauso gut auch Musik am Fließband produzieren. Es gibt tatsächlich Gruppen, die spielen jahrelang das gleiche Album, immer neu.

Das ist tatsächlich der Grund, warum ich in letzter Zeit mehr Interesse an dem entwickelt habe, was abseits der Metal-Szene abgeht.

Ich möchte an dieser Stelle jetzt meine Artgenossen nicht in den Dreck ziehen, möchte in jedem Falle aber einmal großen Respekt für die Drummer äußern. Mit Alex habe ich mal darüber diskutiert, weil ich mich regelmäßig mit ihm austausche und er wirklich ein Top-Drummer ist. Wir kamen vor kurzem darauf, wir hatten auf irgendeiner Christmas-LP – auch schon lange her – mal „Good King Wenceslas“ eingespielt. Das hatte für die damalige Zeit die unglaubliche Geschwindigkeit von 210. Für die Neunziger ist das viel. Mir fallen da sonst spontan nur S.O.D. ein.

Und wir kamen halt so auf das Thema wegen Double Bass und Tripletts, und dann sagte er, dass der Rekord wohl aktuell irgendwo bei 285 auf dem Double Bass liegen würde. Und er sagte, er kann das auch, aber das könne man nicht lange spielen. Denn das geht auf die Gelenke irgendwie, weil du da eine ganz komische Stellung einnehmen musst. Ich habe das nicht ganz verstanden, auf jeden Fall sieht das aus wie ein Mutant beim Spielen. (lacht) Aber allein so eine körperliche Leistung der Drummer verdient jederzeit ein ganz großes Lob.

Kompositionen per se sind aber dank des immer häufiger auftretenden Downtunings in letzer Zeit mehr im Matsch versunken, um es mal vorsichtig auszudrücken. Ein Song wird durch das Riff gemacht und nicht dadurch, dass du deine Gitarre herunter stimmst. Wir haben die letzte Platte [„In A Mirror Darkly“] und auch die aktuelle zwar in D eingespielt, aber vor allem deswegen, weil es die Tonart der Songs gefordert hat. Das Herunterstimmen haben wir sonst nur einmal bei der „Principle Of Doubt“ gemacht, weil die auch in D waren. Sonst kämen wir gar nicht auf die Idee. Denn wenn mangelndes Riffung Tempo durch tiefe Stimmung ersetzt werden, dann kannst du auch den Staubsauger anmachen. Da ist für mich kein Unterschied mehr.

Quelle: Fotos: Mekong Delta
04.10.2020

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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