Nebelkrähe
Steht das Ende des Underground bevor?

Interview

Mit „Ephemer“ veröffentlichen die Black-Metal-Avantgardisten von NEBELKRÄHE jetzt ihr drittes Studioalbum. Der Titel beschreibt eigentlich einen nur kurzen und flüchtigen Moment. Aber Zeit hat sich die Band für die Fertigstellung der Platte im großen Stil gegönnt und so sind die sieben Songs über einen Zeitraum von zehn Jahren entstanden. Das Ergebnis lässt sich jedenfalls sehen und hören, immerhin achten die Münchner neben detailgetreuem Songwriting auch auf eine visuelle Gestaltung, die sich als durchaus unkonventionell bezeichnen lässt.

Auf der einen Seite zeigen sich die Musiker traditionsbewusst mit Corpsepaint, auf der anderen Seite wuseln auf Bandfotos eben auch regenbogenfarbene Seifenblasen über das Szenario. Die Musik trägt die Metamorphose von altbewährten Stilmitteln zu kontrastreichen Überraschungen ebenso wie das Artwork. Das alleine klingt schon spannend, aber auch Gastbeiträge rund um Bands wie KANONENFIEBER und SCRETS OF THE MOON sind der Rede wert.

An einem eigentlich viel zu milden Mittwochabend im Oktober treffe ich mich mit Bandgründer, Hauptsongwriter und Gitarrist Morg in einem Hipstercafé im Zentrum von München. Mein Gegenüber bestellt entgegen allen Befürchtungen keinen Kelch voller Blut, sondern begnügt sich mit Maracujasaft-Schorle und gerät beim Erzählen über seine Musik geradezu ins Schwärmen.

Alleine meine Bitte, er solle einen kurzen Abriss über die Bandgeschichte geben, gelingt Morg nicht in ein paar halbherzigen Nebensätzen.

„Ich habe meinen ehemaligen Bassisten, also mit dem ich die Band gegründet habe, irgendwann auf dem Schulfest meines alten Gymnasiums wieder getroffen. Er war da glaube ich im MAYHEM-Shirt unterwegs und ich trug auch irgendwie sowas. Da haben wir auf einmal gemerkt, dass wir jetzt beide Black Metal hören. Das kam für mich völlig unerwartet und für ihn vermutlich auch. Daraus entstand schnell die Idee, dass man eine Band gründen könnte. Einen Gitarristen hatten wir auch schon in der Pipe und damit waren wir zu dritt und haben dann einfach mal, was damals irgendwie auch überraschend einfach war, einen Proberaum gesucht und gefunden. Angefangen haben wir mit Coversongs und blieben ziemlich lange ohne Schlagzeuger. Über eine Kontaktanzeige wurden wir dann allerdings fündig und es war die erste Band, in die unser Schlagzeuger eingetreten ist und er ist bis heute dabei.“

Morg erzählt routiniert, wie die Band auf dem gleichen Weg auch zu einem Sänger gekommen ist und NEBELKRÄHE auch ein paar Mal das Besetzungskarussell gefahren sind. Mittlerweile sei die Band halt „so eine Familiengeschichte“, erzählt der Gitarrist weiter und bestellt sich zwischenzeitlich Nachschub aus der Obstsaft-Quelle. „Insgesamt sind jetzt drei Alben dabei rausgekommen. Das erste damals mit der jugendlichen Motivation direkt mal was geschrieben sozusagen. Das zweite war dann schon ein größerer Kampf, weil wir es professioneller angegangen sind. Aber trotzdem ist viel schiefgelaufen, einfach aus mangelnder Routine.“

Warum seit der Veröffentlichung des Zweitwerks „Lebensweisen“ mittlerweile zehn Jahre vergangen sind, erklärt der Mann, dessen bürgerlichen Namen ich ihm versprechen musste, nicht zu erwähnen, wie folgt:

„Das basiert auf vielen unglücklichen Zufällen. Also wir hatten eigentlich die ersten Songs schon fertig, als das letzte Album dann wirklich rauskam. Das war 2013. Dann dachten wir, das müsste jetzt relativ schnell gehen. Allerdings hat unser zweiter Gitarrist die Motivation und Zeit verloren, was wir aber nicht schnell genug gemerkt haben und was uns ziemlich ausgebremst hat. Nach dem Ausstieg eines Musikers, ist es nie einfach, jemanden zu finden, der persönlich und musikalisch passt. Als wir diese Lücke geschlossen hatten, wurde es immer deutlicher, dass unser Bassist aus beruflichen Gründen die Zeit für die Band fehlte. Das heißt, für die Aufnahmen stand er dann auch nicht mehr zur Verfügung. Da konnten wir zum Glück auf unseren Aushilfsbassisten von früher zurückgreifen, der schon mal live für uns gespielt und auch das letzte Album schon eingespielt hatte. Als wir die Schlagzeug-Aufnahmen gerade im Kasten hatten, kam die liebe Pandemie daher, sodass dann inklusive unseres Proberaums, alles zu war. Die Aufnahmen mussten entsprechend dann in Einzelarbeit unter allen Auflagen passieren, was dann wieder viel Zeit gekostet hat, weil eigentlich niemand von uns vorher mit Home-Recording irgendwas am Hut gehabt hat. Dabei kann es passieren, dass man länger an gewissen Parts arbeitet, als es gesund ist. Und dann haben wir festgestellt, dass das Studio, in das wir gehen wollten, während der Pandemie geschlossen wurde. Wir haben uns dann eben für Victor (Bullok, hat unter anderem mit DARK FORTRESS, ANOMALIE und TRYPTIKON gearbeitet, Anm. d. Red.) entschieden. Aber jetzt ist jemand wie der Victor halt auch niemand, der sagt, „Hey, klar, kommst du nächste Woche rum, ich habe eh nichts zu tun.“ Das heißt, Victor hat gesagt: „Ich mache das total gerne, aber ich habe halt erst in einem Jahr Zeit.“ Wir hatten so viel Zeit verschwendet, dass das jetzt auch egal war und wir haben eingeschlagen und ein Jahr auf unseren Wunschproduzenten gewartet. Schlussendlich haben wir das Jahr dann auch noch für viele Details und Feinarbeiten genutzt. Aber es war halt wieder ein Jahr, was dazu kam. Für die Labelsuche und für die Fertigstellung der physischen Produkte, kommen nochmal knapp zwölf Monate oben drauf. So schnell sind zehn Jahre dann auch schon rum. Und da sind wir jetzt.“

Weil NEBELKRÄHE so lange an ihren Liedern gebastelt haben, kann ich der Frage nicht widerstehen, ob Morg das Album überhaupt noch hören kann und stattdessen nicht vielleicht schon neue Musik geschrieben hat. Die eigentlichen Aufnahmen zu „Ephemer“ seien letztlich aber so knapp kalkuliert gewesen, dass zum Beispiel die letzten Gast-Vocals quasi mit der letzten, gebuchten Studiominute aufgenommen wurden. Dementsprechend wäre schlicht und ergreifend gar keine Zeit geblieben, überhaupt an neue Songs auch nur zu denken.

„Aber es gibt ein vages Konzept für eine EP, die eine Art Gedichtvertonung werden könnte. Der Text steht zwar schon, aber ansonsten haben wir noch keinen einzigen Takt dafür geschrieben“, fügt Morg dann aber doch noch an. An den Songs auf „Ephemer“ hat er sich jedoch nicht abgehört, gerade weil sie nach dem Einstieg des neuen Gitarristen (Miserere) noch einmal überarbeitet wurden und man mit frischen Ohren ins Studio gegangen ist. „Außerdem haben sich die Songs über all die Jahre so geschliffen, dass sie aus meiner Sicht perfektioniert worden sind, was man über die eigene Musik nicht oft sagen kann. Bei unseren bisherigen Alben war es immer so, daß sie fertig waren, im Schrank landeten und es dann aber auch gut war. Dieses Gefühl habe ich bei „Ephemer“ zum Glück gar nicht, weil ich glaube, dass wir immer die Chance hatten, trotzdem nochmal etwas zu verbessern. Also da, wo du normalerweise die Songs aufnimmst und dann denkst, jetzt muss es gut sein, und dir dann denkst, eigentlich hätte man da schon noch irgendwas machen können… Das haben wir alles vor dem Release quasi schon durchlaufen und dadurch sind die Songs jetzt wirklich so, wie man sich das wünscht, so wie es andere vielleicht mit einem Re-Release später noch einmal angehen. Wie du es dann hast, so sind die Songs für uns quasi jetzt. Das ist eigentlich ziemlich cool. Also das ist der Vorteil dieses 10-Jahres-Prozesses.“

Wir machen eine Pause. Dabei plaudern wir darüber, dass sich bei der aktuellen Veröffentlichungsflut auch andere Bands mehr Zeit und vor allem Ruhe beim Songschreiben nehmen könnten, wobei Morg sogar davon ausgeht, dass sich das insgesamt positiv auf die Qualität der Musik auswirken würde.

Beim Stichwort Musik, soll Morg für NEBELKRÄHE eine Beschreibung finden, ohne dabei das Genre Black Metal zu erwähnen.

„Nun, wir werden oft als Dark Metal bezeichnet, was ich persönlich nicht so nachvollziehen kann. Das ist für mich oft elektronisch angereicherte Musik oder tatsächlich einfach Black Metal. Auch glaube ich nicht, dass man uns in die Post-Black-Metal-Schublade stecken kann, nur weil wir modern klingen.

Ich glaube, wenn du innovativen, extremen Metal gelten lässt, steckt da schon relativ viel drin. Es gibt viele Komponenten, die es im extremen Metal auch gibt. Sei es das das Shouting, das irgendwie fiese Riffing, Distortion-Gitarren und so weiter. Auf dem letzten Album hatten wir beispielsweise einen Funk-Part zwischendrin oder einen Walzer und haben diverse Instrumente, mit denen wir die Songs anreichern oder eben dann auch aus einer klassischen Schublade raushebeln. Tatsächlich finde ich Black Metal, je öfter ich darüber nachdenke und je mehr ich es gefragt werde, als Genre auch immer schwieriger. Über die die Jahre habe ich gemerkt, dass ich mit dem Genre und dem, wofür es steht, immer weniger anfangen kann. Dieses ganze Wir-Hassen-Alles-Und-Satanismus-Und-Dies-Und-Das, das ist halt schon auch ein großer Kindergarten.“

Morg verrät mir in diesem Zusammenhang, dass er das entmystifizierende Element an „Lords Of Chaos“ gerade deshalb so schätzt, weil er es nur den wenigsten wirklich abkauft, „trve“ mit dem Black Metal und seiner Mentalität verhaftet zu sein. Entsprechend will er seine Musik auch gar nicht einem Genre zuordnen, weil das ja auch immer Erwartungen bei den Hörenden schürt, die möglicher Weise nur bedingt erfüllt werden.

Gleichzeitig stellt Black Metal für viele die letzte Bastion der Freiheit dar, eine Insel der Vielfalt sozusagen. Immerhin sind Experimente und abgefahrene Instrumentierungen gern gesehene Gäste bei gewissen Unterkategorien im weit verzweigten Genre-Geflecht. Menschen, bei denen Bands wie BETHLEHEM und NOCTE OBDUCTA im Plattenschrank stehen, können NEBELKRÄHE sicherlich auch etwas abgewinnen.

Morg ist diese Herangehensweise aber ein bisschen zu einfach: „Nehmen wir mal BETHLEHEM. Klar, ich mag nicht alles, was die gemacht haben, aber es ist ein super eigenständiges Ding. Das finde ich auch einen wichtigen Punkt. Und halt auch extrem vielseitig in dem, was sie so ausprobiert haben. „Schatten Aus Der Alexander Welt“… Ich meine, wie krass ist das denn? Das ist einfach ein abgefahrenes Ding. Deshalb geht es gar nicht darum, dass man NEBELKRÄHE nur hören kann, wenn man diese Band oder jene Band mag. Man muss einfach bereit sein, sich auf Dinge einzulassen. Und dann kann es immer noch sein, dass es dir halt einfach stilistisch nicht taugt.“

Gefährlich wird es eigentlich also erst, wenn man sich nur oberflächlich mit NEBELKRÄHE beschäftigt und über den Tellerrand des deutschen Black Metal nicht hinausblickt. Dann kann eine Textzeile wie „Doch Kinder verzagt nicht. Nah ist der Tag, an dem euer Vater die Besatzer verjagt.“, vom aktuellen Song „Tumult Auf Claim Abendland“ für Falten auf der Stirn und ein unangenehmes Bauchgrummeln sorgen. Von Morg will ich wissen, ob in einer solchen Textzeile nicht doch der Versuch steckt, in alter Black-Metal-Manier auf Provokation zu setzen oder ob es der Band vielleicht sogar egal ist, in einer bestimmten Grauzone verortet zu werden.

„Egal ist ein Wort, das ich in dem Kontext jetzt erstmal überhaupt nicht stehen lassen will! Das ist mir absolut nicht egal. Ich will absolut nicht in die rechte Ecke gedrängt werden. Ich versuche mich überall in meinem Leben dagegenzustellen und auch bei der Band immer darauf zu achten, dass wir absolut keine Grauzonenberührungspunkte haben. Wir haben einmal in unserem Leben einen Gig mit INQUISITION gespielt. Das war bevor die Band all die Skandale hatte. Und aus heutiger Sicht würde ich sagen, es war vielleicht auch ein Fehler, auch weil der Gig nicht geil war und es sich überhaupt in keiner Hinsicht gelohnt hat. In jedem Fall würde ich es heute aber nicht mehr tun und ich wäre noch vorsichtiger bei der Entscheidung, mit welchen Bands wir spielen. Bevor wir bei Crawling Chaos Records unterschrieben haben, hat Holger mich gefragt hat, ob wir da irgendwelche Berührungspunkte in diese Richtung hätten. Darauf habe ich zu ihm gesagt: „Wenn du die Berührungspunkte hättest, würden wir bei dir auch nicht unterschreiben. Und damit waren wir auf einer Wellenlänge.“ Also insofern, nee, egal ist mir das definitiv nicht. Aber, und jetzt kommt das große Aber, das ist nichts, was mich künstlerisch beeinflussen darf oder soll. Durch mein vollkommen antifaschistisches Weltbild, weiß ich für mich, dass keiner meiner Texte, die ich schreibe und das gilt auch für die Texte, die K. damals geschrieben hat, ansatzweise eine faschistische oder rechte Tendenz haben. Natürlich du bist nie dagegen gefeit, dass jemand, egal was du schreibst, irgendwas reininterpretiert. Und wenn jemandem reicht, dass eine Band auf Deutsch singt, um sie dann in die Ecke zu stellen, dann sind wir halt auf einem Diskussionslevel, wo ich auch nicht mehr mitspielen muss.“

Letztlich seien die Lyrics deshalb in deutscher Sprache verfasst, weil die Band ihre Themen damit lebendiger und glaubhafter zum Ausdruck bringen kann, als im Englischen.

„Ich glaube, die Zeiten, in denen Bands Deutsch nur aus unlauteren Gründen verwendet haben, liegen weit zurück. Heutzutage ist das ein künstlerischer Approach, den du machen kannst, wenn du das Gefühl hast, dass es besser zu deiner Musik passt. Und das ich finde tatsächlich, weil das Deutsche eine wahnsinnig schöne Gesangssprache ist. Du kannst es wunderbar modulieren, du kannst alle Emotionen reinpacken, du kannst wahnsinnig viel mit rollenden Rs und der ganzen Sprache machen. Die Worte funktionieren super schön.“

Ein paar Tage nach unserem Treffen hat mir Morg übrigens noch einen Nachtrag zur oben erwähnten Textzeile von „Tumult Auf Claim Abendland“ per E-Mail geschickt, den ich einfach mal 1:1 übernehme: „Zentral ist, dass Claim einerseits dieses abgesteckte Gebiet der Goldsucher, aber eben auch eine Behauptung ist – also dass das Abendland bzw. sonstige Identitätskonzepte ja nur durch Behauptung funktionieren, wie auch Grenzen generell. Das Leitmotiv des Songs ist also auch hier Anti-Patriotisch…“

Ein Konzeptalbum sei „Ephemer“ eigentlich nicht. Zumindest nicht im abgestumpften Terminus der Memento-Mori-Philosophie. Und schon gar nicht, wenn man ein pathetisches Fundament wie ein opulentes Doppel-Album mit einer großangelegten Story zugrunde legt. Aber natürlich verfolgt das Album einen roten Faden, was Morg als Dinge aus dem alltäglichen Leben beschreibt, die „man grundsätzlich als Konstante ansieht oder als gegeben. Hinterfragt man diese Dinge dann, stellt sich heraus, dass es halt gar nicht so ist. Das können irgendwelche Staaten, Grenzen oder eben Hoffnungen, Lebensträume und Wünsche sein. Schlussendlich fallen alle sieben Songs in dieses Schema und haben auf die eine oder andere Art irgendeine Form von Flüchtigkeit und Vergänglichkeit als Thema, aber sie sind vollkommen unabhängig voneinander, haben komplett andere Schauplätze sozusagen. Zum Beispiel „Nielandsmann“ erzählt von zwei Fronten und einem völlig unklaren Grenzverlauf. Diese Grenze existiert nur deshalb, weil sie jemand proklamiert hat. In den Songs verwenden wir immer einen Schauplatz, mit dem Du Geschichten erzählen kannst. „Nielandsmann“ ist gar kein Kriegssong, denn alles was relevant ist, passiert in der Feuerpause.“

Allein das Cover-Foto hat Morg so beeindruckt, dass er davon beeinflusst den Titeltrack zu „Ephemer“ schrieb. Daraus sind dann die Songs und das eigentliche Konzept zur Platte entstanden. Nicht zuletzt die Bandfotos nehmen das Thema auf, auf denen Seifenblasen, nur einen Wimpernschlag vom Platzen entfernt, die Vergänglichkeit der Dinge nicht besser darstellen könnten.

Noch einmal kommen wir auf den Song „Nielandsmann“ zu sprechen, auf dem Noise von KANONENFIEBER als Gastsänger zu hören ist. Insgesamt nähert sich der Track musikalisch als auch inhaltlich der Thematik ähnlich wie die Gipfelstürmer aus Franken und lassen die ein oder andere Parallele erkennen. Zyniker würden NEBELKRÄHE vielleicht vorwerfen, sie seien Trittbrettfahrer, die ein düsteres WW-1-Szenario skizzieren und sich KANONENFIEBER zum Vorbild für einen schnellen Euro genommen haben.

Morg hat zu Beginn unseres Gesprächs allerdings schon vorweggenommen, dass alle Songs kurz nach den Aufnahmen zum Vorgänger, also vor etwa zehn Jahren, entstanden sind. „Tatsächlich ist der Text zu „Nielandsmann“ im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 entstanden. Damals habe ich in Freilassing an der deutsch/österreichischen Grenze gewohnt und alles hautnah miterlebt. Ich war drüben in Salzburg, als die Grenze dichtgemacht wurde und kein Zug mehr fuhr. Also musste ich zweieinhalb Stunden nach Hause laufen. Das war für mich ein Schlüsselerlebnis. Immerhin war ich in einem Europa mit offenen Grenzen und einer einheitlichen Währung aufgewachsen und plötzlich war die Grenze zu. Der Song ist alles, nur kein Kriegssong und schlussendlich nicht mal mehr ein kriegsthematischer Song. Ich bin ein Riesen-Remarque-Fan und der Text ist ein bisschen an die Ästhetik von „Aus Dem Westen Nichts Neues“ angelehnt. Wertfrei kann ich sagen, dass der Song absolut nicht irgendwie im Sinne dieser Erster-Welt-Krieg-Hype-Black-Metal gedacht ist. Aber klar, das ist aktuell schon ein großes Ding für einige Bands. Seien es jetzt MINENWERFER oder auch PANZERFAUST oder eben KANONENFIEBER oder wie sie alle heißen.“

Dass Noise als Gastsänger für den Song verpflichtet wurde, sei reiner Zufall gewesen. Als die beiden sich 2018 über das angekündigte Remake von „Im Westen Nichts Neues“ unterhielten.

„Schlussendlich weiß ich gar nicht, ob er der perfekte Sänger für den Song ist. Noise klingt sehr ähnlich wie unser Sänger. Das finde ich grundsätzlich nicht ideal für einen Gastgesang, weil man vielleicht nicht immer heraushört, wer welche Passagen eingesungen hat. Aber es hat halt einfach gefunkt sozusagen und funktioniert. Letztlich hatte Noise auch noch eine mega gute Idee und hat die Strophe über den Clean-Part einfach noch einmal geflüstert, was dem Song eine krasse Gänsehaut-Atmosphäre verleiht.“

Auch wenn das Lied durch den Gastbeitrag vielleicht ein bisschen mehr Aufmerksamkeit bekommen wird, ist es Morg wichtig, noch einmal klar zu stellen, dass NEBELKRÄHE einen sechsstimmigen Bläsersatz verwenden und sich alleine dadurch aus dem Fahrwasser anderer Bands freischwimmen. Und damit liegt er sicherlich nicht falsch, wenngleich „Ephemer“ andere, vielleicht stärkere Stücke beinhaltet.

Wir sprechen viel über die Texte in Songs und das eine Auseinandersetzung mit den Lyrics auf komplexer Ebene oftmals unumgänglich ist, wenn man eine Band oder Künstler nicht zu Unrecht in eine falsche Schublade stecken möchte. Gleichzeitig macht es die Musik vielleicht auch spannender, wenn Bands auf den ersten Blick anecken, ohne plump zu provozieren… Morg kommt noch einmal auf „Nielandsmann“ zu sprechen und unterstreicht, dass der Song absolut antipatriotisch und damit ein klares Statement ist. Sollte sich jemand daran stören, freut ihn das sogar.

Mittlerweile existieren NEBELKRÄHE seit 16 Jahren, was eine, für Underground-Bands vergleichsweise lange Zeit ist. Von Morg möchte ich wissen, was er seinem 16 Jahre jüngeren Ich heute auf den Weg mitgeben würde.

„Das klingt vielleicht ein bisschen hart, aber ich glaube grundsätzlich sollte man sehr genau aufpassen, wer in deiner Band, wie viel Zeit und Engagement hat. Egal wie gut man befreundet ist, wenn nicht alle an einem Strang ziehen und jemand langsam aus der Band herausschleicht, zehrt das unheimlich an der Motivation und dem Spaß an der Sache. Hätten wir uns zu einem früheren Zeitpunkt gefragt, ob unser ehemaliger Gitarrist wirklich noch Interesse an der Band hat und nicht sein dahingehend sehr passives Verhalten so lange toleriert hätten, hätten wir uns sicher einige Jahre gespart. Dann hätten wir vielleicht mehr Drive aus dem letzten Album mitgenommen und dementsprechend dann einfach auch vielleicht mehr erreicht. Das wäre sicher etwas, was ich mir mitgeben würde oder was mich im Nachhinein ärgert, dass ich da die Zeichen zu spät gesehen und zu spät reagiert habe und Leuten zu viel durchgehen ließ. Das ist letztlich auf die ganze Band zurückgefallen. Und ich würde nicht mehr mit INQUISITUION spielen. Das ist wie gesagt viele Jahre her und schlussendlich auch aus einer Zeit, wo man froh war, wenn man überhaupt einen Gig spielen konnte.

Bei der Frage, ob Morg in der heutigen Zeit melancholische Musik machen und gleichzeitig positiv in die Zukunft blicken kann, muss er das erste Mal an diesem Abend etwas länger über die Antwort nachdenken. Dann gesteht er, dass es ihm aufgrund des kaum noch aufzuhaltenden Klimawandels und der weltweiten Konflikte gar nicht gelingt, besonders positiv über die Zukunft zu sprechen. Wichtig findet er es, dass man sich den eigenen Alltag so schön wie möglich gestaltet, während ihn seine Musik, egal wie traurig oder melancholisch sie auch sein mag, in erster Linie sehr glücklich macht.

„Ich glaube, dass du mit der Musik eine gute Zeit haben kannst, ohne auf dem Bett sitzend in Weltschmerz zergehen zu müssen. Grundsätzlich mag ich keine Happy-Shit-Musik, aber jeder soll das hören, was er möchte. Insofern halte ich es für wichtig, informiert zu bleiben und die Entwicklungen auf der Welt nicht komplett auszublenden. Man muss nur aufpassen, dabei nicht kaputt zu gehen oder sich runterziehen zu lassen. Das fällt mir manchmal schon schwer. Und sicherlich mag das mein Faible für diese Art von Musik in gewisser Weise beeinflussen.“

Mittlerweile ist es im Hipstercafé laut geworden und Morg hebt die Stimme an. „Ich glaube nicht, dass jemand alleine dadurch traurig wird, weil er traurigen Black Metal macht. Im Gegenteil: Es macht eigentlich immer Spaß, Musik zu machen. Sonst würde es man es ja nicht machen!“

Auf die „Famous Last Words“ hat mein Gesprächspartner eigentlich nicht besonders große Lust und beschränkt sich deshalb auf ein einfaches „Support The Underground“. Einen Aufruf für seine Band zu starten, liegt ihm nicht. Er sei Musiker, kein Shirt- oder CD-Verkäufer. Und dann, ganz zum Schluss steigt Morg doch noch einmal voll ins Gespräch ein und teilt eine vermeintlich dunkle Vision für die Zukunft mit mir: „Wenn euch eine Band gefällt, damit meine ich nicht NEBELKRÄHE, sondern alle Bands… Kauft euch ein T-Shirt, eine CD oder spendet halt etwas. Wenn alle nur noch streamen, dann ist das nicht direkt der Teufel. Aber das wäre das Ende vom Underground. Und letztlich wird irgendwann jeder Musik nur noch streamen…“

25.10.2023

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