Star One
"Das habe ich bei Avantasia geklaut."

Interview

STAR ONE ist Arjen Lucassens einziges Projekt neben AYREON, das es auf mehr als ein Album bringt. Lucassen hat kürzlich mit „Revel In Time“ das dritte Album unter dem Banner veröffentlicht. Wir haben bei dem sympathischen Niederländer angeklopft und ihm viele Informationen zu dem Album, den Hintergründen, künftigen Projekten und weiterem entlockt. Zwischendurch, das geben wir zu, sind wir dabei etwas vom Thema abgekommen. Das passiert eben, wenn zwei Nerds aufeinander treffen.

metal.de: Was waren deine Gründe, nach zwölf Jahren Pause ein weiteres STAR-ONE-Album aufzunehmen?

Arjen: Jedes Album ist eine Reaktion auf mein vorheriges Album, in diesem Fall „Transitus“ von AYREON. Das war so eine Art Musical, es war kein Prog-Album, es war kein Metal-Album und ich glaube, die Leute haben es nicht so ganz verstanden. Es war das erste Mal, seitdem ich angefangen habe, mit AYREON Musik zu machen, dass ich negative Reaktionen bekommen habe.

Es könnte daran liegen, dass es eigentlich ein Filmsoundtrack ist, aber der Film konnte wegen Corona nicht gedreht werden. Ich habe mir dann gedacht: „Oh mein Gott, ich verliere sie!“ Ich musste einfach ein bisschen Lärm machen, riff-orientiert, ein richtiges Metal-Album. Einfach reduziert auf das Wesentliche. „Transitus“ war so schwierig umzusetzen, mit all den verschiedenen Layers, den ganzen Geschichten und so.

metal.de: Nebenbei bemerkt finde ich, dass „Transitus“ mit dem Comic super funktioniert.

Arjen: Ja, damit geht es. Aber nicht jeder hat den Comic bekommen und es lief viel falsch. Die Leute, die das Digipak gekauft haben, haben keine Lyrics bekommen. Und ohne Lyrics, ohne Film und ohne Comic war es schwierig, das Album zu verstehen.

metal.de: „Revel In Time“ hat Zeitreise-Filme und -Serien zum Thema. Hast du die alle nochmal angeguckt, bevor du die Songs geschrieben hast?

Arjen: Ja. Ich hatte die Songs als erstes fertig und dann wollte ich die Filme für die Songs auswählen. Ich bin zu meiner DVD-Sammlung gegangen und habe alle Filme herausgeholt, die einen Bezug zum Thema „Zeit“ hatten. Das waren circa 40 Stück. Ich habe dann überlegt, welcher Film zu welchem Song passt.

Wir starten ja mit „Fate Of Man“ auf dem Album, ein schneller Song, darum brauchte ich einen Actionfilm und nicht so etwas wie „Groundhog Day“. Darum habe ich mich für den „Terminator“ entschieden, das war eine logische Wahl. Der zweite Song „28 Days (Till The End Of Time)“ ist ein langsamer, dunkler Song, der war perfekt für „Donnie Darko“. Es war aber ein harter Prozess, nur 11 von 40 Filmen auszuwählen. Es gab Filme und Serien, die ich gerne machen wollte, wie „The Time Machine“, „Doctor Who“ oder „Star Trek“.

metal.de: Welche Filme wären denn fast auf das Album gekommen, haben es dann aber doch nicht geschafft?

Arjen: Das ist schwer. Es gab ein paar, die ich halt schonmal genommen habe, wie „12 Monkeys“ oder auch „Star Trek“ auf dem ersten Album. Ich müsste es nachgucken, ich habe eine Liste auf dem Computer. Fehlt dir denn ein Film?

metal.de: Eigentlich nicht, außer vielleicht „Butterfly Effect“.

Arjen: Ah okay. Oh, ich habe auch gerade die Liste gefunden. Bist du bereit?

metal.de: Ja.

Arjen: „Slaughterhouse-Five“, „Army Of Darkness“, „The Time Machine“, „It’s A Wonderful Life“, „The Lakehouse“, „Somewhere In Time“, „Sphere“, „Time After Time“, „The Navigator“, „Butterfly Effect“, „A Christmas Carol“, „Star Trek: First Contact“. Dann hatte ich auch noch circa zehn TV-Serien: „Doctor Who“, „Twilight Zone“, „X-Files“, „Lost“, „Fringe“, „Star Trek“. Und es gibt noch mehr, aber ich will dich nicht langweilen.

metal.de: Kein Problem, ich habe ja danach gefragt. „Revel In Time“ hat ja eine größere Menge an Sängern und Sängerinnen im Vergleich zu den Vorgängern, auf welchen ja die gleichen vier Leute gesungen haben. Wie hast du die einzelnen Sänger:innen und Gastmusiker:innen ausgesucht?

Arjen: Ich habe meine Wunschliste, die sich stetig ändert. Natürlich habe ich meine All-Time-Favourites, meine Helden, mit denen ich in den 70ern und 80ern aufgewachsen bin. Außerdem kommen immer wieder neue Sänger:innen dazu. Ich lese viele Magazine und wenn in einer Review steht, dass der Sänger / die Sängerin toll ist, dann gehe ich meistens abends, nachdem ich einen Film geguckt habe, zu YouTube und schaue mir diese Vorschläge an.

Neun von zehn Malen bin ich aber eher so mäßig begeistert. Ich wurde halt total verwöhnt. Es hört sich arrogant an, aber ich arbeite gerade mit den besten Sänger:innen der Welt zusammen, darum bin ich nicht einfach beeindruckt. Es passiert aber, zum Beispiel bei Brittney Slayes oder Brandon Yeagley. Da denke ich mir dann: „Heilige Scheiße, ich will mit der Person arbeiten!“.

Ich habe also diese Liste und wenn ich ein neues Album geschrieben habe, gehe ich die Liste durch und überlege, welche Sänger:innen zu welchem Projekt passen. Es ist eine Art Talent, das ich habe. Wenn ich Brittney singen höre, weiß ich sofort, auf welchen Song sie passt. Ich liege da selten falsch, dass ich den falschen Song auswähle.

metal.de: Und manchmal scheinst du mehrere Leute im Kopf zu haben, da auf der Bonus-CD ja alle Songs nochmal mit anderen Sänger:innen zu hören sind.

Arjen: Richtig. Die Idee wurde aus den Guide Vocals heraus geboren. Ich konnte mir die Sänger:innen nicht einfliegen lassen logischerweise, was schade ist. Dann bekomme ich das Beste aus ihnen heraus. Ich habe also diese Guide Vocals benutzt, um das Beste aus ihnen herauszukitzeln, da diese schon richtig, richtig gut sind. Sie sollten diese Versionen bekommen und denken: „Oh Gott, ich muss besser als das sein!“.

Also habe ich die Guide Vocals mit Jaycee, Marcela und Wilber aufgenommen und sie hörten sich so großartig an, dass es eine Schande wäre, diese Versionen nicht zu veröffentlichen. Ich habe also gesagt, ich nenne die zweite CD einfach „CD 2“. Nicht „Bonus-Disc“, nicht „Guide-Vocals-Disc“, es ist zu gut dafür. Es sind richtige Vocals, die ihr eigenes Existenz-Recht haben.

Du könntest sagen, dass die Sänger:innen auf CD 1 die größeren Namen sind und auf CD 2 sind es mehr die Nachwuchstalente. Außer Tony Martin natürlich. Das war echt eine schwere Wahl, mich zwischen Roy Khan oder Tony auf CD 1 zu entscheiden. Ich habe die Fans entscheiden lassen, weil ich es nicht konnte. Roy ist einer der Lieblingssänger der Fans, daher ist er auf der ersten CD gelandet.

metal.de: Also hörst du auf deine Fans, welche Sänger:innen sie hören wollen?

Arjen: Ja, ich habe auch mal eine Umfrage gemacht, welche sie auf meinen Alben hören wollen. Ich glaube, die meistgewünschten waren Russell Allen, Devin Townsend und Floor Jansen. Ich finde es spannend, so etwas zu machen, weil ich so viele Sänger:innen mag. Manchmal bin ich am Zweifeln, wen ich nehmen soll. Ich freue mich einfach, wenn die Fans glücklich sind. Ich bin keiner von den Musikern, die sich nicht darum scheren, was die Fans mögen. Mails von Fans sind das, was mich am Laufen hält, wenn sie sagen, wie sehr ihnen meine Musik hilft.

metal.de: Das ist ja schön! Ich habe bei der Umfrage auch mitgemacht, glaube ich.

Arjen: Oh echt, wen hast du dir gewünscht?

metal.de: Roland Johansson, den Ex-Sänger von THE UNGUIDED und Joseph Michael von WITHERFALL.

Arjen: Ah, cool, WITHERFALL kenne ich.

metal.de: Ja, das Problem ist, dass es einfach zu viele gute Sänger und Sängerinnen gibt.

Arjen: Oh ja, ich musste letztens ein Interview geben, wo ich meine zehn Lieblingssongs nennen sollte, das war fürchterlich. Ich hatte mindestens 100 Songs, die ich nennen wollte. Und ich musste mich entscheiden. Hätte ich nichts von RUSH reingenommen, wäre die Frage gekommen: „Warum ist nichts von RUSH dabei?“. Das war Horror, ich mache das nie wieder (lacht).

metal.de: Ich war überrascht, RAMMSTEIN mit „Dalai Lama“ in der Liste zu finden.

Arjen: Ja, ich liebe diesen Song, die ganze Atmosphäre, die Produktion und den Text. Leute sagen, Till sei kein guter Sänger, aber nenne mir mal einen anderen Sänger, der solch eine tiefe und dabei so voluminöse Stimme hat.

metal.de: Also würdest du ihn auch mal für ein künftiges Projekt dabei haben wollen?

Arjen: Ja, aber nur, wenn er auf Deutsch singt. Ich habe seine englischen Songs gehört und mochte es überhaupt nicht. Ich mag die deutsche Sprache in der Musik richtig gerne, ich war früher schon ein riesiger Krautrock-Fan. Aber nicht nur Krautrock, auch KRAFTWERK und so weiter. Es ist so eine charismatische Sprache. Das ist einer der Gründe, warum ich RAMMSTEIN so mag. Sie versuchen nicht englisch oder amerikanisch zu sein, sie sind einfach zu 100% deutsch und das ist so einzigartig. Ich liebe es.

metal.de: Jetzt sind wir ein bisschen vom Thema abgekommen. Ich habe beim Hören von „Revel In Time“ mal Parallelen von STAR ONE zu AYREON gezogen. Was würdest du sagen, unterscheidet ein Album wie „Revel In Time“ von einem Album wie „The Source“?

Arjen: Der einfache Weg, es zu erklären ist, dass jeder STAR-ONE-Song ein AYREON-Song sein könnte, aber nicht jeder AYREON-Song könnte ein STAR-ONE-Song sein. „Valley Of The Queens“ oder „The Truth Is In Here“ zum Beispiel passen nicht zu STAR ONE. Bei STAR ONE hörst du keine Flöten, keine Geigen, keine Celli und all den Kram. Es ist nur die Basis aus Bass, Gitarre, Schlagzeug, Hammond, Synths und Gesang. STAR ONE ist nur die Metal-Seite von AYREON, ohne Folk und ohne Prog. Okay, vielleicht mit Ausnahme von „Prescient“, der ist ziemlich proggy. Das ist eigentlich kein STAR-ONE-Song, aber der war zu cool, um ihn auszulassen.

metal.de: Arbeitest du eigentlich an mehreren Projekten auf einmal? Wann haben die Arbeiten an „Revel In Time“ begonnen?

Arjen: Ich arbeite nie an mehreren Projekten gleichzeitig, ich kann das überhaupt nicht. Ist das nicht so ein Männer-Ding (lacht)? Ich arbeite mindestens ein Jahr, manchmal zwei an einem Projekt und alle anderen Ideen, die dazu nicht passen, werfe ich einfach weg.

metal.de: STAR ONE kamen nach zwölf Jahren zurück, gibt es für andere Seitenprojekte wie THE GENTLE STORM oder GUILT MACHINE auch Hoffnung? Oder ein weiteres Soloalbum vielleicht?

Arjen: Ich denke, meine meisten Seitenprojekte sind eine einmalige Geschichte. Bei GUILT MACHINE zum Beispiel sind keine der Musiker noch verfügbar, die Plattenfirma vom Sänger ist recht schwierig, sie wollte zu viel Geld, damit ich ihn live hätte einsetzen können. Lori spielt keine Gitarre mehr und hat andere Interessen heute, da sie dazu auch die Texte geschrieben hat. Außerdem, und das hört sich wieder arrogant an, ich finde „On This Perfect Day“ ist so ein starkes Album, ich könnte niemals ein noch besseres Album in der Hinsicht machen.

Das gilt auch für THE GENTLE STORM. Es war echt cool mit Anneke und wir haben sehr hart daran gearbeitet und ich denke, ich könnte kein besseres Album in dem Stil veröffentlichen. Wenn es ein weiteres THE-GENTLE-STORM-Album geben würde, wäre es etwas komplett anderes. Was AMBEON angeht, ist Astrid einfach nicht mehr verfügbar und eine andere Sängerin möchte ich dafür nicht haben.

Ein weiteres Soloalbum würde ich aber gerne machen. Ich bin so stolz auf „Lost In The New Real“, aber es ist wieder das Gleiche. Das Album klingt so gut, ich müsste also etwas komplett anderes machen.

metal.de: Für STAR ONE hingegen gibt es viele Möglichkeiten für weitere Alben, es könnte ja auch mal um Videospiele gehen, da gibt es auch großartige Geschichten.

Arjen: Ich habe nie ein Videospiel in meinem Leben gespielt. Ach doch, eines, „Pong“. Ich bin einfach ein alter Kerl, ich denke, wenn ich jünger wäre, würde ich sie auch spielen, aber so weiß ich da nicht viel drüber. Es sieht aber sehr cool aus, was es da so gibt.

metal.de: Du hast ja jetzt einige AYREON-Liveshows gemacht. Würdest du gerne auch mal eine Liveshow spielen, die sich auf STAR ONE fokussiert?

Arjen: Ich denke nicht. Wir haben 2002 die Tour mit STAR ONE gespielt und die war magisch. Ich denke, wenn STAR ONE live spielen würde, müsste ich Gitarre spielen. Ich glaube nicht, dass ich eine Band ohne mich rausschicken könnte und das ist einfach nichts, was ich tun möchte. Ich war nun ein paar Mal auf der Bühne während der AYREON-Shows und ich musste nur zwei Songs spielen, danach waren meine Finger schon so steif und ich war so nervös. Ich denke, wenn ich ein paar Jahre Live-Erfahrung hätte, wäre es eine Idee, aber dafür müsste ich stundenlang, nein tagelang proben. Und ich hasse es, zu proben.

Was ich mir aber vorstellen kann und ja auch schon getan habe ist, STAR-ONE-Songs während den AYREON-Shows zu spielen. Wir planen für September 2023 weitere AYREON-Shows und ich möchte da auch etwas von STAR ONE spielen, „Fate Of Man“ zum Beispiel wäre eine gute Wahl. Der Videoclip wurde auch sehr gut angenommen und er wäre cool, live zu spielen.

metal.de: Was sind denn dann deine Pläne für die Zukunft? Du hast gerade was von neuen AYREON-Shows gesagt. Und sonst?

Arjen: Wir werden auch ein paar Neuauflagen veröffentlichen. Mascot wird alle AYREON-Alben auf Vinyl veröffentlichen, als nächstes kommt „Universal Migrator“. Ich bin bei dem Album mit dem Sound nicht ganz zufrieden, ich werde es also wahrscheinlich remixen, was eine große Aufgabe ist. Remastern braucht ein paar Stunden, aber ein Remix braucht mehrere Monate. Geplant ist ein Release im September. Ich möchte auch einen 5.1-Mix machen für das Album.

Außerdem werde ich mein erstes Soloalbum („Pools Of Sorrow, Waves Of Joy“), das damals total gefloppt ist, vermutlich weil es weder ein Metal- noch ein Prog-Album war, neu veröffentlichen. Denn man findet dort schon Spuren von AYREON wieder, ein Song greift sogar die Geschichte, die kommen sollte, auf. Der Rechtebesitzer findet es okay, es neu zu veröffentlichen, auch wenn er die Rechte nicht verkaufen wollte. Ich habe aber die Tapes von dem Album nicht mehr, dafür habe ich viele Demo-Tapes aus der Zeit, die ich dann als Bonus mitveröffentlichen will. Zudem habe ich zwei Songs bereits mit Gastsänger:innen neu aufgenommen. Ich weiß nicht, ob noch Platz in diesem Jahr ist für den Release, aber wir werden sehen.

Allgemein arbeite ich die ganze Zeit an neuer Musik. Ich weiß noch nicht, was es wird, aber ich höre nie auf. Ich habe ein paar Ideen auf meinem Aufnahmegerät und bin gespannt darauf, was es wird.

metal.de: Das klingt doch gut, gerade nach dem „Into The Electric Castle“-Re-Release wird das viele Fans freuen. Kommt da dann vielleicht auch ein passendes Earbook?

Arjen: Ich hoffe es, ich liebe das Format. Ich habe es bei AVANTASIA geklaut. Ich habe auf einem AVANTASIA-Song gespielt und Tobi hat mir das Album als Earbook geschickt und ich fand es total cool. Es verbindet Vinyl und CD.

Quelle: Zoom-Call mit Arjen Lucassen
27.02.2022

Redakteur für alle Genres, außer Grindcore, und zuständig für das Premieren-Ressort.

Exit mobile version