Archspire - Bleed The Future

Review

ARCHSPIRE sind schlicht und ergreifend lächerlich. Und das ist im positiven Sinne gemeint. Denn die Kanadier brechen einen technischen Death Metal voller Brutalität, klassisch angehauchter Gitarrenlicks und damit einhergehend eingängigen Hooks vom Zaun, dass die Ohren schwarz werden. Und sie tun das in einem Tempo, das schier unmenschlich scheint, live aber ein ums andere Mal unter Beweis gestellt werden konnte. In dieser Hinsicht war „Relentless Mutation“, das dritte Album der Kanadier, so etwas wie eine Offenbarung, hat es diese Eigenschaften schließlich in eine dichte Packung geschnürt und damit in etwas gebündelt, was die geschätzte Vorrednerin so schön als „Gute-Laune-Tech-Death mit Widerhaken“ bezeichnet hat.

Die Tech-Death-Übermenschen sind zurück!

Und das neue Album „Bleed The Future“ macht genau da weiter. Laut Presseinfo hat das Quintett die Zeit während der Quarantäne genutzt, um ihre Demos zum neuen Album regelmäßig kritisch zu hinterfragen, um sozusagen das empirisch bestmögliche Album hervorzubringen. Technical Death mit Fokusgruppe, wenn man so möchte. Der Prozess ist laut Bandaussage extrem ermüdend gewesen, hat sich hier aber definitiv ausgezahlt. Denn das Resultat ist erneut ein rasanter, technischer Death Metal, der kein bisschen vom eingeschlagenen Weg abkommt, sondern eher versucht, dessen Extreme noch weiter auszuloten und trotzdem gleichbleibend zugänglich zu bleiben. Und was soll man sagen: Die Band hat den Nagel auf den Kopf getroffen und genau das umgesetzt.

Die individuellen Leistungen der einzelnen Musiker grenzen einmal mehr an der Übermenschlichkeit, brennen aber so voller Leidenschaft, dass einem das böse Wort „maschinell“ so gar nicht über Lippen rutschen möchte. Spencer Prewett verprügelt seine Felle und Kessel mit einem Affenzahn. Das Gitarrenduo Lamb/Morelli rifft sich gegenseitig zu Höchstleistungen und wechselt dabei spielend zwischen drückend groovender Aggression und klassisch oder auch mal romantisch geprägter Ornamentik. Jared Smiths Bass hängt meist eher im Hintergrund, ist aber auch gut herausgearbeitet und tritt für ruhigere Intermezzi gelegentlich sogar hervor ins Rampenlicht. Und über allem thront Sänger Oliver Rae Aleron. Das ist ja auch so ein Typ, der beim Brüllen scheinbar überhaupt keine Luft holen muss, so rapide wie er die Worte rausbellt, teilweise fast, als ob er einen Death-Metal-Rap-Flow vom allerfeinsten aufs Parkett legen würde.

ARCHSPIRE bringen die Gefahr zurück

„Bring back the fucking danger in the music“, heißt es im abschließenden „A.U.M.“ im einleitenden Sprachsample, beigesteuert durch einen deutschen Freund von Schlagzeuger Prewett. Genau das tun ARCHSPIRE hier: In einer guten halben Stunde zermürbt das Quintett mit ihrem hyperaktiven Sound so ziemlich alles, was sich den Herren in den Weg stellt. Aber es bleibt eben stets abwechslungsreich, dynamisch und zugänglich dank weise eingesetzter Tempowechsel und den melodischen Leads der Gitarristen, die entweder in den langsamer groovenden bzw. atmosphärischen Intermezzi zum Einsatz kommen, schön beispielsweise im Opener „Drone Corpse Aviator“ zu hören, oder aber nahtlos ins Geknüppel integriert werden wie z. B. in „Golden Mouth Of Ruin“.

Und es sitzt alles richtig schön spack. Man möchte „Bleed The Future“ am liebsten als Energiebündel bezeichnen, aber das verharmlost möglicherweise die extreme Härte, die das Album unter den Kessel geklemmt bekommen hat. Aber „Pulverfass“ passt irgendwie auch nicht, da die Kanadier die Stimmung ja nicht nur schwelen lassen, sondern praktisch ständig am Explodieren sind. Andererseits ziehen ARCHSPIRE auch in Sachen Dynamik alle Register. So nimmt sich die Musik im Titeltrack im Mittelteil kurz zurück, nur um dann wieder gewaltig zurück auf die Bildfläche zu platzen und sich dabei hochmelodische Riffs aus dem Ärmel schütteln, die fast von BE’LAKOR stammen könnten. In jedem Fall setzen sie durchgehend jede Menge Energie frei und reißen einen damit einfach mit.

Man kann sich von „Bleed The Future“ mal wieder amtlich durchwalken lassen

Um einmal das einleitende Statement zu paraphrasieren: „Bleed The Future“ ist schlicht und ergreifend lächerlich. Über die gesamte Spielzeit klingen alle beteiligten Musiker praktisch durchgehend enthemmt und entfesselt. Dennoch präsentiert sich die Band als eine Einheit und liefert einen Hit nach dem anderen, verlässt sich dabei immer auf das wunderbare Gleichgewicht aus Brutalität und Melodie und baut so den spätestens mit „Relentless Mutation“ eingeschlagenen Pfad aus. Zeit zum Durchatmen bleibt da kaum. Ein Schwachpunkt ist vielleicht, dass aufgrund der immensen Intensität trägere Grooves wie der zu Beginn des letzten Drittels von „Reverie On The Onyx“ fast ein bisschen deplatziert wirken. Das passiert aber so selten, dass es fast vernachlässigbar ist.

Wer sich jedenfalls mal wieder amtlich durchwalken lassen möchte, ist hier an der richtigen Adresse gelandet.

29.10.2021

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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