Blood Incantation - Hidden History Of The Human Race

Review

Einen überlangen Schlusstrack mit dem kurzen, knackigen Titel „Awakening From The Dream Of Existence To The Multidimensional Nature Of Our Reality (Mirror Of The Soul)“ haben sich BLOOD INCANTATION auf ihrer neuen Platte „Hidden History Of The Human Race“ einfach mal gegönnt. Klar, nach nach einem derartig raketenhaften Aufstieg, den sie mit ihrem Full-Length-Debüt „Starspawn“ hingelegt haben, darf man sich mit etwas kosmischem Wortsalat auch mal selbst auf die Schulter klopfen. Und der „raketenhafte Aufstieg“ ist natürlich metaphorisch gemeint, denn die Band geistert ohnehin schon hoch oben bei den Aliens herum. Warum also Eulen nach Athen tragen?

BLOOD INCANTATION servieren kosmische Tech-Kost

Und in den (wiederum metaphorisch gemeinten) oberen Sphären werden die Jungs mit Sicherheit auch mit „Hidden History Of The Human Race“ nicht nur verweilen, sondern sogar noch weiter in diese vordringen. Schon das Coverartwork der neuen Platte, aus dem Pinsel des britischen Fantasy- und Sci-Fi-Illustrators Bruce Pennington stammend, ist im besten Sinne der Worte zum Schießen und entgegnet dem subtil suggerierten, kosmischen Horror des „Starspawn“-Motivs mit dem käsigsten und geilsten Alien-Quatsch, den man sich diesseits der antiquierten Prä-HR-Giger-Alien-Hysterie aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts ausdenken kann. Ein Fest für Giorgio A. Tsoukalos und einen jeden Aluhutträger, wenn man so möchte.

Ungeachtet des visuellen Cheese-Faktors bieten BLOOD INCANTATION auf „Hidden History Of The Human Race“ jedoch passend zur kosmischen Thematik mehrfach verwinkelten und doch trocken herunter gezockten Tech Death mit ausgeprägtem Hang zur Atmosphäre. Klingt also schon mal nicht nach klassischer Keule in die Fresse. Aber dass wir vom Höhlenmenschen abstammen, steht bei den Herren aus Denver sowieso nicht zur Debatte. Es sind eh immer die Aliens dran schuld. Und so bescheren uns die Herren hier ein zerebrales Mahl fürs Köpfchen, das sich im Gegensatz zum Vorgänger etwas klarer produziert und strukturierter, aber nicht weniger finster und kryptisch präsentiert.

Die stimmungsvolle, erbarmungslose Kälte des Weltraums

Etwas spezifischer auf „Hidden History Of The Human Race“ bezogen gesprochen begegnen dem Hörer hier technisch anspruchsvoll, aber nicht masturbativ gespielte Songs, an denen man trotz einer knappen Gesamtspielzeit von 36 Minuten lange zu knabbern hat. Die kalte, durch Hall-Effekte unterstützte Atmosphäre arbeitet wunderbar mit dem komplexen Songwriting zusammen, sodass man tatsächlich den Eindruck einer extraterrestrischen Beseelung der Musiker gewinnt, die ihre in sich verschlungenen Songbollwerke mit einer fast lockeren Selbstverständlichkeit darbieten. Und mit Paul Riedl hat die Band zudem einen großartigen Sänger am Mikro, der dank seiner tiefen, ebenfalls mit Hall versehen Growls zur außerweltlichen Atmosphäre beiträgt.

Wenig überraschend begegnet einem auf „The Giza Power Plant“ dem Titel gemäß ein wenig subtiler Wink in Richtung NILE. Doch auch die reine, metallische Klangästhetik ruft deren Sound das ein oder andere Mal in Erinnerung, man nehme zum Beispiel die treibenderen Knüppel-Parts im Opener „Slave Species Of The Gods“. Doch was den technischen Charakter des Riffings angeht, so hat „Hidden History Of The Human Race“ auch eine erfrischende Idee GORGUTS verpasst bekommen, die vor allem in den dissonanteren Passagen zum Vorschein kommt. So scheinen diese in der treibenderen, zweiten Hälfte von „Inner Paths (To Outer Space)“ wunderbar durch, die sich aus dessen psychedelischer Klanglandschaft heraus subtil und bedrohlich erhebt.

„Hidden History Of The Human Race“ ist kompakt und doch gehaltvoll

Die ersten drei Tracks der Platte kommen dabei in mundgerechte Stücke zerhackt daher, sofern man sich nicht vor Spielzeiten über der Fünf-Minuten-Marke ekelt. Verdauungsarbeit muss dennoch reichlich geleistet werden, denn trotz klarer Produktion sind die Songs ungemein sperrig geraten. Die Band setzt immer wieder Ankerpunkte in Form von stimmungsvollen Melodien oder rhythmisch einschlägigen Breaks, an denen man als Hörer andocken kann. Und generell lassen BLOOD INCANTATION genügend Raum zum Luftschnappen – wie erwähnt halten sie ihre Wichsgriffel im Zaum. Doch wenn man sich als Hörer nicht aufmerksam an den Songs festkrallt, schüttelt einen spätestens der nächste Hakenschlag wieder ab.

BLOOD INCANTATION bleiben also kompromisslos, was den Grad an Komplexität angeht. So richtig Maulsperre bekommt man dagegen beim abschließenden Monstrum, das die Band wie anfangs bereits erwähnt mit „Awakening From The Dream Of Existence To The Multidimensional Nature Of Our Reality (Mirror Of The Soul)“ ebenso monströs betitelt hat. Stolze 18 Minuten bringt dieser epochale Rausschmeißer auf die Uhr. Und waren schon die vorangegangenen Tracks nicht gerade linear, so gleicht der Longtrack, dessen Titel ich nicht noch einmal ausschreiben werde, einem wahren Tech-Death-Labyrinth, das seine Hörer ein ums andere Mal verstört und orientierungslos in eine Sackgasse laufen lässt.

BLOOD INCANTATION ziehen ihre Hörer in den Irrgarten hinein

Die US-Amerikaner haben mit „Hidden History Of The Human Race“ ein wahrhaft andersweltliches Werk geschaffen, bei dem normalsterblichen Hörern schon mal das Hirnschmalz aus den Ohren laufen kann. Der vertrackte Sound ist jedoch derart selbstverständlich und locker in Szene gesetzt, dass man sich hiervon gerne immer und immer wieder die Hirnwindungen durchkneten lässt. Das Album packt seine Hörer und zieht sie hinab in diesen alptraumhaften, kosmischen Irrgarten, dessen verwinkelte Gänge BLOOD INCANTATION spätestens mit „Starspawn“ ausgebaut haben. „Hidden History Of The Human Race“ füllt diesen nun mit Leben. Unaussprechlichem, furchteinflössendem Leben…

19.11.2019

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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