Blood Incantation - Timewave Zero

Review

Spätestens der Track „Inner Paths (To Outer Space) auf dem letzten Album „Hidden History Of The Human Race“ von 2019 hat gezeigt: BLOOD INCANTATION scheuen sich nicht vor (elektronischen) Experimenten. Dass mit „Timewave Zero“ ein komplettes Ambientalbum nun herauskommen würde, hat aber doch ein wenig überrascht. Ebenfalls überrascht, dass hier die beschwerlichere Route über analoge Synthesizer, anstatt alles aus der Retorte zu produzieren, gegangen wurde. Zum Einsatz kommen unter anderem auch ein Moog, ja selbst Akustikgitarren auf „Timewave Zero“. Allerdings ganz spärlich und dezent im Hintergrund, kaum zu erahnen. Dem Genre nach ist das alles recht zähe Ambient-Sauce, nicht viel mehr als ein Knistern, Halten der individuellen Synthesizer-Noten, wo die Welle dahinter schon fast erahnt werden kann. Also ein wenig überflüssig im Grunde. Auf der anderen Seite kann nicht bestritten werden, dass BLOOD INCANTATION durchaus Atmosphäre damit auslösen können und sich das für einen Film wie Alien oder Interstellar durchaus nicht schlecht in der ein oder anderen Szene gemacht hätte.

Selbst für Ambient-Fans wahrscheinlich kontrovers: „Timewave Zero“

„Io“ zieht sich trotzdem wie ein Kaugummi, Änderungen in der Musik sind nur graduell und über lange Zeiträume wahrzunehmen, aber sie sind da. „Ea“ ist wesentlich „melodischer“ im Albenkontext. Wem LUSTMORD, CAN, QLUSTER, KLAUS SCHULZE oder TANGERINE DREAM ein Begriff sind, wird eine ungefähre Vorstellung haben, was von „Timewave Zero“ erwartet werden kann. Denn letztlich haben wir es hier mit einer Verneigung, einem Tribut vor den alten Ambient-Mitbegründern aus der Krautrock- und Elektronik-Ecke zu tun. Nur sind BLOOD INCANTATION dabei ungleich minimalistischer und wenig eingängig, da Hauptmotive oder ähnliches fehlen.

Ganz den Genrevorgaben „dröhnt“ Timewave Zero hauptsächlich, ist ein ungreifbares, waberndes Etwas, was anstrengt und Aufmerksamkeit erfordert, da hier auf zwei Tracks über 40 Minuten musikalisch gesprochen nicht wahnsinnig viel passiert. Leser oder Metal-Fans mit keinerlei Verhältnis zum Ambient können sich somit „Timewave Zero“ eigentlich gleich schon sparen. Selbst Ambient-Fans wird hier vielleicht das Fleisch auf den Rippen fehlen oder „Timewave Zero“ den oben genannten Bands nichts gehaltvolles hinzufügen. Wer abends zum Sterne-Gucken oder beim Planetariumsbesuch ein wenig kosmische Hintergrundbeschallung sucht, könnte vielleicht trotzdem mit „Timewave Zero“ glücklich werden.

BLOOD INCANTATION nutzen ihre  Stärken nicht

Ein wenig muss sich schon die Frage nach der Zielgruppe stellen: Für wen ist das nun gedacht? Metal-Fans, die in Ambient eingeführt werden sollen? Alte Synthie-Fans, die den 1970er Jahren hinterhertrauern, denen hier Tribut gezollt wird? Ist das nur für Gitarrist Paul Riedl selbst eine Spielweise für eigene Experimente? Und Fans haben durchaus nach mehr atmosphärischen Stellen in Songs wie „Inner Paths (To Outer Space)“ gefragt. Ihre Gebete wurden hiermit erhört. Ob sie somit auch adäquat beantwortet wurden, sollte jeder selbst entscheiden. Gerade die Synthese aus Ambienteinfluss und kosmischen Death Metal ist in der Hauptmusik der Band interessant, komischerweise sind BLOOD INCANTATION durch ihre Experimentierfreude hier  auf „Timewave Zero“ sogar beinahe ein wenig beliebiger geworden, da sie weniger die Stärken, die in der Verbindung bestehen, ausspielen. Die Replikation vergangener Taten, die möglicherweise sogar damals schon besser und adäquater waren, taugt hier leider für nicht viel mehr als einen gut gemachten, aber auch etwas künstlerisch leer bleibendem Tribut.

Trotzdem lässt sich „Timewave Zero“ auch nicht absprechen, trotz bleierner Schwarzloch-Schwere, ein faszinierendes Stück Hintergrundrauschen geworden zu sein, wenn man sich drauf einlassen kann und das goutiert. Wie haltbar das im Langzeittest dann ist, kann von Planck-Zeiten bis hin zur unendlich ausgedehnten Rotverschiebung dann jeder Hörer für sich individuell beantworten. Ich persönlich hoffe auf eine Verquickung der Elemente Ambient und Metal im richtigen Maß beim nächsten regulären Album statt aufgewärmter Tribute an alte Zeiten, aber vielleicht trifft „Timewave Zero“ doch die richtige Resonanzfrequenz beim ein oder anderen Hörer. Reinhören also trotzdem angeraten.

08.03.2022
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