Camel - Mirage

Review

Nein, wir betreiben keine Schleichwerbung für Kippenkonzerne, auch wenn die britischen Progressive Rocker CAMEL durch das Design des Covers ihres Zweitwerkes „Mirage“ tatsächlich auf Schwierigkeiten mit dem gleichnamigen Zigarettenkonzern gestoßen sind – vor allem mit dessen US-amerikanischer Geschäftsstelle. Auf deren Druck hin – man drohte aus offensichtlichen Gründen mit einer rechtlichen Klage – entwarf das Label Decca Records ein anderes Cover für die Platte, um sie in den Staaten veröffentlichen zu können. Das Motiv war das seither immer wieder in Erscheinung tretende, Cartoon-artig stilisierte Dromedar.

Wenn sich Konzerne in die Musik-Promotion einmischen…

In Europa und im Rest der Welt blieb das Cover dagegen unverändert. Ein Grund dafür ist sicher der Deal gewesen, den der Bandmanager Geoff Jukes mit der europäischen Branche des Konzerns zwecks der gegenseitigen Promotion eingegangen ist. Zum einen erschienen Zigarettenpackungen mit dem Coverdesign sowie der Trackliste des Albums, zum anderen wurden bei Konzerten Gratisproben verteilt. Scheinbar steigerte sich der Konzern richtig in diese Geschichte hinein und wollte seinen Einfluss über die Band entsprechend erhöhen mit Songtiteln und sogar dem Design der Amps, welche die Bands bei Auftritten benutzte.

Das wurde der Band irgendwann zu bunt, sodass CAMEL [die Band, Anm. d. Red.] zum Gegenangriff überging. In Referenz auf den Vorschlag des Konzerns, unter anderem einen der Songs der Band vom Album „Mirage“ umzubenennen in „Twenty To The Pack“, warf Keyboarder Peter Bardens sarkastisch in den Raum, den Song lieber in „Twenty Sticks Of Cancer“ umzutaufen. Auf diese Weise kam es wie nicht anders zu erwarten zum Bruch zwischen Band und Konzern, weshalb die Band seither eigenständige Cover-Designs für ihre Platten verwendet hat.

„Mirage“ funktioniert losgelöst von seiner Hintergrundgeschichte

Das nur mal, um die durchaus interessante Hintergrundgeschichte hinter „Mirage“ anzureißen. Was macht eine solche Band aber musikalisch? Der progressive Rock der Briten findet zunächst einmal nicht vordergründig in der Spelunke statt. Eine rauchige Note wohnt „Mirage“ entgegen der Geschichte hinter dem Cover nicht inne. Stattdessen legen CAMEL hier wert auf Progressive Rock, der vor allem durch das Keyboard dominiert wird. Die Kompositionen sind bei weitem nicht so komplex ausgefallen als bei Genre- und Zeitgenossen wie früheren GENESIS oder KING CRIMSON.

Im Vergleich speziell zu letzteren wirkt „Mirage“ geradezu luftig und entspannt, jedoch nicht unaufdringlich. Die Songs sind schon offensiv genug geschrieben, um ausreichend auf sich aufmerksam zu machen, gehen aber leicht und elegant ins Ohr. Sie klingen fast ein bisschen wie Prog für den wenn auch etwas gehobeneren Pub. Es weist als Prog-Album natürlich die typischen Elemente des damaligen Progressive Rock auf wie eben vordergründige Keyboards, Querflöte und ein breiter gefächertes Songwriting, das den Rahmen des traditionellen Strophe-Refrain-Schemas gerne mal sprengt.

CAMEL stehen für einen eher entspannten Sound

Dennoch macht schon der Opener „Freefall“ klar, dass „Mirage“ eher leicht verdauliche Kost ist. Als mit Abstand eingängigster Song gehen die Hooks auf Anhieb ins Ohr und leuchtet die Struktur des Tracks direkt ein. Auch der Gesang von Bandchef Andy Latimer überzeugt und fügt sich in das vergleichsweise relaxte Gesamtbild der Platte ein. Selbst im etwas hektischeren Instrumentalpart des Tracks zieht die Intensität nicht zu sehr an, sondern lässt viel Luft zum Atmen und beschreibt zugleich die filigranen, atmosphärischen Melodien, für welche die Band bekannt ist.

Im instrumental gehaltenen „Supertwister“ geht es insgesamt schon etwas frickeliger, oder besser: wuseliger, aber nicht minder entspannt zur Sache. Auch das etwas nervösere Instrumental „Earthrise“ weist bei allem, was hier abgeht, diese markante Gelassenheit auf. Gewuselt wird weiterhin in „Nimrodel/The Procession/The White Rider“, das zudem einen der rockigeren Parts des Albums enthält. Der vielschichtige Track klingt ein bisschen wie ein Patchwork aus drei verschiedenen Ideen, die nicht direkt zu einer Suite, aber dennoch zu einem stimmig dahinfließenden Medley zusammengefügt worden sind.

Dagegen beendet die auch als solche bezeichnete „Lady Fantasy Suite“ das Album und bleibt dem Grundton der Platte treu. Schneidende Synthesizer scheinen zunächst einen hektischeren, geradezu bombastischen Rausschmeißer andeuten zu wollen, doch folgt dem ein rockender Part, der ein bisschen an einen gemütlichen Jam bei einem Kasten Bier und Kippen (Ha!) erinnert. Und trotz ihrer Vielschichtigkeit legt die Suite diese Vibes eigentlich auch nicht wirklich ab, was aber kein Problem ist. Der Track ist einfach durchweg angenehm anzuhören.

CAMEL – Ein angenehm zu hörendes Kleinod des britischen Prog

Und das lässt sich im Grunde zusammenfassend über das gesamte Album sagen: Es ist einfach durchweg angenehm anzuhören. Weder langweilt es, noch überfordert es. Der zurückgelehnte Sound, den CAMEL hier zelebrieren, lässt kaum erahnen, was für eine bizarre Hintergrundgeschichte hinter dem Cover steckt – wenn das Coverdesign nicht selbst schon in diese Richtung mutmaßen lässt. Man kann sich eine solche Aktion heutzutage natürlich auch vorstellen, gerade in Zeiten, in denen die Promotion bei manchen Bands gar wichtiger und aufwendiger scheint als das Produkt selbst.

Doch letzten Endes kann die Musik ausreichend für sich selbst sprechen. Und als Band, die unter anderem von Musikern wie Rikard Sjöblom (GUNGFLY, ex-BEARDFISH) als Einfluss zitiert wird, kann man sich dieses Album oder eines der folgenden (vorzugsweise „Moonmadness“ oder „The Snow Goose“) gerne mal als Referenz antun. Schaden tut’s nicht.

10.07.2019

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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