Crimson Moon - Oneironaut

Review

Zwölf Jahre hat das letzte CRIMSON MOON-Album „Under The Serpentine Spell“ bereits auf dem Buckel, danach erschienen lediglich noch eine EP von 2007 („The Serpent Beneath The Skin“) sowie eine 2012er-Split mit mehreren Bands (sowie ein bisschen Boxset-/Compilation-Neuverwertung). Aber nun gehörte das Projekt um Bandgründer und -kopf Scorpios Androctonus ja noch nie zu den Schnellveröffentlichern der Black-Metal-Szene (zwischen dem Debüt „To Embrace The Vampyric Blood“ und „Under The Serpentine Spell“ lagen auch immerhin neun Jahre), und so ist „Oneironaut“, das dritte Album der Band, im Dezember 2016 fast pünktlich erschienen. (Dass die Review erst jetzt kommt, liegt daran, dass wir nicht offiziell bemustert wurden und der Verfasser dieser Zeilen selbst auf das gute Stück hingewiesen werden musste. Wir bitten um Verzeihung für diesen Fauxpas.)

Mittlerweile lebt Scorpios Androctonus, gebürtiger US-Amerikaner, in Deutschland und hat CRIMSON MOON mit namhaften Musikern aus der deutschen Black-Metal-Szene zur vollständigen Band aufgebaut. Heuer sitzt nämlich Manuel „Vual“ Steitz (Ex-AGATHODAIMON, Ex-ANCIENT CEREMONY) an den Drumkesseln, NARVIK-Gitarrist Agreas bedient zusammen mit einem (unter diesem Namen) unbekannten Herrn namens Sabnoc die Sechssaitigen, während Scorpios an Gesang und Bass zu hören ist. In diesem Line-up gab es kürzlich nicht nur auf dem Speyer War Mass den ersten Auftritt der Band seit etlichen Jahren (und die erste deutsche Show überhaupt), sondern so entstand auch „Oneironaut“. Ob es der Zeit und Scorpios‘ Interessen geschuldet ist oder seinen neuen Mitmusikern, dass das Album nicht grundsätzlich, aber doch deutlich anders klingt als die frühen CRIMSON MOON-Werke, darüber kann hier nur spekuliert werden. Aber Fakt ist: „Oneironaut“ ist ein verdammt gutes Album, das sowohl Oldschool- und Melodic-Black-Metal-Fans als auch Fans der okkult-orthodoxen Schule entzücken wird.

CRIMSON MOON haben sich stilistisch weiterentwickelt

Denn „Oneironaut“ ähnelt weder dem noch recht klassischen Melodic Black Metal von „To Embrace The Vampyric Blood“, das eben so 1996 klingt, wie nur 1996er-Alben klingen können, noch erinnert es zu sehr an das hintergründig-ambiente „Under The Serpentine Spell“. Stattdessen klingen deutlicher als je zuvor die okkulten Elemente hindurch, der Sound ist sauberer und moderner als jener der ersten beiden Platten, dabei aber nicht zu poliert. Erinnerungen an ACHERONTAS (bei denen sich Scorpios Androctonos seit 2012 als Bassist und Keyboarder betätigt) kommen nicht von irgendwo, aber CRIMSON MOON klingen trotzdem anders. Diverser, abwechslungsreicher – und immerhin sind die Neunziger-Wurzeln der Band auch nicht komplett aus ihrem 2016er-Sound gewichen.

Ein extrem facettenreiches Album

Bevor CRIMSON MOON jedoch irgendwas von „Oneironaut“ und ihrer 2016er-Ausrichtung hören lassen, fängt das Album erstmal mit knapp 30 Sekunden Stille an, die schließlich mit „Gossamer Of Arachne“ in das dritte Album der Band überleitet. Im schleppenden, repetetiven Midtempo und mit mystisch-choralen Gesängen nimmt der orthodoxe Zug Fahrt auf, bevor CRIMSON MOON in schnellere, blastende Gefilde aufbrechen. Im weiteren Verlauf gesellen sich verspielte Leadgitarren und wie in Trance entfesselte Trommeln sowie orientalisch-esoterische Klänge dazu. Ein furioser, abwechslungsreicher Einstieg, der gleich zu Beginn die alte, melodische Seite der Band mit der neueren, klar orthodoxen Ausrichtung kombiniert.

„Molding Of A Spell“ hingegen kommt ohne Umschweife zur Sache, startet flott und direkt mit einem Song, der auch auf dem CRIMSON MOON-Debüt hätte stehen können – nur eben heute mit modernerem Sound. Insgesamt ist der Track direkt und eindringlich, kommt aber im Mittelteil mit einer Überraschung in Form von Klargesang und Akustikgitarren daher. „Seeker Of The 7th Gate“ ist anschließend ein weiteres Uptempostück, bietet aber mit bewusst disharmonischem, langsamerem Gitarrenspiel in der zweiten Hälfte Abwechslung. „Weaver Of The Web“ hingegen ist eher im Mid- und Downtempo angesiedelt, insgesamt ist der Song verspielt, strukturell betreten CRIMSON MOON fast progressive Gefilde. Erst gegen Ende nimmt der Song Fahrt auf, bevor er mit einem orientalischen Outro in den nächsten Song „Urilian Worm“ überleitet. Der stellt dann einen krassen Kontrast zum Vorgänger dar, startet pfeilschnell und mit kräftigen Death-Metal-Anleihen – der wohl brutalste Song auf „Oneironaut“, obwohl auch hier der Mittelteil eine ruhigere Überraschung beherbergt.

„Oneironaut“: Wenn vier Musiker in einem Song mehr zündende Ideen haben als andere Bands auf drei Alben

Höhepunkt von „Oneironaut“ ist jedoch der abschließende, knapp 20-minütige Titeltrack des Albums. War oben noch von „fast progressiv“ die Rede, kann man die Einschränkung in Bezug auf diesen Song streichen – zumindest wenn man „progressiv“ als „sich weiterentwickelnd“ übersetzt, was es ursprünglich mal geheißen haben soll. Nach einem weiteren, akustischen, orientalisch angehauchten Einstieg (bei diesen Zwischenspielen drängen sich übrigens ein ums andere Mal die Intermezzi von NECROS CHRISTOS als Vergleich auf – und das ist als absolutes Kompliment zu verstehen) steigen CRIMSON MOON schnell und beschwingt in den Song ein, bevor es in einen leicht kakophonisch anmutenden, mit choralen Gesängen angereicherten Midtempo-Part geht. Es folgen Blasts und eine hypermelodische Leadgitarre, und dann nochmal dieser aberwitzige, kultige, irgendwo chorale Klargesang.

Im weiteren Verlauf des Songs bieten CRIMSON MOON einen schweren Groove-Part, teilweise unterlegt von Akustikgitarren, und schließlich eine Zusammenführung des orientalischen Ambientes mit den reinen Black-Metal-Elementen des Albums. Der Titeltrack von „Oneironaut“ sprüht nur so vor unfassbarer Kreativität – und bisher wurde er nur bis zur Hälfte beschrieben. Und als wäre das nicht schon mehr Awesomeness in einem Song, als viele andere Bands auf einem kompletten Album unterbringen, darf im letzten Drittel des Songs dann noch ein besonderer Gast ran: Ralph Santolla spielt eines seiner Trademark-Soli zum Niederknien und mit Gänsehaut-Garantie, und leitet den Song in ein abermals akustisches, orientalisches Outro über.

Nachträgliches Jahreshighlight 2016! Unfassbar! Gänsehaut! Superlativ!

Zwei Absätze, um einen von sechs Songs zu beschreiben? Ja. „Oneironaut“ macht es notwendig. Jeder unterlassene Part wäre eine Schande. Schrieb ich die Tage noch in meiner Review zum neuen NIGHTBRINGER-Album „Terra Damnata“, ein besseres Orthodox-Black-Metal-Album in diesem Jahr wäre unwahrscheinlich (die kommende ACHERONTAS mal ausgenommen), so ist es ein Glücksfall für mich, dass CRIMSON MOON ihr Album bereits Ende 2016 veröffentlicht haben. Denn: Ja, „Oneironaut“ ist mindestens genauso gut. Betonung auf: „mindestens“. Eine Schande, dass keiner in der metal.de-Redaktion das Album bei Release auf dem Schirm gehabt hat – diese Platte gehört eigentlich nachträglich in die 2016er-Bestenlisten aufgenommen. Klingt überheblich? Möglich – aber es ist schlicht unfassbar, wie viel kreative Energie, wie viele Ideen, wie viele Gänsehautmomente CRIMSON MOON auf einem einzigen Album untergebracht haben. Nur jetzt bitte nicht wieder neun bis elf Jahre brauchen!

09.04.2017
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