Deafheaven - Ordinary Corrupt Human Love

Review

Wohl kaum eine Band ist in einschlägigen Szenekreisen so umstritten wie DEAFHEAVEN. Mit seinem 2013er-Werk „Sunbather“ hat sich das Quartett aus dem US-Bundesstaat Kalifornien seinerzeit zum Inbegriff dessen gemacht, was unter eingefleischten Traditionalisten gemeinhin – und meistens abschätzig – als „Hipster Black Metal“ abgetan wird. Seitdem sieht sich die Truppe stürmischen Jubelarien, aber auch wütenden Schimpftiraden und totaler Ablehnung ausgesetzt. Frontmann George Clarke und Kollegen wird letzteres nicht weiter kümmern – im Gegenteil. Denn der Aufschrei der Szenepolizei, welcher nun auch das aktuelle Werk „Ordinary Corrupt Human Love“ begleitet, bringt für den Vierer letztendlich vor allem eines mit sich: Aufmerksamkeit – und damit kostenlose PR.

Die ganze Aufregung ist – bei etwas nüchterner Betrachtung – dann noch schwerer nachzuvollziehen angesichts der Tatsache, dass DEAFHEAVEN erwiesenermaßen nicht die ersten waren, die „klassische“ Black-Metal-Elemente mit anderen Stilrichtungen verquirlt haben. Am besten beraten ist am Ende des Tages somit wohl derjenige, welcher die Musik des Quartetts zunächst einmal als das ansieht, was sie ist: Musik nämlich, die sich ganz und gar nicht dazu eignet, sie mit einem eindeutigen Etikett zu versehen. Das Problem ist natürlich: Dann gäbe es nichts mehr, worüber es zu streiten lohnt.

Folglich wird es wohl so kommen, wie es immer kommt. Natürlich auch, weil „Ordinary Corrupt Human Love“ wieder in dieselbe Kerbe schlägt – oder besser: rechts und links davon. Bedeutet: rasendes Gehämmer auf der einen, sanftes Geflecht auf der anderen Seite. Im Vergleich zum Vorgängerwerk kommt die vierte Platte der Kalifornier dabei mit einer etwas positiveren Grundatmosphäre daher, was einerseits an den bandtypischen, durigen Melodien liegt, die im Verlauf der Tracklist immer wieder prominent inszeniert werden, sowie vor allem an der Tatsache, dass die ruppigen, flotteren Parts gegenüber den feinfühligen Klängen noch deutlicher in der Unterzahl sind, als das auf den früheren Werken der Fall war.

Wählten DEAFHEAVEN so beispielsweise sowohl bei „Sunbather“ als auch beim Vorgänger „New Bermuda“ einen krachenden Auftakt, richtet sich das jüngste Werk in Form des siebenminütigen „You Without End“ zunächst einmal stetig, aber behutsam auf – getragene Pianoklänge, Sprachsamples und viel Delay inklusive. Das wilde Gekreische George Clarkes, welches die Schwelgerei hin und wieder durchbricht, ist dabei eher ein wütender Kampf im Hintergrund. Wäre das übrigens nicht so, wäre es tatsächlich auch ein Problem. Denn wirklich variabel ist das nicht, was Clarke (auch im gesamten Albumverlauf) gesangstechnisch da anbietet. Dafür aber wohl auf textlicher Ebene – wenngleich die verschachtelten, abstrakten Zeilen im Booklet nicht wirklich einen Zugang anbieten. Who knows.

Es folgt mit „Honeycomb“ das erste intensive Aufbäumen der Platte, und nach stampfendem Beginn transportiert der Elfminüter dann tatsächlich auch erstmals eine Art episches Schwarzmetall-Feeling, das sich allerdings – und allem Krakele zum Trotz – gegen Ende in einer markanten und fast schon freundlichen Melodie verliert. Damit ist gleichzeitig das Spektrum des weiteren Verlaufs weitestgehend abgesteckt: Während das überlange (letztlich knacken vier von sieben Songs die Zehn-Minuten-Marke) „Glint“ behutsam seinem rasenden Höhepunkt entgegenträumt und „Canary Yellow“ von der Shoegaze-Schnulze zum vertrackten Hochgeschwindigkeitsungetüm mutiert, fungieren das ruhige, von Chorgesängen durchzogene „Near“ sowie das balladeske „Night People“ (mit gesanglicher Unterstützung von CHELSEA WOLFE und Multiinstrumentalist Ben Chisholm) als Atempausen. Zwischendurch schleichen sich aber auch einige Hänger ein: Beim Auftakt des Schlusstracks „Worthless Animal“ beispielsweise wirkt die stoische Schreierei Clarkes schlichtweg Fehl am Platz, und auch Drummer Daniel Tracy hat hin und wieder seine liebe Mühe, in den langsameren, differenzierten Abschnitten punktgenau zu agieren. So groovt nicht alles, was grooven soll – bei einer Liveaufnahme letztlich aber auch kein großes Wunder. Stichwort Aufnahme: Die Abmischung, die erneut Jack Shirley übernahm, ist zweifelsfrei gelungen, das gesamte Instrumentarium tönt natürlich, präsent und besitzt die nötigen Spitzen.

Ist „Ordinary Corrupt Human Love“ – und zwar jenseits aller Vorbehalte – am Ende nun ein gutes Album? Ja, ist es. Nicht unbedingt, weil es von der ersten bis zur letzten Minute fesselt. Nicht, weil es die ein, zwei herausragenden Songs hat. Sondern vor allem, weil es über weite Strecken und auf ganz eigentümliche Weise den klanglichen Spagat zwischen Gut und Böse bewerkstelligt und dabei stets spannend bleibt. Mal in sperriger Manier, dann leise säuselnd, dann forsch und direkt. Der Rest ist – zum Glück – Geschmackssache.

16.08.2018
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