Dødheimsgard - Black Medium Current

Review

Beim Veröffentlichungsrhyhtmus der norwegischen Black-Metal-Eklektiker DØDHEIMSGARD hat sich seit ihrem gern als Referenzwerk bezeichnetem „666 International“ eine Konstante dergestalt eingestellt, dass die Herren um Yusaf Parvez seither nur alle acht Jahre ein Album veröffentlichen. Dabei befindet sich die Band klangtechnisch aber praktisch stetig im Wandel. Der letzte Brocken, „A Umbra Omega“, wirbelte mit urtümlichen Schwarzwurzel-Attacken, bizarren, Jazz-infundierten Melodien und ruhigeren Momenten umher, stopfte dabei gefühlt den Gehalt dessen, was andere Genre-Genossen nicht mal gänzlich in ihrer gesamten Diskografie verwursten, in ein einzelnes Album rein und formte etwas, was man böszüngig als Crossover-Black Metal, gutzüngig als Avantgarde Black Metal, in jedem Falle als reichlich komplex und eklektisch bezeichnen konnte.

Die norwegischen Black-Metal-Eklektiker DØDHEIMSGARD lassen mehr Ordnung einkehren

Nun, die Norweger haben es, Überraschung: acht Jahre nach „A Umbra Omega“, wieder getan. „Black Medium Current“ heißt der neue Streich, den Parvez nebst Konspirateuren auf die Welt loslassen. Und es hat sich ja schon als eine Art Alleinstellungsmerkmal erwiesen, aber auch „Black Medium Current“ sondert sich wiederum von seinem direkten Vorgänger ab. Statt die schwarzmetallische Rohheit zu nehmen und sie in eine gefühlte Zirkusgala einzubetten, ist es nun die atmosphärische Schwärze, die mit allerhand fantasievollen und/oder spacigen Synths unterfüttert wird. Dass die Hände hinter dieser Band geschickt im Verweben von vermeintlich gegensätzlichen Klängen sind, wurde ja nun bereits mehr als erschöpfend lobend erwähnt. Insofern ergibt es natürlich Sinn, dass sich der Gesamtcharakter von „Black Medium Current“ dem atmosphärischen Charakter anpasst.

Will sagen: DØDHEIMSGARD agieren anno 2023 richtig melancholisch und gar nicht mehr so enthemmt wie vor acht Jahren. Industrial-Elemente sind bei Parvez‘ Truppe ohnehin Gang und Gäbe, hinzu kommt ein Hang zu spacigen Synth-Texturen. Was den Black-Metal-Anteil betrifft, so rangiert dieser in dem, was man im Kontext der Norweger mal ganz vorsichtig als konventionellen Atmospheric Black Metal bezeichnen möchte, mit kleineren Ideen von EMPEROR/IHSAHN und den „Vertebrae“-Ära-ENSLAVED eingestreut, wobei der Beginn von „Det Tomme Kalde Morke“ tatsächlich noch mal zum Furor des Vorgängers zurückkehrt. Doch Eklektik steht auch dieses Mal wieder auf dem Programm, „Interstellar Nexus“ geht beispielsweise zwischenzeitlich eine Symbiose mit Ansätzen indischer Volksmusik ein, wenn der Schwarzmetall nicht gerade spacig vor sich hin groovt. Es ist bizarr. Es ist wild. Es ist wunderbar.

„Black Medium Current“ glänzt durch packende Atmosphäre und Gänsehautmomente

Der geschätzte Vorredner erwähnte auf dem Vorgänger die Übergänge zwischen den einzelnen Passagen, unsereins würde eher von abrupten Hakenschlägen sprechen. Diese haben „A Umbra Omega“ seinerzeit aber eben auch so herrlich unberechenbar gemacht und ihm etwas besonders Bösartiges verliehen. Dagegen gibt sich „Black Medium Current“ deutlich geschmeidiger und glänzt durch elegante Übergänge. Gerade bei den beiden eröffnenden Stücken „Et Smelter“ sowie „Tankenspinnerens Smerte“ kann man kaum von der Hyperaktivität eines „Aphelion Void“ sprechen. Die Herren klingen anno 2023 deutlich gediegener und lassen dadurch einerseits richtig schöne, elegische Gesangsharmonien wie gegen Ende von „Tankespinnerens Smerte“ zu, erheben sich aber auch melodisch zu höheren Sphären und sorgen so für massive Gänsehautmomente.

Es gibt gar nicht mal so viel Exzentrik zu bewundern. Die Jazz-Einlagen beispielsweise lassen vergeblich auf sich warten, lediglich die operettenartigen Gesangseinlagen im abschließenden „Requiem Aeternum“ lassen in Sachen Exzentrik aufhorchen. Mit das ausgefallendste, was einem auf dem Album begegnet, ist das Ende von „Et Smelter“, bestehend aus einem richtig peppigen Hard-Rock-Solo und einem Groove mit poppigen Claps und souligen Backing Vocals. Noch eine interessante Eigenart von „Black Medium Current“, die bereits mehrfach in der hiesigen Ausführung Anklang gefunden haben mag: Der Anteil an klaren Gesangseinlagen hat deutlich zugenommen, sodass man dem Sound dank seiner Spacigkeit auch gewisse ARCTURUS-Ansätze unterstellen könnte. Man setzt anno 2023 also deutlich mehr auf Stimmung und Stimmigkeit, was zu einem weitaus zugänglicheren Hörerlebnis führt.

Dabei setzen DØDHEIMSGARD offenbar auf mehr Zugänglichkeit …

Der Inbegriff dieser Charakteristika dürfte der majestätische Stampfer „Halow“ sein, ein Song, bei dem DØDHEIMSGARD eine musikalische Idee für die Dauer eines neunminütigen Stückes erschöpfend erforschen und durchentwickeln. Besonders Zucker sind hier diese großartigen, Chef’s Kiss-würdigen Übergänge, einerseits in ihrer harmonischen Seidigkeit, aber auch hinsichtlich der subtilen aber spürbaren Variationen in Intensität. Hier kommen die oben erwähnten „Vertebrae“-ENSLAVED teilweise besonders markant zum Vorschein. Selbst zum Ende hin, wenn die Rhythmik anzieht und etwas unregelmäßiger wird, bleiben die Motive und Harmonien des Tracks wiedererkennbar.

Dank dieses dramaturgisch deutlich nachvollziehbareren Songwritings – unsereins möchte den großartigen Vorgänger damit in keinster Weise abwerten – möchte man DØDHEIMSGARD fast ein bisschen das „Avantgarde“-Präfix ab- und dafür das „Progressive“-Präfix anerkennen. So richtig abgedreht und desorientierend klingen sie nämlich heuer gar nicht mehr, sie lassen vielmehr einen sensationellen Fluss in ihre Musik einkehren. Das führt auch dazu, dass sie einzelnen Phrasen DEUTLICH mehr Fußlauf zur Entfaltung lassen, wodurch sich „Black Medium Current“ im ersten Moment fast ein bisschen „langsam“ anfühlt – ich erwähnte weiter oben das böse Wort „konventionell“. Das bedeutet auf Empfängerseite aber vor allem, dass man „Black Medium Current“ Zeit einräumen und in Ruhe auf sich wirken lassen sollte.

… und schaffen somit einen heißen ROTY-Anwärter

Und dann dürfte man zu der fast schon ernüchternden Erkenntnis gelangen, dass es DØDHEIMSGARD irgendwie unmöglich scheint, ein Album zu veröffentlichen, das nicht mindestens großartig ist. Mit einem derartigen Arbeitsrhythmus, bei dem man gerne hinein romantisiert, dass jede einzelne Idee genauso lange reift, wie sie eben braucht, wundert das auch nicht weiter. Parvez und Mitstreiter schaffen mit „Black Medium Current“ jedenfalls ein atmosphärisches, kreatives, spannendes und progressives Black-Metal-Album, bei dem man selbst nach dem zehnten Durchlauf in Folge noch irgendwelche neue Texturen heraushört. Dass man sich anno 2023 zugänglicher als zuletzt gibt, entschärft hiermit auch sämtliche Ausreden, sich nicht mit den Norwegern zu befassen.

13.04.2023

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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