Eclipsus - Yūrei

Review

Der Name „Aokigahara“ mag den meisten Anhängern des depressiven Black Metals mit Sicherheit ein Begriff sein, da die österreichischen Genre-Platzhirsche von HARAKIRI FOR THE SKY ihren Album-Klassiker von 2014 danach benannt haben. Was sich genau dahinter verbirgt, wissen vermutlich nur die wenigsten. Aokigahara (auch Meer aus Bäumen genannt) ist ein großes, dicht bewaldetes Naturschutzgebiet in der Nähe des berühmten Berges Fuji. Der Wald ist zum einen durch seine große Artenvielfalt und -reichtum bekannt. Er gelangt aber auch immer wieder mit Schreckensmeldungen in die Schlagzeilen.

Denn Aokigahara ist auch ein beliebtes Ziel für suizidgefährdete Menschen. Mindestens seit den 1950er Jahren gehen dort immer wieder Menschen hin, um sich das Leben zu nehmen und es ist mittlerweile schon zur Folklore geworden, dass deren Geister diesen Ort heimsuchen. Die genauen Hintergründe, warum es die Menschen immer wieder dorthin treibt, sind bis heute nicht geklärt. Doch nicht nur in Japan hat der Wald mediales Interesse hervorgerufen. Auch die westlichen Medien (u.a. der Horrorfilm „The Forest“) greifen dieses Thema auf.

Nach HARAKIRI FOR THE SKY und den norwegischen SHINING („Mot Aokigahara“ von „X: Varg Utan Flock„) versucht sich nun das amerikanische Ein-Mann-Projekt ECLIPSUS (hinter dem Coughin Wraught steckt) an der musikalischen Aufarbeitung dieses doch recht schweren Themas. Das Konzeptalbum „Yūrei“ versucht den inneren Prozess einer Person nachzuzeichnen, die sich ihren Weg durch diesen Wald wagt, mit dem Ziel sich dort das eigene Leben nehmen zu wollen. Dabei zeichnen ECLIPSUS den Weg vom Betreten des Waldes bis hin zum eigentlichen Suizid nach.

„Yūrei“ – Von der Verlorenheit der Existenz

Wie viele Depressive-Black-Metal-Alben beginnt auch „Yūrei“ zunächst mit ruhigen Klängen. Die namenlose Person scheint Aokigahara noch an einem lichten Ende zu betreten, gerät aber schnell in die tiefen, dunklen Wirren des belaubten Labyrinths. Wie auch seine eigene (gefühlte) Existenz scheint auch die physische nun verloren. Verzerrte Gitarrenwände brechen sich in das Gehör hinter denen – nur schwach hörbar – ein fast stummer Schrei ertönt. Wie auch die Person scheint auch der Hörer unmittelbar in dem dunklen Geflecht des Waldes gefangen zu sein.

Es gibt augenscheinlich kein Zurück mehr und so ist die Person – einem Automatismus gleich – gezwungen weiter voranzuschreiten. Immer tiefer hinein in die eigene Ausweglosigkeit. Ein kurzes Innehalten in der Mitte von „Desperate, Aokigahara“ lässt noch kurze Hoffnung auf eine Bewusstseinsänderung zu. Doch der Entschluss ist gefasst, die eigene Existenz vollends aufzugeben. Und so treibt es die Person auf „Mourning, Aokigahara“ immer tiefer hinein in den Wald, getrieben von der eigenen Qual und der Hoffnung auf Erlösung. Nach langem Durchstreifen des Waldes erreichen Person und Hörer den Höhepunkt der Wanderung: Das Portal für die endgültige Erlösung. Wie der Song „Desperate, Aokigahara“ zu vermitteln versucht, scheinen sich die unterschiedlichsten Emotionen in der Person Bahn zu brechen, bis dann ein endgültiger Beschluss gefasst wird.

ECLIPSUS vertonen das Ende des Leidens

Inenrhalb des Songs „Desperate, Aokigahara“ kommt es zu einer erstaunlichen Wendung der vermittelten Emotion. Nach einem Realisieren und Verarbeiten all der die Person plagenden Gedankengänge scheint sie letztendlich den Beschluss gefasst zu haben, sich selbst von diesen zu befreien. Die Melodie bricht hier auf und aus chaotisch wirkendem Black Metal wird etwas hoffnungsschwangeres, fast schon Fröhliches. Wie auch die meisten anderen Menschen dort scheint sich auch die Person an einem der Bäume zu erhängen. „Unending, Aokigahara“ greift die Leichtigkeit weiter auf – einem Blatt im Wind gleich hängt sie an dem Baum, als das erschwerende Leben aus ihrem Körper weicht. Doch die Hoffnung auf Erlösung tritt nicht ein. Wie auch schon dutzende Menschen zuvor, ist auch ihr Geist nicht frei. Das Meer aus Bäumen verhindert, dass die Seele befreit sein kann und so muss sie auf Ewig durch die dicht stehenden Bäume wandern.

Von Ernsthaftigkeit und Sinn

Das Konzept von „Yūrei“ scheint in erster Linie eine reine Fiktion zu sein und sich nur auf die Faszination dieses auch in den Medien reißerisch dargestellten Themas zu beziehen. Der Hintergrund ist doch ernster und bedarf einer gewissen Einordnung. Es geht hier um nichts anderes als den Drang, sich das eigene Leben zu nehmen – erzählt aus der Sicht einer Person, die dieses aktiv vorhat. Anders, als es vielleicht vermittelt werden sollte, gibt es für die hier handelnde Person kein gutes Ende. Der Beschluss wird in die Tat umgesetzt und dieser musikalisch positiv aufgegriffen. Der Tod ist hier kein schreckliches Drama, sondern die pure Erlösung. Was man nun als reine Fiktion des Künstlers begreifen mag, ist für viele (junge) Menschen leider immer wieder Realität. Wir distanzieren uns damit von dem vermittelten Ende und sagen Euch: Wenn ihr glaubt, in so einer Situation gefangen zu sein, ergreift bitte Hilfe und kontaktiert die kostenlose Telefon-Seelsorge (Tel.: 0800 1110111).

Text: Tim Otterbeck

24.03.2021
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