Faith No More - The Real Thing

Review

1988 ereignete sich wohl der größte Einschnitt innerhalb des Bandgefüges von FAITH NO MORE. Chuck Mosley musste die Band aufgrund seiner Drogenprobleme verlassen und wurde durch Mike Patton ersetzt, der zu dem Zeitpunkt Mitglied der experimentellen Funk-Band MR. BUNGLE war. Mit Patton sollten FAITH NO MORE später ihren ikonischen Sound entwickeln. Doch die Entwicklung hin zu einer der kreativsten Crossover-Bands geschah nicht über Nacht, sodass vor ihrem Klassiker „Angel Dust“ noch das hier vorliegende Album „The Real Thing“ erschienen ist.

Als FAITH NO MORE und Mike Patton zusammenfanden

Und der Platte merkt man wirklich an, dass sie aus dieser Übergangsphase heraus entstanden ist. Sie enthält noch Elemente aus der Prä-Patton-Ära und erinnert damit klanglich noch etwas an „Introduce Yourself“. Dies macht vor allem die stark vom Funk Rock geprägten Rhythmen aus, von denen Songs wie „Epic“ und „The Morning After“ leben. Diese Callbacks finden sich auch im Rest des Albums wieder, doch wie angedeutet begann die Band sich hier, merklich zu entwickeln. So ging das Quintett hier deutlich abwechslungsreicher und forscher zu Werke als noch zuvor.

Zwar blieben FAITH NO MORE noch vergleichsweise auf dem Boden der Tatsachen verhaftet, besonders im Vergleich zu späteren Alben wie „King For A Day – Fool For A Lifetime“. Doch sind die Songs von „The Real Thing“ schon deutlich offensiver ausgefallen und zeigen eine befreit aufspielende Band. Das geht direkt mit dem ersten Gassenhauer „From Out Of Nowhere“ los, der den Hörer auf dem Album begrüßt und diese Veränderung ziemlich gut einfängt. Die alten FAITH NO MORE scheinen immer noch ein bisschen durch, gerade durch die markante Rhythmik im Refrain und dem großzügigen aber nicht übereifrigen Einsatz von Keyboards. Doch der Sound wirkt ungezwungener, entfesselter – und auch metallischer.

„The Real Thing“ zeigt, was in der Band steckt

Einer der Hauptfaktoren ist hierbei natürlich der Gesang von Patton, der zwar nicht die Rohheit von Mosley in sich trägt, aber dafür über deutlich mehr Stimmgewalt und Flexibilität verfügt. Und das macht sich eben sofort bemerkbar, eineseits durch besagten Opener, der fast ein bisschen klassischen US-Metal mitschwingen lässt. Andererseits verschwimmen die stilistischen Grenzen der Platte im weiteren Verlauf, wobei Patton einen sensationellen Job darin macht, um gesangstechnisch mitzuhalten. Am populärsten kommt dies natürlich auf dem Überhit „Epic“ zum Tragen, das den klassischen Crossover-Sound zwischen Rap und Rock/Metal bedient hin zum Punkt, dass Patton sich von Anthony Kiedis Plagiatismus vorwerfen lassen musste.

Insofern wundert es nicht, dass die Band hier, aber auch auf „Falling To Pieces“ an eine metallische Variante der RED HOT CHILLI PEPPERS, doch gehen FAITH NO MORE dann doch etwas mehr über die stilistischen Grenzen hinaus. Und von dieser Art des Rap sollte sich Patton auf den folgenden Alben freischwimmen, doch bei „The Real Thing“ passt es einfach wie Faust auf Auge. Man merkt dieser Platte aber schon an, dass Crossover für die Band mehr als nur die bekannte Kreuzung besagter Genres bedeutet. Und so offenbaren sich in der Folge auch Elemente unter anderem aus Hardcore und Heavy Metal.

Der Weg zu den klassischen FAITH NO MORE

Hieraus ergeben sich weitere memorable Songs, die zu den großen Klassikern der Band mutieren sollten. „Surprise! You’re Dead“ ist der wohl härteste und roheste Song der Platte, den die Band durch die Kreuzung von rabiaten Metal-Riffs mit den funkigen Grooves zu einem wahren Nackenbrecher macht. „Zombie Eaters“ und der Titeltrack gehen dann in eine deutlich atmosphärischere Richtung, wobei beide einen gewissen Sinn von Epik inne haben. „Zombie Eaters“ erreicht das durch seinen dramaturgischen Aufbau, der Titeltrack dagegen durch seine überlebensgroß anmutende Natur.

Und es ist wirklich erstaunlich, wie sich hiernach der locker und leichtfüßig groovende Rocker „Underwater Love“ anschmiegt, was nur von dem großartigen Fluss der Platte zeugt. „The Morning After“ liefert musikalisch dann den wohl direktesten Referenzpunkt zum Vorgänger, wobei der Track deutlich lockerer und Pattons Gesang deutlich expressiver herüberkommen. Der Refrain mutet zudem größer und druckvoller an, trifft aber einen vergleichbaren Nerv wie etwa ein „Faster Disco“ oder ein „Chinese Arithmetic“. Das liegt mitunter daran, dass „The Morning After“ einer der ersten Songs gewesen ist, die unmittelbar nach „Introduce Yourself“ entstanden sind.

Der Endspurt beginnt mit dem instrumentalen „Woodpeckers From Mars“, in dem sich FAITH NO MORE wieder von ihrer raueren Seite zeigen. Ganz im Gegensatz dazu kommt der Rausschmeißer „Edge Of The World“ sehr smooth daher. Und dazwischen tummelt sich mit „War Pigs“ ein hervorragendes BLACK SABBATH-Cover, das die Band vermutlich auch mit dem Hintergedanken hier platziert hat, etwas mehr an die Metal-Szene heranzukommen.

Kaum Abnutzungserscheinungen

„The Real Thing“ stellt mit „Angel Dust“ das Gespann der großen Bandklassiker dar und katapultierte die Band auf die große Bildfläche. Und bei der Qualität der Songs wundert das auch nicht weiter, denn hier liefert die Band praktisch Hit um Hit ab. Für mich bleibt „The Real Thing“ von beiden Platten die bessere, da sich das Album einfach flüssiger am Stück hören lässt, mag es auch noch nicht den experimentellen Geist seines Nachfolgers inne haben. Und der RED HOT CHILI PEPPERS-Vergleich liegt teilweise dann doch auf den Lippen. Trotzdem macht gerade diese Bodenhaftung den Charme des Albums aus. Es ist einfach ein Klassiker, den man sich immer und immer wieder reinschrauben kann und der im Laufe der Zeit hervorragend gealtert ist.

13.12.2018

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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