Frei.Wild - Gegengift

Review

Während von den aufgelösten ONKELZ zuletzt nur noch im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Ex-BÖHSE ONKELZ-Sänger Kevin Russell zu hören war – Russell wurde zu zwei Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt, weil er am Silvesterabend 2009 unter Drogeneinfluss mit Tempo 230 einen schweren Unfall verursacht haben soll, bei dem zwei Anfang Zwanzigjährige lebensgefährlich verletzt worden sind – und seine ehemaligen Mitstreiter offiziell Abstand nahmen („Der Kevin, der dieser Tage auf der Anklagebank sitzt, ist nicht mehr der Kevin, mit dem wir gemeinsam all die Jahre durch dick und dünn gegangen sind.“), sind die Südtiroler FREI.WILD unermüdlich dabei ihren Bekanntheitsgrad zu steigern: Ihr letztjähriges Album „Hart Am Wind“ erreichte immerhin Platz 15 der deutschen Charts und die gleichnamige Tour war hervorragend besucht. Zuspruch erhielten FREI.WILD auch auf allen wichtigen Sommer-Festivals. Ob auf dem Summer Breeze oder dem Wacken Open Air, FREI.WILD sind nach dem Ableben der ONKELZ die Nummer 1 im Deutschrock-Segment – eine Tatsache, die nicht jedem schmecken wird, aber auch nicht einfach wegdiskutiert oder ignoriert werden kann, wie es die Medien immer wieder gegenüber den ONKELZ praktizierten.

Ähnlich wie die BÖHSEN ONKELZ ihr 1998 erschienenes Album „Viva Los Tioz“, das sich kurz nach Veröffentlichung zum ersten Nummer-1-Album der Band entwickelte, einläuteten („Hat man euch nicht nicht vor uns gewarnt? Habt ihr euch nie gefragt wer wir sind und was wir tun? Alles ist wahr, wir sind wieder da!“), legen auch FREI.WILD los: „Wir sind wieder da. Mit neuem Stoff nur härter. Alles klar. Alles klar. Unser Traum wird wahr.“

„Gegengift“ geizt erneut nicht mit pathetischen Songs, die jedem ONKELZ-Hasser einmal mehr sauer aufstossen und jedem Freund dieser Musikrichtung den Sabber in die Mundwinkel treiben wird. Natürlich verspricht die Band weiterhin ihrem Weg treu zu bleiben und sich nicht von Neidern und Lügnern verbiegen zu lassen – deutliche Worte finden FREI.WILD mehr als einmal. Aber genauso deutlich muss ich festhalten, dass es die Jungs diesmal ein wenig übertreiben. Will denn jemand der Band ernsthaft an die Karre pissen? Das riecht für mich leider etwas zu sehr nach ONKELZ-Image-Imitat, den bösen Buben, der immer zu unrecht vorschnell verurteilt wird, in die Köpfe der Zuhörer einzupflanzen. Obwohl sich durchaus einige Parallelen zu den ONKELZ finden lassen, schmeckt dieses Getue manchmal doch nur nach Show. Und genau das nervt.

Nervig finde ich aber nicht nur das häufige Gejammere, sondern auch die Oi-Einlagen mit Songs wie „Die Gedanken Sind Frei“ und „Weil Du Mich Verarscht Hast“. Zwar sind die Texte zu diesen Songs in gewisser Weise charmant und nachvollziehbar, aber die Deutschrock-Attitüde leidet, denn ich will ganz ehrlich gesagt dreckig-ungezügelte Up-Tempo-Nummern mit geilen Mitsingrefrains, aber keine Pogo-Orgie, verdammt nochmal! So bleibt am Ende letztendlich doch noch eine Überraschung: „Nicht Dein Tag“ ist eine wundervolle Ballade mit Mutmach-Parole, vorgetragen von Piano, Streichern und gefühlvollem Klargesang. Toll!

„Gegengift“ ist ein gutes Album, auf dem Abwechslung ganz groß geschrieben wird, aber aufgrund einiger mittelmäßiger Songs wird die Qualität des Vorgängers diesmal nicht ganz erreicht. Wer von dieser Musik einfach nicht genug bekommt, kann natürlich bedenkenlos zugreifen, aber wer es etwas subtiler mag, vertraut lieber auf den W und damit auf einen Teil des Originals, oder belässt es gleich bei den ONKELZ, denn ein Teil ihrer Diskographie (z.B.: „E.I.N.S.“, „Viva Los Tioz“, „Dopamin“) ist und bleibt zeitlos, egal was passiert ist und was noch passieren mag.

16.10.2010
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