Grabnebelfürsten - Schwarz Gegen Weiß

Review

Nach dem mittlerweile bestimmt siebten Hördurchgang fällt mir bei den ersten Takten des wunderbar elegischen Klavierstücks „Mein entgleister Körper“, das das dritte GRABNEBELFÜRSTEN-Album eröffnet, nur noch ein Wort ein: sensationell! Das ganze Album ist im Grunde sensationell, auf seine ganz eigene Art und Weise. Es gibt in Deutschland keine mir bekannte Band, die so ausufernd gewaltige und durchdachte Texte hat und bei der die Musik tatsächlich zur Unterstützung des Sängers beiträgt und nicht andersherum. Als latenter, aber hinkender Vergleich würde nur noch NOCTE OBDUCTA taugen, die aber insichgekehrter sind. Die GRABNEBELFÜRSTEN sind engagiert, offensiv und avantgardistisch. Auch wenn ich kaum eine Gestalt des deutschen Theaters unsympathischer finde: diese Band ist das musikalische Gegenstück zu Bertolt Brecht (man höre dazu auch bitte das Outro des unglaublichen „Der Teufel“, Angelpunkt des Albums ). Epischer, verstörender kann man heutzutage als Band schwerlich klingen. Mit dieser Eigenschaft überschreitet die Truppe, bewusst oder unbewusst, bei weitem die Grenzen des Black Metal, in denen sie einmal begonnen hat, Musik zu machen. Musikalisch ist der größte Teil des einstündigen Albums zwar noch immer mehr oder minder schwarzer Metal, oft in aberwitziger Geschwindigkeit, aber viel mehr als auf den beiden vorigen Alben spielen auch künstlerisch weitaus wertvollere Parts eine tragende Rolle: Akustikgitarren, angezerrte Rockakkorde, saubere Soli und genial eingebrachte, völlig unkonventionelle Synthesizerklangfarben (nochmals „Der Teufel“) sind geschickt eingebaut in Stücke, die trotz Laufzeiten von teils mehr als 10 Minuten keine Längen und Durchhänger aufweisen. Die Kreativität der Band ist bestechend, alle Stücke haben Wiedererkennungswert; spätestens mit diesem Album kann man den Fürsten einen unverkennbar eigenen Stil attestieren. Niemand spielt so schräge Parts, so kaputte Harmonien mit so viel Hingabe und solcher Selbstverständlichkeit. Wenn zu diesen instrumentalen Attributen dann noch die nicht mehr zu erfassende Stimmgewalt des Sängers hinzukommt (ja… ein Mann führt mit sich selbst Monologe, Dialoge, Trialoge… die extravagante, theatralische Ader Sturm Deiner Winters ist, denke ich, weltweit einzigartig), ist es an der Zeit anzuerkennen, dass diese Band mit „Schwarz gegen Weiß“ eine Pionierleistung erbracht hat: lyrischer und gesanglicher Seelenstrip bis auf’s Blut – mit erschreckender Allgemeingültigkeit – gepaart mit endlich erreichter musikalischer Meisterschaft und Innovation. Wo bitte haben wir das das letzte Mal im Metalbereich erlebt? Ich noch gar nicht. Schon gar nicht so formvollendet produziert. Black Metal ist eine Sache, GRABNEBELFÜRSTEN eine andere, und diese Feststellung ist der Band sicherlich mehr als recht. Ab jetzt können sich die Herren eigentlich nur noch selbst schlagen. Meine Gratulation.

22.07.2005
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