Hanna Wild - Grau ist keine Farbe

Review

Düsseldorf im Jahr 2005. Alex wohnt mit ihrer besten Freundin in einer WG und verbringt ihr Leben zwischen Kunsthochschule und Heavy Metal – bis ihre Mutter einen Unfall hat und Alex zurück nach Hause ziehen muss, um sich um sie zu kümmern. 15 Jahre später hat Alex das wilde Leben hinter sich gelassen und ist mit Partner und Hund im Alltagstrott angekommen als ein neuer Schicksalsschlag sie dazu bringt, ihr Leben noch einmal zu überdenken.

Darum geht es in HANNA WILDs Debütroman “Grau ist keine Farbe“, das die ehemalige Journalistin über Books On Demand selbst publiziert hat. Bis auf die Schriftart, die einer oldschool Heavy Metal-Band zur Ehre gereichen würde und einer kleinen, fast versteckten Lederjacke auf der Rückseite des Buches, ist dem Cover kaum anzusehen, dass hier vor allem die Liebe zur Musik im Vordergrund steht. Das wird dafür im Text schnell deutlich.

“Grau ist keine Farbe“ überzeugt mit Heavy Metal-Nostalgie

Im ersten Teil des Buchs, der im Jahr 2005 spielt, lernen wir erst einmal Alex, ihre beste Freundin Bo und weitere WG-Mitglieder und Kommilitonen kennen. In verschiedenen, teilweise sehr kurzen und etwas stückigen Abschnitten, taucht der Leser in das Leben der beiden Freundinnen ein. Bo bekommt dabei sogar einige „eigene“ Kapitel, die zwar nicht auf die Geschichte unserer Protagonistin Alex einzahlen und so teilweise ein bisschen willkürlich wirken, die aber vor allem im ersten Teil Spannung und Tempo ins Buch bringen.

Die vielen anderen Charaktere, die Alex trifft, bekommen zwar alle Namen und individuelle Frisurbeschreibungen, auch wenn das restliche Aussehen oftmals unbeachtet bleibt, lassen aufgrund der Kürze ihrer Auftritte aber teilweise an Charaktertiefe und Individualität vermissen. Viele der Charaktere, die der Leser im ersten Teil des Buches kennenlernt, tauchen im 15 Jahre später spielenden Teil 2 nicht oder nur nebensächlich wieder auf. Sich alle Namen zu merken, ist also kein absolutes Muss.

Womit der erste Teil von “Grau ist keine Farbe“ allerdings glänzen kann, ist die Beschreibung von Musik, Idolen und Lebensgefühl der Heavy Metal Szene, die Einfluss auf jeden Aspekt des Lebens unserer Protagonistin haben, sei es Kunst oder Freizeit. Hier ist die Leidenschaft von Alex so stark spürbar, dass ihre im Vergleich kaum beschriebene Leidenschaft zur Kunst daneben etwas farblos wirkt und ihre Verzweiflung darüber, durch den Unfall ihrer Mutter ihre Kreativität einschränken zu müssen, dadurch ein kleines bisschen schwerer nachfühlbar ist.

Spannung und Tempo nehmen im Laufe des Buchs zu

Fast forward ins Jahr 2020. Das wilde Leben hat Alex mittlerweile hinter sich gelassen und verbringt ihren Alltag mit Hund und Partner. HANNA WILD malt mit ihrer leicht und flüssig lesbaren Schreibart ein Bild von einer Frau, die im Alltagstrott feststeckt und ihren Job hasst und zieht dafür unterhaltsame, aber nicht zu überladene Stereotypen heran. Dafür lässt sie sich sogar teilweise dazu hinreißen, nicht nur die Frisur einer Person, sondern auch ihren Kleidungsstil zu beschreiben und erntet damit sicher einige Schmunzler.

Als ein erneuter Schicksalsschlag sie trifft werden auch Bo und Alex‘ Mutter endlich wieder in die Geschichte integriert. Dass Alex im Laufe der vergangenen 15 Jahre nicht darüber hinweggekommen ist, dass sie zugunsten ihrer Mutter auf eine unsichere Karriere als Künstlerin verzichtet hat, lässt sich mittlerweile nicht mehr mit jugendlichem Egoismus entschuldigen und das Maß der Entfremdung zwischen Mutter und Tochter scheint nicht ganz gerechtfertigt. Alex‘ Freundschaft zu Bo auf der anderen Seite wirkt realitätsnah und warm und vor allem auch Bos eigene Lebens- und Familiensituation gibt Leser und Protagonistin gleichermaßen ein warmes, geborgenes Gefühl.

Alex muss im zweiten Teil des Buches nach einigen schmerzhaften Realisationen den Weg zurück zu sich selber finden und ihr dabei zuzuschauen, wie sie ihr Leben mehr und mehr in die eigene Hand nimmt und sich wieder der Ausstrahlung und Selbstständigkeit ihrer weiblichen Heavy Metal-Idole annähert, macht nicht nur aufgrund des Inhalts, sondern auch durch den angenehmen und leichten Schreibstil von HANNA WILD Spaß.

HANNA WILD liefert ein solides Debüt, das sich vor allem an Metalfans richtet

“Grau ist keine Farbe“ ist ein solides Debüt, das vor allem durch seinen Schreibstil und seine spürbare Leidenschaft zur Musik und der Musikszene überzeugt. Der erste Teil des Buchs ist teilweise etwas langsam und beinhaltet Szenen und Charaktere, die für den Verlauf der Geschichte keine echte Relevanz haben, nimmt aber im deutlich stärkeren zweiten Teil an Tempo und Spannung zu und schafft es noch, den Leser in seinen Bann zu ziehen.

Das Buch richtet sich an ein breites Publikum, aber Leser, die sich selbst in der Heavy Metal-Szene zu Hause fühlen, können Alex‘ Beweggründe und Erinnerungen sicher deutlich besser nachvollziehen als genrefremde Leser – was nicht heißt, dass diese nicht auch Unterhaltung und vor allem Inspiration aus dem Buch ziehen können, um sich selber treu zu bleiben. Das ist nämlich die große Botschaft des Buches, egal ob mit Heavy Metal oder ohne.

24.10.2023

"Es ist gut, aber es gefällt mir nicht." - Johann Wolfgang von Goethe

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