Heilung - Drif

Review

Nach „Ofnir“ und „Futha“ ist „Drif“ das dritte Studioalbum des internationalen Neofolk-Projekts HEILUNG. Beim Genre fangen die Schwierigkeiten aber bereits an, denn Neofolk im klassischen Sinne machen HEILUNG natürlich nicht. Ihre präferierte Stilbezeichnung „Amplified History“ macht hier durchaus mehr Sinn, nur kann man sich, ohne sich mit der Musik der Band bekannt gemacht zu haben, darunter nur schwerlich etwas vorstellen. Der Hype, der kurz nach ihrem Auftritt beim Castlefest 2017, festgehalten in „Lifa“, um das Trio ausbrach, ist bis heute nicht abgeklungen. Mittlerweile füllen HEILUNG Stadien mit 10.000 Zuschauer:innen, wie 2021 in Denver. Erst kürzlich widmete ihnen sogar die New York Times ein Feature. Mit „Drif“ bewegt sich die Band weg vom rein nordischen Thema und integriert Material aus anderen frühen Kulturen weltweit. Texte und Musik basieren dabei weiterhin auf archäologischen Fundstücken und historischen Überlieferungen.

Ein gespaltenes Album

„Drif“ lässt sich grob in zwei Parts unterteilen. Den ersten Teil stellen Stücke mit bewährten Stilelementen wie rhythmischem, mehrstimmigem Sprechgesang, Lyrenklängen mit Vikings-Vibe, repetitiven, tranceartigen Percussionparts, und dem Kriegerchor. Dieser erste Part stellt die Anspieltipps des Albums, allen voran die Single „Anoana“ und das 13-minütige „Tenet“. Letzterer Song ist nicht nur lyrisch, sondern auch musikalisch ein Palindrom, was seinen Effekt nicht verfehlt und den Einfallsreichtum der Band aufs Neue unter Beweis stellt. Mit „Keltentrauer“ liefern HEILUNG im Anschluss ein weiteres ‚Hörspiel‘, sprich vertontes Gedicht mit realistischen, hier äußerst martialischen Hintergrundsounds. Es wird die Geschichte einer Keltenarmee erzählt, die den Römern unterliegt. Ein besonderes Texthighlight findet sich hier mit „jener, der so heldenhaft herangelaufen, hat nun blutend unter Beinverlust zu schnaufen“. Dieser Track bildet die Mitte von „Drif“, bevor es mit dem zweiten, ruhigeren Teil weitergeht.

HEILUNG zeigen sich unzugänglich

Schon einige Stücke zu Beginn des Albums sind für die Verhältnisse von HEILUNG etwas zahm geraten. Auf der zweiten Hälfte von „Drif“ nehmen HEILUNG aber noch mehr Tempo und Momentum raus. Es wird dabei aber keineswegs balladesk, sofern sich dieser Standardbegriff überhaupt auf das Repertoire von HEILUNG anwenden lässt. Stattdessen finden sich hier die Stücke, die musikalisch wenig nachvollziehbar sind und auf Melodien und eine aufwendige Instrumentierung zum Großteil verzichten. Das Wort steht hier im Mittelpunkt, sei es in Form von Gesang oder Rezitation. Verschiedenste Soundeffekte leisten ihren Beitrag zu einer mal gehobenen und mal gar bedrohlichen Stimmung. Diese Stilmittel sind nichts Neues bei HEILUNG, treten hier aber konzentriert auf, statt wie bisher stärker auf die Stücke verteilt.

„Drif“ bleibt hinter seinen Vorgängeralben zurück

Während die erste Hälfte von „Drif“ mitreißt und recht nahtlos an den vorherigen Output der Band anschließt, ist es auch nach mehreren Hördurchläufen schwierig, mit der zweiten Albumhälfte wirklich warm zu werden. Die Tracks haben zwar sehr interessante historische und sprachliche Hintergründe, wie mitgelieferte Erklärungen zu den Songs offenlegen, diese werden von den Stücken aber kaum transportiert. „Drif“ bleibt in seiner Gesamtheit daher hinter seinen Vorgängeralben zurück, bietet aber natürlich trotzdem das, was man als Hörer:in von HEILUNG erwartet und schätzt.

09.09.2022

headbanging herbivore with a camera

Exit mobile version