Ildjarn - Ildjarn, Strength And Anger, Forest Poetry ReReleases 2013

Review

Arthur: Heil Messias!
Brian: Ich bin nicht der Messias.
Arthur: Ich sage, du bist es, Herr. Und ich muss es wissen, denn ich bin schon einigen gefolgt.
Menge: Heil Messias!
Brian: Ich bin nicht der Messias. Würdet ihr mir bitte zuhören!
Ich bin nicht der Messias. Versteht ihr das? Ganz ganz ehrlich.

Frau: Nur der wahrhaftige Messias leugnet seine Göttlichkeit.
Brian: Was? Ihr müsst mir doch ’ne Chance lassen, da raus zu kommen. Also gut: Ich bin der Messias.
Menge: Er ist es! Er ist der Messias.
Brian: Und jetzt: VERPISST EUCH!

(„Das Leben des Brian“, 1979)

Da macht seit Ende 1991 der damals 20-jährige vegane Vorzeigemisanthrop und erste Black Metal-Glatzkopf Vidar Våer, der beinahe phantomartige Mann hinter ILDJARN, irgendwo in Bø, in der südnorwegischen Telemark, unweit des einsamen bergigen Hochplateaus des Hardangervidda, primitive Musik auf einem archaischen 4-Spur-Bandgerät. Der Mann hat mal kurz bei seinen Bekannten von EMPEROR Bass gespielt und auch bei deren Death Metal-Vorläufer THOU SHALT SUFFER mitgemischt, sowie die Demos der beiden Bands mit eben jenem 4-Spurer aufgenommen. Das ist es dann aber auch mit dem Kontakt zur Außenwelt. Und seit 2005 und der Abschiedscompilation „Ildjarn Is Dead“, deren Titel das einzig offizielle Statement zur Lage von ILDJARN ist, hat man von dem Mann nichts mehr vernommen.

Damit praktiziert Våer konsequent, was eine Menge Black Metal-Musiker predigt und selbst gerne tun würde, aber sich dann doch nicht traut: Auf alles scheißen, Musik um der Musik willen spielen, sich keinen Einflüssen und Erwartungen unterwerfen, spontan und sich selbst gegenüber ehrlich sein. Und vor allem: Sich einen Dreck darum scheren, ob die eigenen Aufnahmen bei jemandem ankommen oder nicht. So hat sich Våer 2005 nach einer Vielzahl von Veröffentlichungen endgültig vom Musikmachen verabschiedet – und zwar, weil das Aufnahmegerät kaputtgegangen war. Seitdem graben in regelmäßigen Abständen Labels tief in der über zwanzigjährigen Geschichte von ILDJARN und überreden den Mann, der nie plante, dass seine Musik Verbreitung finden sollte, Wiederveröffentlichungen zuzustimmen. Wenn das nicht absurd ist: Tausende von Bands betteln um einen Labeldeal und kriegen keinen, und eines der wenigen echten Individuen muss letztlich alle paar Jahren aus einem kargen Loch in der norwegischen Einöde gezerrt werden, um zu beweisen, dass seine Musik wirklich so „necro“, bösartig und primitiv war, dass er tatsächlich kein Interesse an Menschen und Meinungen hat.

Dieses Jahr scheint das Interesse an ILDJARN mal wieder groß und das Angebot an alten Beständen und Ebay-Auktionen klein genug, dass sich diesmal eines der renommiertesten Metallabels der Sache annimmt: Season Of Mist veröffentlichen am 16. August 2013 die drei existierenden vollwertigen Metalalben „Ildjarn“ (1995), „Strength And Anger“ und „Forest Poetry“ (beide 1996) neu, mit einheitlich stimmungsvollen Covermotiven und – glücklicherweise – naturbelassenem Sound.

 

„Ildjarn“, 1995
27 Tracks
75:20 Minuten

Das 1995er Debüt „Ildjarn“, ein 75-minütiges Sammelsurium aus beinahe 30 Songs, ist vermutlich das schwächste und am wenigstens fokussierte der drei Alben. Nicht nur ist der Sound des Schlagzeugs – das übrigens auf fast allen ILDJARN-Aufnahmen tatsächlich ein echtes Schlagzeug war! – wegen der ultraprominenten Hi-Hat so gut wie nicht zu ertragen.

Auch die Songs selbst, die zwischen 40 Sekunden und vergleichsweise epischen guten vier Minuten pendeln, stellen selbst den versiertesten Puristen auf eine harte Probe. Erst in der zweiten Hälfte des Albums bekommen einige Songs eine wiedererkennbare Struktur und zeigen streckenweise die Art primitiv-griffiger Riffs, die auf den späteren Alben den typischen ILDJARN-Sound prägen sollten. „Som En Ensom Borg“ beispielsweise kann nicht verhehlen, dass es sich mit beispielsweise den ersten drei BURZUM-Alben dieselben Einflüsse, nämlich z.B. frühe BATHORY, teilt.

Schon „Ildjarn“ ist allerdings keineswegs so eintönig, wie man es im ersten Moment glauben möchte: Da gibt es punkige Songs, die wie Fragmente dessen sind, was DARKTHRONE etwa zeitgleich auf „Transilvanian Hunger“ gemacht haben. Dann tauchen aber auch eher thrashige Elemente, und sogar langsam angelegte Songs („Draumeheim“) aus dem allgegenwärtigen Nebel auf. Gemein ist aber schon diesen frühen 27 Tracks des Debüts die absolut unbändige Energie, eine herausgekotzte Abscheu, eine Faszination für alles Dunkle, Schwarze und Abseitige. Und die hat nichts mit Satanismus oder sonst irgendeinem Glauben oder Nichtglauben zu tun, auch nicht mit politischen Motiven, sondern ist Ausdruck purer Zurückgezogenheit. ILDJARN, und das wird schon hier klar, rührt an irgendetwas Bestialisches, Pures in uns.

 

„Strength and Anger“, 1996
18 Tracks
73:58 Minuten

Hörbar strukturierter und gefühlt weniger improvisiert ist der Zweitling von 1996, „Strength And Anger“, dessen Titel treffend gewählt ist. Hier regiert nicht so sehr das Punkige und Chaotische, dafür – wenn man das so sagen kann – sind die Tracks deutlicher auf die eigentliche Musik konzentriert. Die Riffs gehen als echte Riffs durch – sogar als verdammt böse – und sind im engen stilistischen Rahmen des Soloprojekts die mit Sicherheit treffsichersten und direktesten der ganzen Diskographie. Dazu sind nur fünf der sechzehn Metaltracks der Platte mit dem charakteristisch übersteuerten Geschrei Våers überzogen, der Rest kann gut instrumental für sich alleine stehen.

Das macht „Strength And Anger“ zum vermutlich düstersten und brutalsten der drei ILDJARN-Alben. Hier fangen die gar nicht erst betitelten Songs ultradirekt an, wie ein angreifender Wolf aus dem Dickicht, und hören unvermittelt auf, als habe jemand aus dem Off des knackenden Waldes das Bandgerät abgeschaltet. Das gibt den Stücken eine lauernde Bösartigkeit, die den Eindruck von in Musik entfesselter Wut nur noch steigert.

Gleichzeitig ist es ein auffällig in sich gekehrtes Stück Musik, dem die überwältigenden Gefühle einer von Hass und Verzweiflung geprägten Nacht geradezu aus allen Takten quillen. Was am Ende steht, ist dann aber keine feinsinnige Misanthrophie, wie sie heute kultiviert sein mag, sondern eher eine allumfassend böse, stille Schwärze, in die man als Hörer buchstäblich hineingezogen wird. Am Ende des Albums stehen die beiden Ambienttracks „Black Anger (Hate Meditation 1)“ und „Midnight Strength, Black Anger“, die aus dem Zusammenhang gerissen sinnlos erscheinen, aber genau diesen inneren Rückzug vertonen. Das Album lässt sich nur im Ganzen hören und begreifen. Wie alle ILDJARN-Alben ist es mit landläufigen Maßstäben der Musikkritik nicht zu beurteilen.

 

„Forest Poetry“, 1996
22 Tracks
52:02 Minuten

Ich erinnere mich daran, dass ich einmal etwas zusammen mit einem Musiker aufnehmen wollte, und wir unterhielten uns lange darüber, wie die Produktion klingen sollte. Er sagte irgendwann, und das werde ich nie mehr vergessen: „Es muss klingen, als hätte dir jemand mit einer Nagelkeule eins übergezogen, und würde dich dann durch den dunklen Winterwald zerren“.

Besser kann man „Forest Poetry“, das dritte und ebenfalls noch 1996 erschienene ILDJARN-Machwerk, nicht beschreiben. Die 22 Tracks des Albums verschmelzen die immergleichen Drumpatterns und charmant-schief-punkigen Riffs zu einer einzigen Noise-Orgie, die das Gefühl einer unbeschreiblichen Bedrohlichkeit, einer unzähmbaren animalischen Kraft oder einer Wanderung durch einen endlosen Wald entweder verarbeitet oder erst heraufbeschwört. Einzelnes herauszustellen, ist nicht nur analytisch schwierig, sondern für das Erleben des Albums geradezu nutzlos.

Denn „Forest Poetry“ ist genau das, was der Titel verspricht: Die perfekte Mischung aus Ungehobeltheit, Urtümlichkeit, Naturnähe, Faszination für Unerklärliches auf der einen und einer volkstümlichen, schlichten, aber dabei sehr treffenden Poesie, im Sinne einer Verarbeitung und Verdichtung von Gefühlen, die sich anders kaum beschreiben lassen. Tracks wie „Whispering Blaze“, „No Gleaming Light“, „Sinking Deep“, „Away With The Dawn“, „Cold And Waste“ oder das eine heute legendäre Albumtrilogie würdig beschließende „No Place Nowhere“ transportieren das nicht nur musikalisch, sondern auch mit Worten.

Das muss man erleben, und das kann man nur, wenn man von gängigen Kriterien ablässt und sich auf ILDJARN einzulassen versucht. Entweder es funktioniert nicht, dann sitzt man fassungslos da und fragt sich, was für einen unglaublichen Schrott Menschen kaufen und was sie dann dort hinein interpretieren. Falls es aber funktioniert und man die Beweggründe dieser einzigartig authentischen Musik ein für allemal versteht, ist man um ein fast einzigartiges Musikerlebnis reicher. Eines, das 1991 so gut funktioniert wie 2013, und das in 22 Jahren tatsächlich niemand nachzumachen geschafft hat.


Und noch ein paar Tipps:

Wer den ILDJARN-Stil durchaus schätzt, es aber etwas weniger „grim“ und dafür mit Keyboards und Drumcomputer mag, der sollte sich unbedingt das 1996 erschienene erste und einzige Album von SORT VOKTER, „Folkloric Necro Metal“, besorgen. Våer arbeitete hier mit drei weiteren Musikern zusammen.

Sehr empfehlenswert sind desweiteren die 1995 erschienene Compilation „Det Frysende Nordariket“, die drei vor dem ersten Album entstandene Demos und einige wirklich überaus gelungene Songs enthält, sowie alle Ambient-Releases von ILDJARN, darunter das zwischen „Strength And Anger“ und „Forest Poetry“ veröffentlichte „Landscapes“ und insbesondere „Hardangervidda“ von 2002. Hier verarbeitet Våer gemeinsam mit seinem langjährigen Mitmusiker Nidhögg die Faszination, die die norwegische Natur auf ihn ausübt. Alle Veröffentlichungen sind ursprünglich auf Våers eigenem Label Norse League erschienen, aber im Laufe der Jahre in Zusammenarbeit mit diversen Labels (u.a. Napalm Records oder Northern Heritage) wiederveröffentlicht worden und sollten gebraucht erhältlich sein.

05.08.2013
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