Jerry Cantrell - Brighten

Review

Zu den Hochzeiten der Seattle-Grunge-Ära galten ALICE IN CHAINS als die metallischte oder hardrockigste Variante der zur Musik gewordenen Stimme einer ganzen Generation von introvertierten, selbstzweifelnden Jugendlichen. Die Band beschrieb in den folgenden Jahren bekanntlich eine Reise mit vielen Höhen und Tiefen, wobei besonders der Tod des Sängers und Herzensbrechers Layne Staley im Jahre 2002 eine tiefe Narbe der Verzweiflung hinterließ. Aber schon seit Ende der 90er werkelte JERRY CANTRELL an seinem Solo-Material und veröffentlichte sein Debüt-Album “Boggy Depot” 1998.

JERRY CANTRELL übt sich weiterhin in Geduld

Kaum jemand wagte es seinerzeit es laut auszusprechen. Aber JERRY CANTRELL war stets mehr als der Gitarrist und die zweite Stimme einer Band. Vielmehr nervte der Mann mit seiner Interpretation des nasalen Quälgesangs weniger als Kollege Staley. Sein Solo-Ding war indes nie eine schlechte Raubkopie des Originals und stellt auch heute noch eine Mischung aus Southern-Rock und poppigem Kammer-Grunge dar. Das man mit dieser Sorte Musik nicht wirklich Arenen füllen kann oder das ganz große Stück Sahnetorte abbekommt, muss dem Blondschopf durchaus klar sein. Aber er gibt nicht auf und hält an seinem eingeschlagenen Pfad fest.

Große Melodien, viel Sehnsucht und keine Hits auf “Brighten”

Stilistisch werden auf “Brighten” die Weichen bereits beim Opener “Atone” mit Bottleneck und entsprechendem Riffing wieder auf die Southern-Rock-Gleise gestellt. Später gönnt sich Cantrell mit “Prism Doubt” einen wahren Ohrenschmeichler, der auf testosterongeprägten Mucker-Partys als sogenannter Dosenöffner verschrien gewesen wäre. Mit ein paar Jahrzehnten zwischen der letzten Abi-Feier und dem zuletzt besuchten Festival, dem Erreichen der musikalischen Reife also, jedoch als einfach schöner Song bezeichnet werden kann. “Had To Know” wabert aus den Boxen wie eine ALICE-IN-CHAINS-Hommage einer Nachwuchsband aus einer washingtoner Kleinstadt.

Für Fans

Insgesamt lassen sich Parallelen zum Gesamtwerk eines gewissen Gitarristen-Kollegen namens STONE GOSSARD herstellen. Mit seiner Hauptband PEARL JAM räumte der Mann ab und ist vom Westcoast-Olymp kaum mehr zu stoßen, während sich seine Solo-Alben und Gehversuche mit der Zweitband BRAD bisher als Misserfolge verzeichnen lassen, wenngleich die enthaltene Musik so manche Großtat darstellt. Gegen die geballte Power von schöngefärbtem Sonntag-Morgen-Rock aus den Häusern NICKLEBACK und KID ROCK kommen diese Zugeständnisse an ehrliche Kompositionen einfach nicht an.

Und mal ehrlich: Hört man einen Song wie “Nobody Breaks You” flirrt neben einer superben Melodie auch der Geist Staleys aus dem Hintergrund durch die Lyrics. Ein Clavinova zersetzt das Arrangement und bringt genau das richtig temperierte Quäntchen Sehnsucht in den Track, bevor das Les-Paul-Solo die letzten NICKELBACK-Erinnerungen vom Chorus verbannen. “Dismembered” stellt wider erwarten keine Cover-Version eines gewissen Death-Metal-Klassikers dar und schwingt stattdessen die ganz große Country-Keule. Dieser Song brächte die Grand Ole Opry zum Bersten. Ja wenn JERRY CANTRELL jemals ein Konzert vor Cowboyhüte schwingenden Südstaatlern spielen würde. Damit schließt sich der Kreis, wieso es diese Musik wahrscheinlich nicht in die ganz großen Arenen schaffen wird. Zu speziell ist Cantrells Stimme, die Songs sind nicht wirklich einer Schublade zuordenbar.

Da sich Platten sammelnde Nerds und selbsternannte Musik-Bundestrainer diese Prädikate gern selbst zur Pflichtaufgabe machen, wird auch “Brighten” seine Zielgruppe finden. Alle ALICE-IN-CHAINS-Freunde, die vom traumhaften “MTV-Unplugged” nicht genug bekommen, dürfen ebenfalls gerne zugreifen. Für alle anderen hat das Album möglicher Weise zu viele undefinierbare Längen um letztlich regelmäßig auf dem Teller zu landen.

14.11.2021

Left Hand Path

Exit mobile version