Kraftwerk - Der Katalog

Review

Auf ihren Platten konnte die Welt hören, wie Musik zukünftig klingen wird. KRAFTWERK inszenieren sich folgerichtig als künstliche Wesen. Für die bewundernswerten Coverartworks ließen sie sich im Stil des russischen Konstruktivismus oder nach Art alter Modemagazine fotografieren. Ihre Ästhetik führte Nostalgie und technisierte Gegenwart zusammen. Die Musik der Gruppe aber wies immer in die Zukunft. Ihre Science Fiction vereinte Grundgedanken der Kybernetik, also der Wissenschaft der Kommunikation und der Kontrolle von lebenden Organismen und Maschinen, mit Godards „Alphaville“. Romantik, Technikgläubigkeit und Poesie also lagen bei den Düsseldorfer Dichtern und Denkern so nahe beieinander wie bei keiner anderen Band vor oder nach ihnen. Ihre Musik ist ein Klangdesign, das unzählige Künstler aus den verschiedensten Genres beeinflusst hat.

Während „Autobahn“ von 1973 noch deutlich nach Prog-Krautrock und Avantgarde klingt, wird spätestens mit „Radio-Aktivität“ manifest: Hier sind keine Musiker am Werk, sondern Ingenieure, Tüftler, Technik-Geeks. Die bandeigenen Klingklang-Studios in Düsseldorf sind Proberaum, Elektronikschau und Forschungslabor zugleich. Auf „Computerwelt“ von 1981 perfektionieren KRAFTWERK ihren minimalen Elektrosound. Die Musik wird deutlich tanzbarer. Mit kühler Präzision konstruieren Florian Schneider, Ralf Hütter, Wolfgang Flür und Karl Bartos hypnotische Endlosschleifen aus Rhythmen und spannungsgeladenen Klängen. Vor allem aber funktionieren ihre elektronischen Symphonien als großartige Songs. Sie groovten wie kaum eine zweite europäische Band der Siebziger, weil sie ihre Musik auf tribalistisch-perkussive Beat-Patterns aufbauten, die sie freilich fast bis zur Unkenntlichkeit abstrahierten und alsdann loopten. Auch gibt es unwiderstehliche Melodien, die sich wie Layer übereinanderlegen. Die spärlichen Läufe in „Das Modell“ und „Neonlicht“ haben einen hohen Wiedererkennungswert und sind nicht aus dem kollektiven Gedächtnis zu tilgen.

Ohne sich aufzulösen, legten KRAFTWERK Mitte der Achtziger eine langjährige Schaffenspause ein, die Mensch-Maschine gerät ins Stocken. Während sie sich in ihr Studio zurückziehen, entsteht eine Generation junger Musiker und Künstler, von denen viele von KRAFTWERK gelernt haben. Sie ziehen an KRAFTWERK vorbei; die Musikindustrie hat zu ihren musikalischen Visionen aufgeschlossen. Da bleibt nur noch die gewinnbringende Verwaltung des Backkatalogs, um sich des eigenen Legendenstatus sicher zu sein: die Wahrnehmungsschwellen unterlaufen und die Musik von einem entscheidenden Makel befreien: dem analogen Rauschen.

Die Musik musste eines Tages volldigitalisiert erscheinen. Das war bereits 1986 klar, und auch schon geplant. Es ist dann doch mehr als erstaunlich, dass ausgerechnet die Pioniere der elektronischen Musik mit gehöriger Verspätung im digitalen Zeitalter ankommen. Immerhin liegt die Erstveröffentlichung der Alben auf CD schon mehr als zwanzig Jahre zurück. Angesichts des Perfektionismus und der hohen technischen Standards der Musiker erschien dieser Schritt überfällig. Das Fazit darf positiv ausfallen: Auch wenn es musikalisch nichts Neues zu entdecken gibt, ist das Box-Set „Der Katalog“ (enthält die acht Alben „Autobahn“, „Radio-Aktivität“, „Trans Europa Express“, „Die Mensch-Maschine“, „Computerwelt“, „Techno Pop“, „The Mix“ und „Tour De France“) beeindruckend. Von unschätzbarem Wert ist der Umstand, dass KRAFTWERK selbst das Remastering und Rekonstruktion des Layout übernommen haben. Tonqualität und Gestaltung sind großartig, nein, könnten besser nicht sein. Warum auch sollten KRAFTWERK jetzt mit alten Gewohnheiten brechen: Alte Roboter kehren mit neuen Scharnieren zurück, nichts quietscht bzw. rauscht mehr.

18.12.2009
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