Mental Cruelty - Zwielicht

Review

Nachdem MENTAL CRUELTY den Sängerposten Social Media-wirksam neu besetzen mussten, feiert dieser – namentlich Lukas Nicolai, seines Zeichens von SUN EATER kommend – nun mit dem neuen Album „Zwielicht“ seinen Studioeinstand. Besagtes neues Album hat dabei die schwierige Aufgabe, das massive „A Hill To Die Upon“ zu beerben, ein Album, welches das testosterongeladene Bravado des Deathcore genommen und in ein hervorragendes Symphonic-Death-Metal-Album gesteckt, mit immer wieder auftauchenden Black-Metal-Querverweisen versehen und somit eine Menge Spaß und Tiefe ins Spiel gebracht hat. Es war vor allem der vorläufige Gipfel der Entwicklung, welche die Karlsruher bis hierhin durchgemacht haben, von einer regulären Deathcore-Kapelle hin zu etwas ganz eigenem.

Die Karlsruher reduzieren den Macker-Faktor des Vorgängers etwas ein …

„Zwielicht“ vertieft diese Entwicklung konsequenterweise. Das geht hin zum Punkt, wo man stellenweise mit der Deathcore-Etikettierung an die Grenzen stößt. Das hat auch mit der Produktion von „Zwielicht“ zu tun, welche das Album deutlich weniger in die Pumper-Ecke verortet, sondern eben mehr – nun ja – wie ein Death-Metal-Album klingen lässt. Aufgrund der symphonischen Elemente, die erneut von herausragender Qualität sind, in Kombination mit den weiterhin präsenten Black-Metal-Schlenkern, die meist auf Wege der Riffs in den Sound hinein finden, kommt man des weiteren nicht umhin, einige Querverweise in Richtung beispielsweise DIMMU BORGIR („Obssessis A Daemonio“) zu machen. Deutlich überraschender gerät „Zwielicht“ aber vor allem dann, wenn man an plötzlich an ENSIFERUM, CATAMENIA oder frühe EQUILIBRIUM denken muss („Symphony Of A Dying Star“, „A Tale Of Salt And Light“).

Lukas Nicolai feiert dabei einen gebührenden Einstand bei den Herren. Sein Stil ist bei weitem nicht so mackerhaft wie der seines Vorgängers, passt aber somit hervorragend in die neue, noch weiter vom Deathcore entfernte Ausrichtung von MENTAL CRUELTY, auch wenn die Beschaffenheit seiner Gesangsdarbietung und letztlich die klangliche DNA von „Zwielicht“ im Allgemeinen die Wurzeln der Karlsruher nicht verleugnen können. Das heißt, dass es noch Elemente wie eben die Slam-affinen Gutturals gibt in Kombination mit der Tightness, die hauptsächlich von Danny Strassers Schlagzeug ausgeht. Andererseits hält man sich mit Breakdowns und Caveman-Chugs erfreulich oft zurück, auch wenn es manchmal einfach zum guten Ton des Genres gehört. Aber ein „Forgotten Kings“ beispielsweise eröffnet mit Riffs aus dem IMMORTAL-Baukasten.

… und verstecken teils erstaunliche Einflüsse in ihrem Sound

Solche Überraschungen findet man in allen möglichen Formen auf „Zwielicht“, das kompositorisch insgesamt etwas komplexer ausgefallen ist als sein Vorgänger, bei dem die symphonischen Arrangements das Gitarrengespann Kessler/Lozano noch regelmäßig in den Hintergrund drängte. „Zwielicht“ wirkt da deutlich ausgeglichener und reifer, aber auch noch einen Tacken mutiger. Erwähnte unsereins bereits Anklänge schwertschwungtauglicher Pagan-Melodien bei „Symphony Of A Dying Star“, so zieht der vorausgehende, als Intro für „Symphony“ fungierende Titeltrack fast schon nach Valhalla, mindestens aber in die nächstgelegene, altnorwegische Schänke ein. Bei „Pest“ werden Brutalität und Epik wunderbar abgewogen für einen massiven Stampfer, dessen Schlüsselmelodie die Faust wie von selbst gen Himmel schießen lässt. Möglicherweise scheint hier sogar ein kleines bisschen Melancholie hindurch.

Melancholie begleitet den Hörer auch auf dem Rausschmeißer „A Tale Of Salt And Light“, das erwähntermaßen wieder Folk-/Pagan-Metal-Anklänge sein eigen nennt. Überhaupt wirkt der Track fast wie ein Resümee des Albums, werden hier nicht nur diese beiden Elemente unter ein Dach gebracht, sondern auch weitere Charakteristika, die einem über die Spielzeit von „Zwielicht“ begegnet sind wie etwa eine Show stoppende Kernmelodie á la „Pest“, massive Symphonic-Death-Attacken der Marke „Obsessis A Daemonio“ und dergleichen mehr. Gegen Ende des Tracks lassen es sich die Karlsruher dann aber doch nicht nehmen, einige dieser klischeehafteren Deathcore-Breakdowns zu verwursten, was den Song ein bisschen ausbremst, aber zum Glück nicht ruiniert.

MENTAL CRUELTY können mit „Zwielicht“ erfolgreich ein altes Kapitel schließen und ein neues eröffnen

Zwar geht MENTAL CRUELTY ein bisschen der knuffige Pumper-Charme des Vorgängers verlustig, aber das ist angesichts der Qualität von „Zwielicht“ ein gern gemachter Kompromiss. Das Album ist angenehm komplex, angriffslustig und geizt nicht mit überraschenden Wendungen, auch wenn man hier und da einige Deathcore-Klischees wie besagte Breakdowns oder auch mal 808-Drops hinnehmen muss. Aber das bleibt alles im Rahmen des erträglichen und damit verkraftbar. Viel wichtiger: „Zwielicht“ knüpft trotz des personellen Wechsels an der Spitze wunderbar an der Entwicklung des Vorgängers an und denkt den Sound von dort ausgehend sinnhaft weiter. Der neue Sänger feiert einen gelungenen Einstand und die Band kann damit ein dunkleres Kapitel in ihrer Historie erfolgreich abschließen. Fans des Vorgängers kommen um „Zwielicht“ also nur schwer herum und sollten die neue Scheibe der Karlsruher definitiv antesten!

23.06.2023

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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