Neurosis - The Eye Of Every Storm

Review

„The Eye Of Every Storm“ – so also der Titel des neuen Meisterwerks dieser Ausnahmeband. Treffender könnte schon das Coverartwork nicht gewählt sein. Ein Zyklon in ambientes Licht getaucht, lässt erahnen, welche Gewalten auf einen zukommen, wie NEUROSIS erneut ein klangliches Bild der Apokalypse zeichnen. „Das Auge des Sturms“, ein Zentrum der Ruhe und wehe man gerät in den Sog dieser vernichtenden Kraft. NEUROSIS lassen mit ihrem neuen Silberling ein musikalisches Paralleluniversum entstehen, fernab aller Konventionen. NEUROSIS waren schon immer musikalische Querdenker oder sagen wir besser Vordenker. Aus ihrem bisherigen Schaffen entstammen Werke, die den Hörer vor beinahe unlösbare Aufgaben stellen und sich erst nach eindringlicher Beschäftigung in ihrer ganzen Schönheit und Wucht entfalteten. „Enemy of the Sun“ oder „Through Silver in Blood“ sind allmächtige Zeitzeugen ungestümer Geräuschattacken. Schon „A Sun That Never Sets“ ließ allerdings einen Prozess der Findung erahnen und gab den mittlerweile gereiften Musikern etwas mehr Spielraum für Melodien. „The Eye Of Every Storm“ ist der nächste logische Schritt innerhalb dieser Metamorphose und ist das Ergebnis einer Band die gewachsen ist über die Jahre und stets nach neuen Diktionen sucht, aber nie in Gefahr geriet sich zu verleugnen.

Es dominieren ruhige, düstere Parts, die sich ganz tief in den Gehörgängen eingraben. Minimalistisch wirkende Soundfragmente durchziehen das Werk, bleiben aber nie als diese im Raum, sondern bäumen sich auf zu schier unüberwindbaren Klangstrukturen, die ihresgleichen suchen. „Burn“, der Opener des Werkes, ist ein düster, apokalyptischer Soundklumpen, der das Tor in das von NEUROSIS geschaffene Universum auftut. „No River To Take Me Home“ lebt von ausgedehnten Sprechpassagen, geführt von Samples und treibenden Mid-Tempo Passagen, die einen die ersten Schritte in der neuen Welt tun lassen. Man spürt förmlich, wie der Sog immer mehr Besitz ergreift und einen gefährlich nah an den Rand des Abgrunds bringt. Spätestens beim Titeltrack „The Eye Of Every Storm“, brechen alle Dämme. Die beiden Sänger Will und Steve intonieren, begleitet von fast apathisch wirkendem Drumming, ein endzeitliches Mysterium. „Left To Wander“ ist eine Mischung aus wüsten Entgleisungen und fragilen Akustikpassagen, die sich bis zum Ende hin die Waage halten. Dieses bis dato vordergründig kontroverseste Stück, mündet mit „Season In The Sky“ in eine Soundwalze, die ganz behäbig in Fahrt kommt, aber nicht mehr zu halten ist und nahtlos, in den meines Erachtens stärksten Track des Albums führt. In „Bridges“ gewinnt das Monstrum durch den Einsatz von vielen elektronischen Versatzstücken immer mehr an Fahrt, bis bedrohlich wirkende, einzelne glashelle Töne die Maschinerie jäh zu entkräften versuchen, dies aber nie wirklich schaffen. Auch das sanfte Scheiden, welches das letzte Stück „I Can See You“ anzukündigen scheint, verwandelt sich im Verlauf in ein qualvolles Dahinsiechen. Manchmal frage ich mich schon, was sich die Jungs täglich in den Tee mischen, um in diese Sphären vordringen zu können.

Jeder Ton auf „The Eye Of Every Storm“ scheint ein geplanter Schritt zur Selbstfindung zu sein. Dieses Album ist kein Stück Musik, welches man nebenbei hören kann und darf. Es verlangt die volle Aufmerksamkeit und beweist die Ausnahmestellung der fünf Visionäre auf ihrem musikalischen Weg in eine neue Zeit. Anhänger der Band können bedenkenlos zugreifen, wer musikalisch eine neue Herausforderung sucht, darf sich ebenfalls diesem herrlichen Stück Musik annehmen. Großartig!

12.07.2004
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