Paysage d'Hiver - Im Wald

Review

Ob „Im Wald“ tatsächlich das erste Album von PAYSAGE D’DIVER ist, ist eine auf den ersten Blick müssige, beim genaueren Hinsehen angenehm nerdige Diskussion, welche vermutlich nur Mastermind Wintherr selbst beantworten kann. So richtig nach Debütalbum mutet „Im Wald“ aber dennoch nicht an.

„Im Wald“ ein (be)rauschendes Inferno

Die Interpretation des Black Metal von PAYSAGE D’HIVER ist ebenso individuell wie legendär: Das Schlagzeug zum bloßen Taktell heruntergestutzt, eine rhythmisch tackernde Maschinerie, der letzte Wegpunkt im undurchdringlichen Dickicht der Wälder. Daneben formen zur Unkenntlichkeit verzerrte Gesangs- und Gitarrenspuren repetitive Klangwelten, welche sich einzig und allein der romantischen Naturbetrachtung hingeben.

Auch und gerade deshalb ist „Im Wald“ ein Album, welches nach Kopfhörern verlangt. Hintergrundbeschallung für ein geselliges Miteinander? Undenkbar! Diese Musik will allein, bestenfalls umgeben von Schnee, Bergen und Wäldern zelebriert werden. Wie schrieben es LAMENTATION auf „Eine Symphonie der Nacht“ (1994):

„You must listen to this demo only by nightfall or the whole atmosphere will be ruined.“

Zwei Stunden Spielzeit erscheinen und sind enorm. Dieses Konzept ist allerdings nicht willkürlich oder Produkt einer unzureichenden Materialsondierung. Jeder Song auf „Im Wald“ hat etwas Besonderes, in jedem Stück gibt es etwas zu entdecken. Dies sind allerdings keine Leuchttürme, sondern, um in der Metapher zu bleiben, kleine Entdeckungen am Wegesrand. Die Qualität und Eindringlichkeit von „Le rêve lucide“ ist nicht zu übersehen. Auch „Stimmen im Wald“ sorgt für ein Aufhorchen durch klaren Gesang. „Flug“ tradiert umfassend den Ambient-Aspekt von PAYSAGE D’HIVER. Und so geht es weiter.

Was ist so besonders an PAYSAGE D’HIVER?

Insgesamt ist „Im Wald“ viel klarer als bisherige Veröffentlichungen des Projekts. Dies ist zum einen im Sound und zum anderen im Songwriting begründet. Klar, PAYSAGE D’HIVER bleiben, Gott sei gelobt, Lo-Fi-Black Metal. Dennoch ist der Klang von „Im Wald“ deutlich aufgeräumter als noch zu Demozeiten. Das Songwriting nimmt geringfügig mehr Rücksicht auf Hörgewohnheiten, sodass kein Stück die magische 15-Minuten-Marke überschreitet. Aber keine Sorge, „Im Wald“ ist selbstredend ein Stück finstere Tonkunst, ein rauschendes Inferno.

Was ist nun also das Besondere an PAYSAGE D’HIVER? Natürlich lässt sich das schwerlich beschreiben. Allerdings können drei wesentliche Aspekte genannt werden. Zuallererst ist der komplett eigene und unverkennbare Sound der Band ein echtes Trademark. Zweitens robbt sich „Im Wald“ beeindruckend nahe an die Perfektion der Atmosphäre im Black Metal heran. Und zuletzt verfügt Wintherr über die beeindruckende Fähigkeit mit minimalistischen Mitteln und dem genialen Gespür für rauschende Melodien etwas Magisches zu kreieren. Der Sound von PAYSAGE D’HIVER ist dabei so einfach wie schlüssig und erschafft Einzigartiges.

Schnee im Sommer

Sicherlich erschien „Im Wald“ im Juni zur Unzeit. Dies macht aber wenig, denn das Besondere am Album ist ohnehin die tiefe Innerlichkeit, die umwebende Phantasie. Die Angst vor der langen Spielzeit ist unbegründet, denn das Album motiviert den Hörer über die gesamte Strecke und treibt Stück für Stück tiefer ins Dickicht. Ein winterliches Meisterwerk mitten im Sommer, ein Stück Musik nahe der Perfektion in den engen, selbst gesteckten Grenzen.

28.07.2020

Stellv. Chefredakteur

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