Peter Gabriel - Peter Gabriel 4 (Security)

Review

Wenn es darum geht, was an Solo-Veröffentlichungen aus dem GENESIS-Dunstkreis in der Musikgeschichte eingeschlagen ist, dürfte Phil Collins in Sachen Popularität der unumstrittene Platzhirsch sein. Nicht nur gehen unzählige, unendlich mitsingbare Klassiker auf sein Konto, sondern auch unter anderem die Intonierung des „Tarzan“-Soundtracks aus dem Hause Disney. Wenn es aber darum geht, wer von den klassischen GENESIS-Sängern die interessanteren Alben geliefert hat, dann lautet die Antwort eindeutig Peter Gabriel. Speziell seine ersten vier Alben, die technisch gesehen unbetitelt, praktisch durchnummeriert und für den nordamerikanischen Markt doch (inoffiziell?) betitelt sind, sollte man unter keinen Umständen in Sachen Gehalt unterschätzen.

Der künstlerisch höherwertige Backkatalog aus dem GENESIS-Umfeld?

Dabei sei ein besonderes Augenmerk auf die Alben „Peter Gabriel 3 (Melt)“ und dem hier gegenständlichen „Peter Gabriel 4 (Security)“ gerichtet, die beide von der zugänglichen AOR-Kost seines einstigen Weggefährten Collins meilenweit entfernt sind. Der hatte zwar auf Album Nr. 3 beispielweise durchaus schlagzeugtechnisch ausgeholfen, aber man liest und hört ja, dass es hinter den Kulissen wohl jede Menge Drama zwischen den beiden gegeben haben soll. Damit soll niemanden die Klangkunst Collins‘ madig gemacht werden, seine Songs sind nun mal Pop-Perlen, die man kennen sollte. Aber Peter Garbriel hat neben „Sledgehammer“ und „Solsbury Hill“ einfach so viel mehr zu bieten, speziell auf den ersten Alben und hier gegenständlich auf der vierten Platte, die den Titel „Security“ verpasst bekommen hat.

Das vierte Album setzt sich wie auch der Drittling von den beiden ersten Veröffentlichungen durch seine recht prägnant an Weltmusik angelehnte Herangehensweise an Popmusik respektive Rock ab. Im Gegensatz zu „Melt“ glänzt die vierte Platte zudem durch mehr Konsistenz und eine wesentlich dichtere Atmosphäre. „Security“ verlässt sich auf Gabriels prominenten Hang zum Ethnischen und verstärkt die Rhythmen vermehrt durch an afrikanische Musik erinnernde Perkussion, die eine geschäftige Stimmung erzeugen. Ausnahmen wie das zum Chart-Hit avancierte „Shock The Monkey“ bestätigen die Regel. Dabei handelt es sich neben „I Have The Touch“ sicher um den wohl konventionellsten Track der Platte. Auch der Rausschmeißer „Kiss Of Life“ ist ein Song, der relativ direkt und ohne Umwege ins Blut geht, sich durch die etwas stärkere Präsenz weltmusikalischer Einflüsse von den beiden aber hervorhebt.

Peter Gabriel schraubte für Album Nr. 4 die Atmosphäre weit nach oben

Natürlich hatte „Melt“ seinerzeit mit „Biko“ einen der wichtigsten und mit „No Self Control“ vielleicht einen der heftigsten Peter Gabriel-Songs in petto. Aber „Security“ ist durchgehend klasse. Direkt der Opener „The Rhythm Of The Heat“ ist eine Meisterleistung in Sachen subtiler Spannungserzeugung. Der Song brilliert durch recht unterschwellig eingesetzte Soundflächen, durch die sich die kräftigen Trommelschläge der Hook umso prägnanter bohren. Auch wie Gabriel mit sanfter Stimme und unterstützt durch geflüsterte Backing Vocals auf die Hook zusteuert, nur um in selbiger dann mit voller Wucht gesanglich einzuschlagen, ist großartig und sucht vor dem stimmungsorientiertem Backdrop bis heute seinesgleichen.

Musikalisch drehen sich eine ganze Reihe von Songs auf „Security“ um überlebensgroße Hooks, die in minimalistisch ausgekleidete, gerne einmal chromatisch, im Falle von „San Jacinto“ sogar leicht polyrhythmisch arrangierte Songs eingebettet werden. Meist brillieren sie durch diesen Kontrast zwischen minimalistischer Instrumentierung und diesen großen Hooks wie in „San Jacinto“ oder „Lay Your Hands On Me“. Das macht letzten Endes die Faszination des Albums aus: Die Songs sind im Kern simpel gehalten, doch die interessanten Details verpassen ihnen eine Langlebigkeit, die immer wieder zu diesem Album zurückkehren lassen. Und wenn es nur Clap-Samples sind, die sich zur rechten Zeit durch den Sound schneiden wie in „The Family And The Fishing Net“, so hinterlassen sie doch einen bleibenden Eindruck und verleihen diesem recht behäbig anmutenden, düsteren Song doch ein ordentliches Maß an Charakter.

Das Ergebnis ist ein intensives Hörerlebnis, das immer noch seinesgleichen sucht

Textlich drehen sich die Songs um verschiedene Dinge wie beispielsweise die Erfahrungen des Schweizer Psychoanalysten Carl Gustav Jung bei der Beobachtung afrikanischer Trommler („Rhythm Of The Heat“), Eifersucht („Shock The Monkey“) oder die potentielle Macht der Selbstheilung („Lay Your Hands On Me“). Gabriel setzt diese Texte gesanglich fantastisch um. Mal fliegt er elegant über die Melodien hinweg für eine übelebensgroße, gerne auch mehrstimmige Gesangslinie, die einfach mitten ins Herz trifft wie in den Hooks von „San Jacinto“, „The Family And The Fishing Net“ oder praktisch durchgängig im dagegen recht geschäftigen „Kiss Of Life“. Mal säuselt er die Texte sanft aber nicht zu gedämpft über die fein gewobene Instrumentierung wie wiederum in den Strophen von „San Jacinto“ oder in „Lay You Hands On Me“, aber auch phasenweise in „The Ryhthm Of The Heat“.

Das komplett digital und mit Unterstützung von Gastmusikern wie Tony Levin, David Rhodes oder Peter Hammill aufgenommene Album ist sicher eine der besten Veröffentlichungen aus dem GENESIS-Dunstkreis und bietet musikalische wie lyrische Tiefe, die sich zu entdecken lohnt. Dass das Album hier auf diesen Seiten Erwähnung findet, kann man der insgesamt recht atmosphärischen Ausrichtung der Songs und andererseits ihrer Nähe zum AOR und Verwurzelung im Art/Progressive Rock zuschreiben. Es ist einfach ein phantastisches Album, das unsereins jedem ans Herzen legen möchte, der es noch nicht kennt. Und wer sich einen lustigen Nachmittag machen möchte, kann sich noch das jeweilig deutschsprachige Pendant „Ein deutsches Album“ zu „Melt“ und eben „Security“ geben und erleben, wie stocksteif die so intensiv in Szene gesetzten Lyrics in stark akzentuiertem deutsch klingen.

14.09.2022

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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