Rodgau Monotones - Volle Lotte!

Review

Angesichts der Ereignisse, die sich dieses Jahr fußballtechnisch zugetragen haben und auch derzeit zutragen, ist es eigentlich schon irgendwo angebracht, den zur (zugegeben inoffiziellen) hessischen Nationalhymne aufgestiegenen Klassiker der RODGAU MONOTONES zu zitieren: „Erbaaaame! Zu spät! Die Hesse komme!“ Doch nicht nur das, auch ist vor kurzem ein neues Album von BADESALZ erschienen, was sich noch direkter mit die Frühphase der Band und damit auch an das hier vorliegende Exponat – den Klassiker „Volle Lotte!“ von 1984 – in Verbindung bringen lässt. Denn das war die Zeit, in der Henni Nachtsheim (BADESALZ) noch bei den MONOTONES Saxofon gespielt und an der Seite von Peter „Osti“ Osterwold das ikonische Sprachrohr der Hessen-Rocker ausgemacht hatte.

Von der Cover-Band zur hessischen Rock-Institution

Dabei begannen die RODGAU MONOTONES als eine im Rodgau gegründete Cover-Band von unter anderem ZZ TOP und QUEEN, deren Liedgut sie mit deutschen Texten ausgestattet in ihrem Umfeld live darboten und sich so nach und nach eine Fanbase erspielten. Na, klingt das vertraut?

Auf diesem Modus Operandi sollte später mitunter auch ein gewisses JAMES BLAST ORCHESTER seinen rosanen Ruhm aufbauen. Und die Parallelen hören dort nicht auf. J.B.O. zählen die RODGAU MONOTONES gar zu ihren Einflüssen. Und als ob das nicht genug wäre, liefern die MONOTONES selbst nocht eine einschlägige Zeile in rosa im Track „Frach mich net (wie’s mir geht)“, die fast zu gut wie die anachronistische Faust aufs Auge passt, um ein Zufall zu sein. Doch beweist „Volle Lotte!“ auch für sich selbst vor allem eines: Man muss sich nicht per Definition für deutschsprachigen Rock schämen! Jedenfalls nicht für solchen, bei dem die Texte metrisch sitzen und sich inhaltlich nicht in politisch fragwürdigen Implikationen verheddern.

„Volle Lotte!“ In der Tat!

Und „Volle Lotte!“ beginnt, wie der Titel es verspricht. Zum einen wörtlich mit dem Titeltrack, der andererseits wiederum rotzfrech und offensiv daherkommt. Und dies sollten die RODGAU MONOTONES durch das gesamte Album hinweg durchhalten, womit sie hier statt bislang nur einzelner Volltreffer wie „Ei Gude Wie“ nun eine anhaltende Salve von Krachern abfeuern sollten. Eine Referenz aus der Politik findet man hier und da, die entsprechend schon überholt ist („Helmut hat gesagt wir sollen sparen, sparen“), trotz allem aber niemandem wehtut. Ohnehin begegnen die RODGAU MONOTONES alledem mit einem erfrischenden, geradlinigen Optimismus, der schon eine gewisse Aufbruchstimmung suggeriert.

Die RODGAU MONOTONES finden den guten Stoff im Alltag

Im Zentrum der lyrischen Aufmerksamkeit stehen hier eher die kleinen Aufs und Abs des Alltags, was sich banaler anhört als es ist. Denn oftmals bietet der Alltag genug Zündstoff für skurile Geschichten. „Der kleine Pirat“ scheint ein ähnliches Szenario zu beschreiben, aus dem man sich die Initialzündung der ALESTORM-Gründung heraus vorstellen kann. Und dieses verleiht einer (vermeintlichen?) Tagträumerei auch dank der geschmackvollen, musikalischen Umsetzung ausreichend Farbe, um das Sujet glaubhaft und lebensnah zu gestalten. Ob man hier gleich die Eskapismus-Keule schwingen muss, sei mal dahingestellt.

Daneben gibt es natürlich eine Menge Szenen, mit denen man sich auch als bodenständiger Normalo zweifelsohne identifizieren kann, die aber von den MONOTONES mit Power, Scharfsinn und -züngigkeit in Szene gesetzt werden. Vor allem richtet sich der von Grund auf optimistische Sound gegen den verklemmten Biedermann, der jeden Pfennig (es ist 1984, also bitte!) zweimal umdreht. „Wenn Bullermann kommt“ treibt das Klischee auf die Spitze mit einem Kontrollfreak und seiner Frau, die dem Erzähler aber auch gar keine Ruhe lassen. Auch die Unentschlossenheit vor wichtigen Entscheidungen wird stilvoll aufs Korn genommen („Is mir egal“).

Energetischer Rock auch dank vertrauter Einflüsse

Und die Musik? Die speist sich hauptsächlich aus dem, was die Band zuvor schon gut drauf hatte, gestaltet sich aber ausgesprochen abwechslungsreich. Die ZZ TOP-Einflüsse offenbaren sich recht offenkundig und authentisch in „Du und mein Autoradio“, etwas verspielter dagegen bei „Viel zu spät“, das die wüstentrockenen Vibes durch ein Mehr an Funk auflockert. Und Stichwort Funk: Der meldet sich laut- und bockstark bei „Frach mich net (wie’s mir geht)“ zu Wort und lässt den aggressiven Kopfnicker sogleich ins Blut fahren. Und mit Henni Nachtsheims leicht nasaler Darbietung, hier und da ganz leicht neben der Spur, kriegt das ganze noch einen dezenten Ruck in Richtung Punk verpasst, während „Osti“ den Blues durch und durch atmet. Und den atmet er vor allem in der Quasi-Powerballade „Normale Härte“ im ganz großen Stil, ein Song, der wie für das Stadion geschaffen scheint.

Geradlinige Rocker gibt es mit dem Titeltrack und dem Hit „St. Tropez am Baggersee“ obendrauf. Zwei Sonderlinge finden sich zudem auf der Trackliste. Das eine ist die bereits angesprochene Hessen-Hymne „Die Hesse komme!“, das jeder gebürtige Hesse mit der Muttermilch aufsaugt und ebenfalls sensationell funkige Vibes mit sich bringt, die in ihrer geradlinigen Natur einerseits sicher schon ziemlich weiß sind, das andererseits durch den offenherzigen Schlappmaul-Charme wieder wett machen. Die andere Kuriosität teilt das Album in der Mitte und hört auf den Namen „Zirkus kaputt“. Der Song sticht insofern hervor, als dass er mit dem Rock um ihn herum scheinbar nichts zu tun hat, jedoch auch keine Intermission darstellt. Stattdessen gibt es morbiden Anarcho-Klamauk über einen Zirkus mit „Selbstzerstörungsprogramm“, dargeboten durch spöttisch anmutende Kammerorchesterklänge. Seltsam? Seltsam.

Zeitloser Schobbe-Rock

Das Album war sicher nicht der Startschuss ihrer Berühmtheit, doch es war der erste, vollends eingeschlagene Volltreffer der Band, die in der Folge mit weiteren Chartplatzierungen und auch ihrem Einsatz gegen das Atomkraftwerk Wackersdorf im Rahmen des Anti-WAAhnsinns-Festilvals 1986, bei dem sie unter anderem an der Seite der TOTEN HOSEN aufgetreten sind, weiter auf Kurs bleiben sollten, ehe der Weggang von Henni Nachtsheim 1990 einen empfindlichen Bruch markierte.

Er sollte natürlich mit dem bereits in den Achtzigern zusammen mit Gerd Knebel (FLATSCH!) gegründeten Comedy-Duo BADESALZ enorme Bekanntheit erlangen, während die RODGAU MONOTONES mit Kerstin Pfau bald einen Ersatz für Nachtsheim finden sollten. Und auch wenn etwa deren neuestes Werk „Genial“ von 2015 alles andere ist als das, was der Name verspricht, so bleibt „Volle Lotte!“ ein erinnerungswürdiges Rock-Album, das man einfach immer wieder auskramen kann, da es neben kräftigem, abwechslungsreichen Rock für fast jede Situation auch endlos zitierbare weil enorm pfiffige Texte bietet. Einen Grad an Trueness kann man natürlich vermissen, doch letzten Endes erfüllt die Platte ihren  Zweck: sie unterhält. Zischt halt wie Abbelsaft, des Stöffsche.

27.06.2018

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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