Rotor - 4

Review

Wenn man Eduard Hanslick gefragt hätte, wie ihm das vierte ROTOR-Album gefällt – er hätte zumindest vom theoretischen Standpunkt aus nicht viel dagegen sagen können. Wer Eduard Hanslick ist? Darauf komme ich später noch. Jedenfalls hätte es ihm gefallen, dass ROTOR reine Instrumentalmusik machen -Verzeihung: gemacht haben. Den auf Album Nummer 4 tun sie es ihren Stoner Rock-Kollegen PELICAN gleich und bauen zum ersten Mal Gesang in zwei ihrer Songs ein.

Zwölf Jahre spielen ROTOR schon in der deutschen Unterground-Musikszene auf. Seit fünf Jahren veröffentlichen sie Platten auf dem Münchner Label ELEKTROHASCH. Mit ihrem Stoner Rock für Neohippies passen sie perfekt ins Labelprogramm. Bis auf die zwei Songs mit Gesang hat sich stilistisch wenig verändert. Der Wohlgefallen für ROTOR ist immer noch direkt proportional zur Begeisterung für MELVINS, KING CRIMSON oder KYUSS. Ihr stimmiger und eigenständiger Stil ist aber so abwechslungsreich, dass er auch auf dem vierten Album nicht ermüdet.

Bruchlos reihen sie fiese, metalische Dissonanzen und gefälligen Melodien aneinander. Vertrackte Rhythmik steht neben sphärischen Klängen und rumpelnden Riffs. Es ist zwar nicht völlig neuartig, was die Saitenfraktion von ROTOR abliefert, aber es wirkt niemals altbacken oder abgedroschen. Der Groove ist einfach Wahnsinn. Selbst das rhythmisch komplexe Gitarrengefrickel dudeln ROTOR so locker runter, dass der eigene Körper automatisch beginnt, rhythmisch zu zucken. Habe ich schon erwähnt, dass die Songs trotz einheitlichem Stil ziemlich abwechslungsreich geraten sind?

Das Album beginnt mit dem Klavierintro „Präludium c.v.“. „Gnade Dir Gott“ und „Karacho/Heizer“ röhren und braten in bester Stoner-Manier und erinnern vom Riffing her an DYSE. „An3R4“ ist der schwächste Song der Platte, der Gesang ist ziemlich überflüssig. Richtig schön wird es dann in „Costa Verde“: Die positive Melodie wirkt wie ein Gruß an die Labelgenossen von COLOUR HAZE. „Die Weisse Angst“ beginnt mit einer finsteren Black Metal-Atmosphäre, um dann an den entspannten Lounge-Doom von EARTH zu erinnern. Ich denke besonders an „The Bees made Honey in the Lions Skull“. Der letzte Song „Neatz Brigade“ enthält wieder Gesang. Er stammt im Original von THE OBSESSED, einer der zahlreichen Bands von Doom-Urgestein Scott „Wino“ Weinrich (auch SAINT VITUS). In drei Wort zusammen gefasst: „Album gut, kaufen“. Das gilt zumindest für Stoner-Fans.

Aber wer war jetzt Eduard Hanslick? Ein Musikkritiker des 19. Jahrunderts! 1854 schrieb er seinen richtungweisenden Aufsatz „Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst.“. Darin sagt er im wesentlichen, dass Musik am schönsten ist, wenn sie keinen Text und keine außermusikalischen Einflüsse wie zum Beispiel Vogelstimmen-Imitationen enthält. Über weite Strecken erfüllt das vierte ROTOR-Album diese Forderungen. Gefallen hätte es Hanslick wahrscheinlich trotzdem nicht. Aber wen interessiert schon seine Meinung?

31.07.2010
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