Shaded Enmity - Forsaken And Forgotten

Review

Den Kampf um den MeloDeath-Thron (der unerklärlicherweise nach wie vor im Bereich der Kleinstlabel und Selbstveröffentlichungen stattfindet) habe ich mal als Zweikampf zwischen BE’LAKOR und SHADED ENMITY bezeichnet. Diese Sichtweise ist mittlerweile überholt. Erstens haben Truppen wie CANOPY und SANCTIUM das Kandidatenfeld bedeutend erweitert, doch viel wichtiger ist: „Forsaken and Forgotten“ dürfte den Wettstreit auf absehbare Zeit beenden.

Mit dem atemlosen „Hijo Perdido“ hatten Joe Nurre und Simon Dorfman im Prinzip alles in Sachen „höher, schneller, weiter“ gesagt; für den Nachfolger musste man sich also etwas Neues einfallen lassen. Dieses Neue ist die Ausweitung der musikalischen Palette in Richtung Epik und das Anheuern eines neuen, äußerst talentierten Leadgitarristen. Das Ergebnis klingt immer noch eindeutig nach SHADED ENMITY, nicht allein durch das absolut markante Schlagzeugspiel, doch gibt es jetzt auch wunderbar melancholische Passagen in weniger als Höchstgeschwindigkeit und immer mal wieder schöne Gitarrenspielereien zu genießen. Länger sind die Stücke, komplexer arrangiert und durch das Mehr an Abwechslung schlicht viel dramatischer. Deutlicher als in der Vergangenheit wird eine gewisse BM-Affinität, vor allem einige Gitarrenmelodien haben sehr schwarzen Charakter. Fast wollte ich schreiben, SE hätten gut zu No Fashion gepasst, aber in ein ganz so enges Korsett passt die Truppe aus Seattle mit ihrer Originalität und ihrem Ideenreichtum dann doch nicht.

Bei neun „richtigen“ Stücken und über einer Stunde Spielzeit wäre es schön, ein paar Anspieltips zu nennen, doch die Zahl weiter unten sollte deutlich machen, dass es auf „F&F“ einfach keine Ausfälle gibt. Mehr noch: Jedes Lied ist auf seine Weise ein Höhepunkt. Das fängt schon mit dem semi-titelstiftenden Intro an, das eigentlich reine Verschwendung ist: Aus diesen Riffs hätte man auch ein vollständiges Stück basteln können. „This is Federal“ stellt dann die „neuen“ SHADED ENMITY vor: mehr Atmosphäre, mehr Spannung, vielseitigere Gitarren, dabei aber immer noch Dorfmans Markenzeichengehämmer, jede Menge Biss und eine deutliche Portion Schweden-BM. „Sadness in Summer Rain“ im Anschluss bietet ein explosives Finale, das ATG mit dem „Soulreaper“ verkuppelt, „No Puedo Dormir“ wartet mit Schwermut und Tremolo-Gitarren auf, und „… And Life Was Great“ ist die erste „Ballade“ der Band, die als erste „Single“ etwas überraschte, auf dem Album aber absolut Sinn macht und großartig funktioniert. Bei „It Only Hurts in December“ und „Prophecies and Pain“ schließlich darf sich Simon austoben wie nie zuvor auf einer SE-Aufnahme, wobei letztere Nummer ziemlich reinrassiger BM ist, der demonstriert, wie DARK FUNERAL klingen könnten, wenn sie etwas Musikalität in dieses Jahrtausend hätten retten können. Doch bevor ich alle Songs als herausragende Beispiele aufgezählt habe, will ich lieber aufhören – ihr merkt sicher auch so, wo es lang geht.

Wenn man es mit dem wohl besten MeloDeath-Werk diesseits der Jahrtausendwende zu tun hat, drängt sich natürlich zwangsläufig die Frage auf, wie es möglich ist, dass die Band dieses in Eigenregie rausbringen muss. Gründe für diesen Zustand gibt es wohl viele, der wichtigste dürfte aber sein, dass Bands, Labels und Presse die Schublade MeloDeath in einer Weise sinnentleert haben, die selbst dem BM trotz aller Dimmuborgisierung und Cradleverfilthung erspart geblieben ist. Bis sich diese Lage irgendwann normalisiert hat, kann man nur hoffen, dass Bands wie SHADED ENMITY irgendwo die Motivation finden, Alben wie „Forsaken and Forgotten“ aufzunehmen. Ohne derlei ebenso begabte wie hartnäckige Musiker könnte man das ganze Genre nämlich offiziell für tot erklären.

23.06.2013
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