Sigh - Heir To Despair

Review

Japans Metal-Wundertüte SIGH um Mirai Kawashima ist zurück mit einem neuen Album. „Heir To Despair“ stellt den Betrachter des Covers schon vor ein Rätsel: Im Gegensatz zu vergangenen Gestaltungen wirkt die mit hellen, bunten Farben dargestellte, liebliche Dame auf dem Cover geradezu einladend – nicht das, was man vom Metal im Allgemeinen und der Band im Besonderen unbedingt erwarten würde. Dass hier verdorrte Blumen gegossen werden ist natürlich gewiss ein Fingerzeig, dass hier nicht alles glänzt, was gold ist. Und doch ist „Heir To Despair“ tatsächlich weit von den düstereren Tönen seiner Vorgänger entfernt.

Kunterbuntes Geseufze mit SIGH

Im direkten Gegensatz zu ihren vorigen Leistungen kommt die neue Platte nämlich geradezu aufgeräumt daher. Von den auf „Graveward“ noch angedeuteten Black-Metal-Versatzstücken zum Beispiel ist praktisch nichts mehr übrig geblieben. Stattdessen haben SIGH eine ganze Reihe von volksmusikalischen Elementen vordergründig in ihren neuen Sound eingearbeitet, von arabischen Harmonien über indische Sitar-Läufe und vage angedeutete, nordische Folk-Einlagen hin zu den prominenter in Erscheinung tretenden, traditionellen Einflüssen aus der Heimat der Japaner steckt eine Menge in „Heir To Despair“ drin.

Entsprechend kommt die Platte wie ein – nicht negativ verstehen – kunterbunter Klecks daher, bei dem wirklich alles passieren kann und bei dem man hinter der nächsten, musikalischen Ecke mit allem rechnen muss. Typische SIGH-Kost, typisch unberechenbar, aber eben doch anders. Der pure, IGORRRsche Wahnsin bleibt aber aus, ganz zu schweigen vom HARDCORE ANAL HYDROGEN-Hirnfick. Denn so bunt und mannigfaltig das stilistische Repertoire der Japaner auch sein mag, so sehr unterwerfen SIGH dieses hier dennoch einer songdienlichen Diszipliniertheit, durch welche die Tracks von „Heir Of Despair“ letzten Endes fest am Boden der Tatsachen verankert werden.

Großes Kulturkino mit kleiner Schwachstelle

Den starken Folk-Einschlag merkt man der Platte praktisch von der ersten Sekunde an. „Aletheia“ beginnt mit arabischen Läufen, die unterschwellig durch weitere Einflüsse ergänzt werden. So entsteht ein interkulturelles, kleines Spektakel innerhalb eines einzelnen Songs, der zwar langsam aber dennoch mit Nachdruck vor sich hin stampft. Der Gesang leitet stimmungsvoll durch den Song und variiert dabei zwischen klarem Gesang, heiserem Gekeife und etwas, das vielleicht mit grantigem Gegrummel am besten beschrieben ist. Ebenfalls schön ist das Genannte bei „Hands Of The String Puller“ zu beobachten.

Etwas nervöser gestaltet sich das folgende „Homo Homini Lupus“, bei dem sich auch der Schwachpunkt dieser ansonsten grundsoliden Veröffentlichung offenbart: Wenn zu viel gleichzeitig passiert, geht die Soundqualität in die Knie und es fällt schwer, dem an sich transparent strukturiertem Song zu folgen. Die der Mangel an schärferen Konturen innerhalb des Sounds dürfte dabei wohl das größte Problem darstellen, so sehr das auch für die folkigeren Passagen funktioniert. Dieses Phänomen lässt sich später noch einmal bei „In Memories Delusional“ beobachten, während die anderen Songs, speziell das dreiteilige „Heresy“, die Vielschichtigkeit des Sounds dank gediegeneren Songwrtings deutlich besser meistern.

„Heir To Despair“ verbindet Eingängigkeit mit Kreativität

Dennoch überwiegen die positiven Aspekte von „Heir To Despair“, in dem einfach zu viel Energie und Kreativität steckt, um sich von diesem Problem ins Bockshorn jagen zu lassen. Ich bin in Bezug auf das Cover zwar immer noch nicht schlauer geworden, laut Presseinfo soll Phil Anselmo hier irgendwo zu hören sein (ich suche ihn noch) und die besagten Tracks, in denen der Sound schwer zu knabbern hat, kratzen den Gesamteindruck etwas an. Aber dennoch bleibt das neue SIGH-Album eine empfehlenswerte Erfahrung mit Suchtcharakter, wenn man besagte Schwäche hinnehmen kann.

18.11.2018

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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