Sister - "Stand Up, Forward, March!"

Review

Keine Ahnung, warum SISTER oft so rigoros die direkte Verwandtschaft mit diversen einschlägigen Sleaze-Combos attestiert wird. Jetzt mit Martin Sweet von CRASHDIET am Bass, haben die Schweden  auf ihrem dritten Werk „Stand Up, Forward, March!“ klanglich wie textlich endgültig kaum etwas mit dem Sex, den Drugs, dem Rock ’n‘ Roll der MÖTLEY CRÜE oder gar der vertonten Kneipe der HANOI ROCKS gemein. Nur unwesentlich deutlichere Ähnlichkeiten weist das Brett, das einem SISTER erneut vor den Kopf knallen, auch mit dem Dicke-Hose-Rock ihrer Landsleute BACKYARD BABIES auf. Die fast mit Corpse Paint versehenen Herren klingen zwar nicht eben nach norwegischem Berg, aber durch ihre Härte und durch das aggressive Geschrei noch weniger nach kalifornischer Promenade.

SISTER schwingen die Brechstange und nicht die Hüfte

Sänger Jamie Anderson keift und röhrt bisweilen fast so manisch wie dereinst Blind Marky Felchtone von ZEKE ins Mikro, sodass SISTER in der Gesamterscheinung eher anmuten wie MARILYN MANSON, der sich auf schwarzem Kaffee SKID ROW zur „Slave To The Grind“-Phase vornimmt. Mit einer Metal-Band im Rücken. Oder wie eine sehr unentspannte Variante der MURDERDOLLS.
Geschwungen wird hier weniger die Hüfte als die Brechstange: „Stand Up, Forward, March!“ schnauzt einen nicht nur mittels Imperativ im Titel an, sondern glättet einem mittels düster-kalten Riffings jeden etwaigen Dauerwellen-Ansatz rigoros aus der Frisur. Das hat durchaus seinen Reiz, entbehrt aber über weite Strecken jeglicher Seele. Und mag nicht zuletzt der neu hinzugezogene H.E.A.T-Keyboarder Jona Tee als Co-Songschreiber und Produzent für den einen oder anderen melodischen Akzent sorgen – alles in allem gibt es hier auch nicht die großen Hooks für die Ewigkeit.

„Stand Up, Forward, March!“ klemmt zwischen den schwarzen Stühlen

Aufhorchen lassen SISTER indes immer dann, wenn sie von ihrem Frontalangriff etwas abweichen. „Carry On“ zum Beispiel verfügt über ein astreines melodisches SOCIAL-DISTORTION-Solo, das vom Tempo gedrosselte „Let It Bleed“ erinnert etwas an die phänomenalen TAU CROSS beziehungsweise deren dunkle Vorbilder zwischen Metal, Wave und Punk. Und „Piece Of Shame“ mit seinem prägnanten Bass und dem eingängigen Refrain ist dann doch so etwas wie ein kleiner sleaziger Hit aus der Geisterbahn. (Wobei „The Unlucky Minority“ von „Hated“ schon noch etwas cooler war.)
Vielleicht ist „Stand Up, Forward, March!“ mit anderer Erwartungshaltung oder überhaupt differierender musikalischer Sozialisation eine Offenbarung. Mir sitzt die Band etwas zu schief eingeklemmt zwischen den schwarz getünchten Genre-Stühlen. Oder anders: Kajal auf Stahl – auf Dauer eher egal…

18.11.2016
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