Sólstafir - Berdreyminn

Review

Wenn man nördlich des 60. Breitengrads wohnt, kann man die Kälte eigentlich nur aushalten, wenn man in einem von Geysiren gespeisten geothermalen Bad dümpelt, ordentlich Alkohol trinkt und nach und nach mit seiner Musik die Welt erobert. Das scheint SÓLSTAFIR Stück für Stück zu gelingen.

Polarisierung

SÓLSTAFIR sind sicherlich eine Band, die schon seit Jahren stark polarisiert. Die Musik der Isländer war schon immer, von den ganz frühen Werken einmal abgesehen, stets eigenwillig, auf ihre ureigene Weise kauzig, atmosphärisch, und dabei von Album zu Album eingängiger, sanfter. Diese Entwicklung sehen allzu konservative Zeitgenossen, aber auch einige alte Fans der Band, kritisch bis ablehnend, während SÓLSTAFIR mit jedem neuen Album auch neue Anhänger dazugewinnen. Bisheriger Höhenpunkt dieser Entwicklung war „Ótta“ (2014), welches endgültig mit alten Überbleibseln des Pagan/Viking Metals brach. Und „Berdreyminn“?

„Berdreyminn“

„Berdreyminn“ macht genau da weiter. Die inflationär gebrauchten Umschreibungen episch, erhaben und dramatisch passen weiterhin absolut zu den Klangwelten von SÓLSTAFIR, nun aber eben in der aktuellen Ausrichtung. Für wen also schon „Ótta“ zu „seicht“ war, der kann mit „Berdreyminn“ sicherlich überhaupt nichts anfangen. Die schrofferen, wilderen Momente, die es bspw. noch bei „Svartir Sandar“ gab, scheinen endgültig der Vergangenheit anzugehören. SÓLSTAFIR 2017, das ist irgendwas zwischen Progressive-, Post-, Independent- und Artrock mit gelegentlichen New-Wave-Einschüben. Was fehlt, ist der experimentelle Jam-Charakter, alles wirkt erwachsener, abgeklärter, konventioneller, kontrollierter, zurückhaltender. Die Musik der Isländer wird immer ausgeglichener und auch meditativer, wodurch im Gesamten betrachtet tatsächlich nunmehr ein wenig die Abwechslung leidet.

SÓLSTAFIR eröffnen „Berdreyminn“ mit „Silfur -refur“ – stark! Hat was von den Western-Soundtracks des guten alten Ennio Morricone. Wie mittlerweile bei den Isländern üblich, baut sich das Stück stetig auf, mit furztrockenen Fuzz-Gitarren. Es wird zum Ende hin stetig weiter komprimiert, bis nur noch Dröhnen übrigbleibt. Auch Aðalbjörn Tryggvason sind zum räudigen Ende hin immer inbrünstiger. Der Opener wurde geschickt gewählt, da dieser noch am ehesten die Brücke zu den beiden Vorgängeralben schlägt. Anders das unaufdringliche „Isafold“. Tolle Gitarrenmelodien, poppiger Synth, Rhythmen extrem reduziert groovend, THE FIELDS OF THE NEPHILIM-Gedächtnis-Bass, und die Gitarren klangen bei SÓLSTAFIR noch nie so sanft. Hat definitiv seinen Reiz, wenngleich man hier schon die stimmlichen Grenzen des schamanenhaft-markanten Gesangs von Addi merkt. „Hula“ geht in eine ähnliche Richtung mit laut/leise Dynamik. Das Klavier nimmt viel Raum ein, dazu entfernt klingende Chöre. Klingt irgendwie wie eine Mischung aus älteren IN THE WOODS… und RADIOHEAD. Gegen Ende schreit Addi gegen eine Wand aus Streichern und Gitarren, schön!

„Berdreyminn“ wird weitergeführt von „Nárós“, das wieder ein wenig mehr Kante zeigt und Sänger Aðalbjörn wieder etwas mehr die Sau raus lässt. Die epischen siebeneinhalb Minuten werden vom ausufernden Intro, dem stoisch geradeaus laufendem Rhythmus, den fuzzgeschwängerten Gitarren-Breitwänden und rockigen Strophen ausgefüllt. Auch dieses Stück dürfte SÓLSTAFIR Anhängern zusagen, welche die beiden Vorgängeralben mögen. „Hvit saeng“ ist wieder ausgeglichen-rockiger und meditativer, zunächst balladesk, ehe das Stück straight rockt. Beim traurigen  „Dýrafjörður“ kommt einem David Gilmour in den Sinn. Minimale aber eindringliche Melodien, bezaubernde Zwischentöne. „Ambátt“ wird zunächst vom Piano dominiert, ehe sich die verzerrte Gitarre in den Vordergrund spielt und beide Instrumente um die Herrschaft im Stück spielen. Der eigentliche Höhepunkt kommt zum Schluss: „Bláfjall“ beginnt zunächst getragen mit Kirchenorgel, doch es wird stürmischer, der Metal bahnt sich den Weg. Sehr facettenreich!

Fazit

Es gibt wieder genug Futter für beide Seiten. Nörgler von „Ótta“ werden an „Berdreyminn“ noch mehr auszusetzen finden. Wer das letzte Album von SÓLSTAFIR mochte, für denjenigen steht die Chance groß, dass „Berdreyminn“ ebenfalls den Geschmack trifft. Wer sich darauf einlässt, kann vollends in die atmosphärischen, epischen, emotional fesselnden Klanglandschaften eintauchen. Dazu passt auch das Coverartwork, das doch etwas an AGALLOCH erinnert.

21.05.2017

Geschäftsführender Redakteur (stellv. Redaktionsleitung, News-Planung)

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