Such A Surge - Agoraphobic Notes

Review

Mit ihrem Full-Length-Debüt „Under Pressure“ konnten die Braunschweiger SUCH A SURGE 1995 einen amtlichen Einstand verbuchen. Das Ding ist seinerzeit ordentlich durchgestartet, wobei generell von 100.000 Einheiten die Rede ist, die innerhalb kürzester Zeit abgesetzt worden seien. Tja, die Neunziger waren eben die Zeit, in der Crossover Hochkonjunktur feierte – der perfekte Nährboden für eine Band wie diese, um ihre Mischung aus Metal, Hardcore und Hip Hop unter das Volk zu bringen. Da wundert es wenig, dass Nachschub bei einem derartigen Achtungserfolg nicht lange auf sich warten lassen würde.

SUCH A SURGE zum Zweiten

Und dieser Nachschub kam tatsächlich gerade mal ein Jahr später in Form von „Agoraphobic Notes“, das in Malta aufgenommen und erneut über Epic Records veröffentlicht worden ist. In der Zwischenzeit rotierte das Besetzungskarussell um das Schlagzeug herum, hinter dem nun Carsten Rudo für Daniel Laudahn Platz nahm. Ansonsten blieb das Lineup stabil, wobei „Agoraphobic Notes“ das letzte Album unter Beteiligung von DJ Royal T sein sollte – bzw. generell das letzte, für das SUCH A SURGE einen festen DJ im Lineup haben sollten.

Musikalisch öffneten die Braunschweiger ihren Sound ein Stück, was sich praktisch an jeder Ecke nachvollziehen ließ. Die Masse war hungrig auf ihre Marke Crossover und im Grunde wurde das berüchtigte „More of the same“ geliefert, was in diesem Falle jedoch positiv gemeint ist. „Agoraphobic Notes“ klingt immer noch eigenständig und kann für sich selbst stehen, enthält aber die gleiche Formel seines Vorgängers, inklusive mehrsprachiger Darbietung (deutsch, englisch, französisch). Nur wurden die musikalischen Elemente stellenweise etwas mehr voneinander differenziert und die groben Kanten ein Stück weit in Form geschliffen.

„More Of The Same“? Nicht ganz…

Das heißt im Bezug auf „Agoraphobic Notes“ konkret: Die Rohheit des Vorgängers weicht einer etwas aufgeräumteren, geradezu eleganteren Produktion, die schon eine leichte Orientierung in Richtung einer breiteren Masse erkennen lässt. Der höhere Grad an Eingängigkeit zeichnet sich aber zumindest hier noch mehr durch bessere Hörbarkeit und damit bessere Zugänglichkeit aus, während SUCH A SURGE nach wie vor mit beiden Beinen auf dem eigens zuvor ausgehobenen Fundament stehen. Dafür sorgen mindestens mal die immer noch sehr präsenten Hardcore-Einflüsse, die sich durchweg wahrnehmen lassen – und nicht zuletzt auch das aufeinander eingespielte Sängergespann bestehend aus Oliver Schneider und Michel Begeame.

Mit der Single „Ideale“ brechen diese Hardcore-Wogen nach einem bedrückenden „Intro“ auch schon ohne Rücksicht auf Verluste auf den Hörer ein. Gleichzeitig zeigt sich hier aber auch, dass die Braunschweiger die Rap-Parts etwas mehr von den härteren Tracks getrennt haben, dafür etwas mehr auf Stimmung setzen, speziell im Mittelteil des Songs. Atmosphäre wird auch beim folgenden „… Amok“ groß geschrieben, passend zur düsteren Thematik des Songs. Dafür enthält der Track aber eine heftige Hook, die zum ausgelassenen Headbangen und Randalieren einlädt. In die gleiche, grobe Kerbe schlägt auch „Agoraphobia“, das wiederum den Hardcore etwas mehr in den Vordergrund rückt.

„Agoraphobic Notes“ hält ein paar Überraschungen parat

Dann erwischen die Herren ihre Hörer aber in überraschender Weise mit anderen Songs, die zwar auch das zuvor abgesteckte Gebiet beweiden, dieses aber etwas mehr und gezielter ergründen als zuvor. „Muppets Are Real“ zielt mit seiner akustischen Beschaffenheit und seiner Kernzeile „Is life just a form of animated death?“, die im folgenden „Memories“ wieder aufgegriffen wird, schon recht einschlägig in Richtung Magengrube. Letzteres ist ein beinahe alptraumhafter Psycho-Trip. Wie ein kurzes Interlude gestaltet sich „Floating“, das einen Noise-artigen Rhythmus enthält und auf dessen Fundament unsereins sich schon einen ganzen Track gewünscht hätte.

Die reinrassigeren Hip Hop-Cuts ziehen ebenfalls die Aufmerksamkeit auf sich, allen voran „Das Netz“. Hier haben SUCH A SURGE die Kollegen Michi „Hausmarke“ Beck (DIE FANTASTISCHEN VIER), Mc Rene und Phil I P zum Rap-Stelldichein gebeten. Das ganze bekommt durch die treibenden Gitarren etwas Metal-Erdung verpasst, würde auf einem „richtigen“ Hip Hop-Album aber auch nicht weiter auffallen. „Fliegen“ ist da noch kompromissloser und bietet einen vergleichsweise experimentellen Beat, der sich auch klanglich schön an das Thema anschmiegt. Auch „Raw And Pure“ ist ein reiner Hip Hop-Track mit leichter Jazz-Schlagseite, allerdings mit einem etwas traditionelleren, Boom Bap-artigen Beat.

SUCH A SURGE bleiben verlässlich

Insgesamt boten die Braunschweiger mit „Agoraphobic Notes“ also eine nachvollziehbare Fortsetzung ihrer Erfolgsformel, trennten ihre Rap-Einlagen etwas sauberer vom Metal und maßen diesen in separaten Tracks deutlich mehr Bedeutung zu, während die heftigeren Tracks in eine rockigere Kerbe schlugen. Klassische Crossover-Tracks wie „T’as Perdu“, „You Say I Will“ oder „Ich sehe dich“ sind dennoch vorhanden, nehmen die Bühne aber längst nicht mehr so zahlreich für sich in Anspruch.

Insgesamt bewegte sich die Band damit ungefähr auf einem qualitativen Level mit dem Vorgänger, wobei einige der Texte nebst deren Darbietung hier und da immer noch etwas steif herüber kommen. Auch grenzt das Album durch seine breitere stilistische Aufstellung ein bisschen an Inkonsistenz, wertet das aber durch ein weitaus weniger poserhafte Attitüde auf, die sich hier vermehrt um das Psychotische dreht. Sozialkritische Texte finden aber etwa durch „Ideale“ oder „Fliegen“ immer noch ihren Weg in das lyrische Repertoire der Band. Das Album bleibt also eine verlässliche Marke der Band, die das zeitgenössische Publikum mit seiner Kaufkraft auch bis auf Platz 25 der deutschen Charts hinauf beförderte.

Von hier an sollten die Herren dann aber doch noch deutlich mehr gen Mainstream abbiegen…

21.08.2019

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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