Tav - I

Review

Oha, eine Band, über die das Label schreibt, dass sie außerhalb musikalischer Grenzen agiert, konventionelle Songstrukturen aufbricht und viele verschiedene Einflüsse mischt. Ja, so etwas wird gerne auf den berühmt-berüchtigten Promo-Zetteln erwähnt, gerade wenn sich dahinter doch arg konventionelles verbirgt. Wenn das Label aber Ván Records heißt, kann man doch schon mal hellhörig werden, schließlich ist das Qualitätslevel der Releases seit Jahren konstant extrem hoch. Über TAV ist wenig mehr bekannt, als dass sie sich 2017 in München gegründet haben, offenbar zu viert sind und atmosphärische Rockmusik spielen. Post-Rock auf einem vor allem für Black und Death Metal bekannten Label – braucht man das?

TAV – Mehr als flirrende Gitarren

Berücksichtigt man, dass beinahe jedem Release auf Ván Records das gewisse Besondere anhaftet, sich die Künstler meist angenehm vom üblichen Einheitsbrei abheben, ist eine gewisse Hoffnung in jedem Fall erst einmal vorhanden. Dass sie möglicherweise nicht enttäuscht wird, zeigen TAV bereits im fulminanten Opener „Boundless Gaol“. Tatsächlich ist die Beschreibung hier kein bloßes Promo-Gewäsch, die Münchener verwursten so viele vollkommen unterschiedliche Einflüsse, dass es wirklich beeindruckend für ein Debüt ist. Namedropping gefällig? RUSSIAN CIRCLES, LONG DISTANCE CALLING, SÓLSTAFIR, HARAKIRI FOR THE SKY, PINK FLOYD.

Klingt krude, ist es im Ergebnis aber überhaupt nicht. TAV bieten weit mehr als flirrende Gitarren, zeigen gerade im Riffing und gelegentlichen Double-Bass oder sogar Blast-Beat-Einschüben, dass Black Metal sicher auch zu den persönlichen Vorlieben gehört. Der durchweg klar gehaltene, mit viel Hall abgemischte Gesang schlägt dann die Brücke zu progressiven Klassikern wie PINK FLOYD, besonders wenn es dramatisch und bombastisch wird. Das Quartett bleibt im Übrigen, selbst wenn es eher minimalistisch zugeht, wie in „A Beggar’s Dream Of Death“, zu jeder Zeit hochmelodisch. Fragil, spacig, entrückt – all das trifft auf die Musik auf „I“ zu, ohne aber die ganz großen Melodiebögen außen vor zu lassen.

Sehr viel Zeit wurde ganz offenbar auch in die Entwicklung des optimalen Klangs gesteckt. Ein geradezu klinisch sauberer Sound würde genau so wenig zu TAV passen wie fuzzig-analoges Siebziger-Geschrammel oder flache Minimal-Produktionen des Achtziger-Metal. Also tut man auch hier das einzig vernünftige und schafft einfach eine ausgewogene Balance aus diesen drei vermeintlichen Gegensätzen. So strahlt die Musik trotz einer prinzipiell vorherrschenden kalten Distanziertheit oft gleichzeitig eine eigenartige Wärme aus.

Gibt es also gar nichts zu kritisieren? Fast. Obwohl extrem stimmig, kann man dem Gesang eine gewisse Gleichförmigkeit nicht absprechen. Für einige mag es dadurch zunächst an Abwechslung fehlen, sich eine gewisse Eintönigkeit einstellen, gerade wenn sich die Spielzeit langsam in Richtung der Fünfzig-Minuten-Marke bewegt. Geduld wird jedoch belohnt, da sich immer wieder überraschendes auftut, wenn man erst einmal vollkommen in der Welt von TAV angekommen ist.

Eigenständiger Post-Rock mit Ecken und Kanten – „I“

Gleich auf ihrem Erstling bringen TAV das Kunststück fertig, extrem eigenständig zu klingen. Eigenständig nicht nur, weil sie offenbar sämtliche Scheuklappen beim Songwriting abgelegt haben, vermengen was eigentlich nicht zu vermengen ist. Nein, sie schaffen es eine Art von Post-Rock zu kreieren die etwas hat, was der Konkurrenz sehr oft abgeht: Ecken und Kanten. Da schrammelt es hier und dort, die Synthesizer beschränken sich nicht nur auf angenehme Flächen sondern klingen gerne auch mal ein wenig nach Synth Wave.

Auch wenn die Münchener sicherlich kein Genre neu definieren, ist „I“ ein Statement dafür, dass es sich immer lohnt, eigene Sichtweisen als Alleinstellungsmerkmale zu nutzen. Inwieweit es sich bei TAV nun wirklich um „Newcomer“ handelt sei im Übrigen dahingestellt. Die Qualität des Dargebotenen lässt in jedem Fall vermuten, dass hier erfahrene Musiker am Werk sind.

Ván Records beweisen erneut den richtigen Riecher und erweitern ihr Portfolio um eine weitere interessante Richtung. Jeder, der etwas mit Post-Black-Metal, Post-Rock oder einfach progressiver Rockmusik anfangen kann, sollte unbedingt hier rein hören. Und eigentlich alle anderen auch.

21.06.2020

"Time doesn't heal - it only makes you forget." (Ghost Brigade)

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